ARD-Doku über Hip-HopMit Denyo im Benz durch die deutsche Geschichte

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NDR Fernsehen HIPHOP - MADE IN GERMANY, "90er: Hamburg, Kommerz und Realness", am Freitag (02.02.24) um 01:00 Uhr.
Beginner-Mitbegründer Denyo und „Bad Bitch“-Rapperin Eunique brettern durch Hamburg und die 90er.

Beginner-Mitbegründer Denyo und Rapperin Eunique fahren für die ARD-Dokuserie „Hiphop – Made in Germany“ durch Hamburg.

Die ARD-Dokuserie „Hiphop – Made in Germany“ lässt die Protagonisten aus vier Jahrzehnten deutscher Rapmusik zu Wort kommen. 

Deutsche Rapper mögen sonst eher über Geschwindigkeitsübertretungen in Fahrzeugen der High-Performance-Marke Mercedes-AMG fabulieren, aber so ein klobiger Benz-Kombi, Baujahr 1984, der macht schon auch noch was her. Ein Prachtexemplar in gelb-beiger Lackierung cruist in der vierteiligen ARD-Dokuserie „Hiphop – Made in Germany“ durch vier deutsche Städte – Heidelberg, Hamburg, Berlin, Frankfurt. Die stehen sinnbildlich für vier Jahrzehnte hiesigen Hip-Hops.

Am Steuer und auf dem Beifahrersitz nehmen jeweils zwei lokale Szenegrößen Platz, am Straßenrand warten weitere Überraschungsgäste, die sich auf die Hinterbank krümeln. Dazu eingeblendet werden weitere Experten, Kollegen, Soziologen, Publizisten. Natürlich fehlen die ganz großen Namen – Torch, Samy Deluxe, Kool Savas, Sido, Bushido, oder Haftbefehl, Wettbudenbesitzer, Koksdealer, Sprachgenie – und einige für die deutsche Rap-Geschichte nicht ganz unwichtige Städte, Stuttgart zuvörderst, kommen auf diese Weise etwas zu kurz, aber das Grundkonzept geht auf: Am Autofenster ziehen die Orte des Geschehens vorbei, im Wagen spielt das Radio einige exemplarische Stücke und sendet dazu die allergrößten Meldungen von damals: da fällt die Mauer, dort stürzen Türme ein, und unerkannt mordet der NSU.

Das klingt erstmal furchtbar banal, doch die Verbindungen zwischen Zeitläuften und Rapzeilen überzeugen oft doch, zum Beispiel zwischen 9/11, anti-muslimischem Rassismus und dem Aufstieg von migrantisch geprägtem Gangsta-Rap in Deutschland. Hip-Hop als gelebte Zeitzeugenschaft und alternative Nachrichtenquelle, davon rappte bereits Public Enemys Chuck D. Wichtiger ist, dass in „Hiphop – Made in Germany“ nicht von Dritten über Rap geredet wird, sondern die Protagonisten selbst zu Wort kommen, im mal mehr, mal weniger lockeren Zwiegespräch.

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Das kann oft erhellend sein. Etwa wenn die beiden Heidelberger Pioniere Tony-L (Advanced Chemistry), Martin Stieber (Stieber Twins) und Cora E. vor dem Mark Twain Center, den ehemaligen Baracken der US-Streitkräfte, haltmachen, und von ihrer Faszination für die Musik der Besatzer erzählen, von den Marching Bands, die viel mehr Funk hatten als deutsche Blaskapellen. Vom amerikanischen Stiefvater, der die korrekte Musik ins Haus brachte, von Jazzy Jeff, dem Brieffreund aus Philadelphia, der dann zusammen mit Will Smith weltberühmt wurde. Oder wenn Denyo von den Beginnern an der Hafenstraße vorbeifährt und seiner 18 Jahre jüngeren Mitfahrerin Eunique vom Austausch zwischen Punkern, Antifa und Rappern im alten Hamburg berichtet.

In den 1990er wird Deutsch-Rap professionell – und ein bisschen zu brav

Wir sind in den 90ern angekommen: Deutsch-Rap wird professionell und ein bisschen zu brav, findet dafür jedoch endlich im Radio statt. Wie politisch die Anfänge zum Beispiel der Beginner waren, vergisst man darüber leicht. Ein TV-Auftritt, in dem der blutjunge Denyo den Track „Großdeutsche Haarrasur“ rappt, liefert den Beweis.

Ab und an treiben diese Benz-Gespräche freilich seltsame Blüten: Aus dem Autoradio knödelt Herbert Grönemeyer „Mensch“ und der Berliner Rapper Ali Bumaye erklärt ihn zum besten Künstler Deutschlands, das sei halt richtige Musik. Als traute er seinem eigenen Genre selbst nicht ganz über den Weg.

Interessanteres hat Bumayes Mitfahrerin Kitty Kat zu berichten, darüber, wie ihr Label Aggro Berlin – die richtungsweisende Plattenfirma der Nuller Jahre – sie drei Jahre lang versteckt hielt, wie ihr gesagt wurde, sie solle erst zehn Kilo abnehmen: „Ich wurde behandelt wie eine Groupie-Schlampe, ich dachte, die haben meine Karriere gefickt.“ Die eklatante Frauenfeindlichkeit des Genres wird von der Doku-Reihe sanft korrigiert, das ist keine Geschichtsverfälschung, sondern nur recht und billig und die beste Aussage dazu kommt von der Soziologin Heidi Süß vom Berliner Institut für Popkultur und Rap-Forschung: „Nicht jede Rapperin muss feministisch sein, sie sollen erstmal überhaupt stattfinden.“

Seine letzte Fahrt tritt der Mercedes-Kombi im Schlepptau an, die Frankfurter Fahrgemeinschaft, das Rap-Duo Celo & Abdi, musste schon vor längerer Zeit seine Führerscheine abgeben. Im Streaming-Zeitalter gehören neun der zehn meistgestreamten deutschen Acts ins Hip-Hop-Genre. Deutscher Rap kann jetzt alles sein, antisemitische Verschwörungserzählungen aufgreifen, oder, wie nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, geschlossen gegen rechtsextreme Umtriebe stehen. Es gäbe noch so viel zu erzählen, aber diese Doku ist immerhin ein guter Anfang.

„Hiphop – Made in Germany“ ist in der ARD-Mediathek abrufbar

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