Wer die ARD-Serie „Bad Influencer“ sieht, braucht am Anfang Geduld. Doch die zahlt sich später aus.
Serie „Bad Influencer“Der gnadenlose Kampf um Aufmerksamkeit

Mit Lia von Blarer spielt in „Bad Influencer“ Donna
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Zu Beginn von „Bad Influencer“ hat Donna (Lia von Blarer) einen One-Night-Stand mit dem schmierigen und offen misogynen Pickup-Artist Pascal (Lukas Sperber), der sie mit seinem Smartphone filmt und im Internet als Sexpartnerin bewertet. Um sich zur Wehr zu setzen, entscheiden die Protagonistin und ihre beste Freundin Milou (Salome Kießling), Donna als radikalfeministische Influencerin zu etablieren. Erst nur halb ernst, später voll professionell. Das große Ziel: 1,5 Millionen Follower. Der steinige Weg zu diesem Ziel bringt Donna so weit, dass ihr die Ideale abhandenkommen.
Dieser Handlungsrahmen überfällt den Zuschauer als knalliger Fiebertraum voller überzeichneter Gegenwartsfiguren. Einen Schwung zu viele Anglizismen, Spitznamen und politische Parolen gibt es in der WG der beiden jungen Frauen. Und demgegenüber eine so bösartige und kompromisslose Darstellung der Gegenspieler, dass ein James-Bond-Bösewicht aus den Sechzigerjahren erstmal differenzierter wegkommt als der Incel-Anführer Pascal.
Übertreibung als Stilmittel
Donna und Milou scheinen in einer Mediendystopie zu leben: Menschen filmen sich im kunterbunten Fitnessstudio beim Training Schulter an Schulter mit zwei Handys gleichzeitig und wird der Fernseher eingeschaltet, wettern dort sofort Rechtskonservative klischeehaft gegen den progressiven Feminismus. Bei ihrem Job als Kellnerin wird Donna von Männergruppen dann auch noch schamlos und ekelhaft angegraben - ihre Chefin spielt den Vorfall herunter. Donnas Ex-Freund Rico (Nils Hohenhövel) bringt sich währenddessen als Manager für ihren neuen Job als Influencerin ins Spiel, um unter dem Vorwand der guten Sache möglichst viel Geld zu verdienen.
Das alles fühlt sich so schwarzmalerisch und überspitzt an, dass die erste Folge ein gewisses Abschreckungspotential hat. Hauptdarstellerin Lia von Blarer sieht aber genau darin eine Stärke. „Diese Gnadenlosigkeit ist etwas, was die Serie gut hinbekommt. Klar ist das teils überspitzt, aber dann eben doch gar nicht so weit von der Realität: Dass es in dieser Zeit nur um Klicks geht, Influencer ein mächtiger Beruf geworden ist und dass es eben auch solche ‚Pickup-Artists‘ wie Pascal gibt“, sagt sie im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Übertreibung als Anregung zur Reflexion also. Wirklich beeindruckend ist aber, was das Drehbuch, die Regie und das kraftvolle Spiel der Hauptdarstellerin auf dieser Grundlage im weiteren Verlauf der Serie entfalten. Fast alle Charaktere gewinnen ungemein an Tiefe und werden mit spannenden Widersprüchen konfrontiert.
Gut und böse, richtig und falsch verschwimmen in der Gegensätzlichkeit von aufmerksamkeitssüchtiger Internetwelt und persönlichen Überzeugungen. „Es war von Anfang an klar, dass das der Boden sein muss. Dass wir zwar mit dem Komödiantischen, Rauschhaften anfangen, dann aber den Figuren eine Dreidimensionalität schenken“, sagt Lia von Blarer.
Konflikte werden geschickt verhandelt
Dadurch gelingt es „Bad Influencer“, feine und verborgene Konflikte geschickt zu verhandeln. Als Donna von einem feministischen Unterwäsche-Label dazu verführt wird, nackt und in sexueller Anmutung mit männlichen Models für die Produktvermarktung zu posieren, weiß sie einmal mehr nicht, ob sie gerade das Richtige tut.
Eine „Feminismusbeauftragte“ will sie in paternalistischer Manier dazu bringen, ihren Körper zu offenbaren. Donna zögert weiter, lässt sich dann aber doch darauf ein, weil eine andere Beteiligte - die Fotografin - sie wiederum deutlich einfühlsamer an den sexualisierenden (oder eben selbstermächtigenden) Akt heranführt, bis die Protagonistin das Nacktshooting sogar genießt. „Der Zweck heiligt eben manchmal die Mittel“, heißt es von der Fotografin. Diese und viele andere Szenen sind dicht, pointiert und inhaltlich sorgfältig gestaltet.
Die Widersprüche gipfeln darin, dass Donna am Höhepunkt ihre kamerascheue beste Freundin Milou ohne Einvernehmen filmt und für den entscheidenden Schlag im Internet-Beef gegen ihren Netzrivalen Pascal instrumentalisiert. Der (mittlerweile durchaus menschliche) Antagonist ist besiegt, Milou allerdings transphoben Kommentaren ausgesetzt und die Freundschaft schwer angeschlagen. An dieser Stelle muss auch positiv hervorgehoben werden, dass in „Bad Influencer“ mit Milou überhaupt eine selbstbewusste Transfrau mit Tiefgang geschaffen wird - und sie mit Salome Kießling auch von einer Transfrau gespielt wird. Nicht selbstverständlich und deshalb umso wertvoller.
Bietet „Bad Influencer“ denn eine Antwort darauf, wie und ob Feminismus im Internet stattfinden soll? Das nicht, aber ein eindrückliches Fallbeispiel. Donna glänzt dank des Spiels von Lia von Blarer als unperfekte Feministin und noch unperfektere Influencerin, die einfach von vielem die Nase gestrichen voll hat und für andere Menschen da sein möchte - politisch sowie persönlich - daran aber zeitweise scheitert. „Die Serie versucht zu zeigen, dass einfache Antworten gerade heute so verführerisch sind, dass man aber Komplexität aushalten lernen muss. Über allem steht dabei die Solidarität“ so Lia von Blarer.
Solidarität ist am Ende dann auch das, worauf sich Donna in „Bad Influencer“ festlegen kann. Im großen Finale debattiert sie in einer Fernsehsendung aufgeregt, aber auch resigniert mit einer konservativen Politikerin. Aus der Sicht eines fiktiven Fernsehzuschauers gibt es bei der Debatte kaum eine Gewinnerin. Für den, der alle acht Folgen von „Bad Influencer“ sehen und seine Charaktere damit besser kennengelernten durfte, triumphiert jedoch Donna. Sie entschuldigt sich in der Sendung durch den Fernseher spontan bei ihrer besten Freundin Milou und bleibt nach Ende der Show grübelnd und erlöst im Studio sitzen. Sie trägt, obwohl der Moderator das noch kurzfristig verhindern wollte, Milous Shirt, auf dem steht: „Die Welt ist eine Scheide“. Ein Akt der Solidarität. Meist zählt eben doch das was bleibt, wenn die Kamera ausgeht. (Leon Iselt)
Alle acht Folgen von „Bad Influencer“ sind in der ARD-Mediathek verfügbar.