ARD-Serie „Bonn“ über die 1950erVerdrängung und Vertuschung

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Toni (Mercedes Müller, l.) übersetzt für Gehlen (Martin Wuttke, r.) bei einer Verhandlung. Sie trägt ein graues Kostüm, er einen schwarzen Anzug und eine Sonnenbrille.

Toni (Mercedes Müller) übersetzt für Reinhard Gehlen (Martin Wuttke) bei einer Verhandlung.

Die ARD-Serie „Bonn - Alte Freunde, neue Feinde“ erzählt von der jungen Bundesrepublik in den 1950er, alten Nazi-Seilschaften und einem dunklen Familiengeheimnis.

Wenn die Bonner Karnevalisten im Jahr 1954 zum „Alaaf“-Ausruf bei ihrer Sitzung die Arme zackig in die Höhe recken, hat das mehr von einem Hitlergruß als von rheinischem Frohsinn. Als Wirtschaftswunderjahre sind die 1950er im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert. Der Krieg war vorbei, der Aufschwung war da. Über das, was gerade einmal ein paar Jahre zurücklag, wollte niemand mehr sprechen.

Das Erste widmet sich in der sechsteiligen Serie „Bonn – alte Freunde, neue Feinde“ den Anfangsjahren der Bonner Republik und beleuchtet ein heute weithin in Vergessenheit geratenes Kapitel deutscher Geschichte. Otto John (Sebastian Blomberg), Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, hat sich als Chef des jungen Bundesverfassungsschutzes zur Aufgabe gemacht, untergetauchte NS-Verbrecher zu jagen.

Mit Wut und Wucht

Sein Widerpart ist Reinhard Gehlen (Martin Wuttke), Kopf der nach ihm benannten Organisation Gehlen, Vorläufer des heutigen Bundesnachrichtendienstes. Gehlen, ehemaliger Generalmajor der Wehrmacht, macht auch in der jungen Bundesrepublik Karriere, die er vornehmlich nutzt, um alte Nazi-Seilschaften zu pflegen. Besonders der Draht zu Konrad Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke, Mitverfasser der Nürnberger Gesetze, verschafft ihm Vorteile.

Blomberg spielt den aus dem Londoner Exil heimgekehrten John mit Wut und Wucht und wachsender Verzweiflung über die Verdrängung und Vertuschung der Verbrechen der Vergangenheit. Wuttke gibt Gehlen als jovialen Strippenzieher, dem nichts heilig ist im Kampf gegen den Feind im Osten.

Diesen beiden historischen Figuren stellt Regisseurin und Headautorin Claudia Garde (das Buch schrieb sie mit Martin Rehbock und Peter Furrer) die fiktive Toni Schmidt (Mercedes Müller) an die Seite. Die 20-Jährige kehrt nach einem Auslandsjahr in die rheinische Heimat zurück. Toni will mehr als nur ihren netten, aber etwas einfältigen Verlobten zu heiraten und das Bild der braven Hausfrau zu erfüllen.

Machtkampf zwischen John und Gehlen

Ihr Vater, der erfolgreiche Bauunternehmer Gerd Schmidt (Juergen Maurer), verschafft ihr einen Job als Fremdsprachensekretärin bei seinem alten Kameraden Gehlen. Doch schnell gerät sie in den Machtkampf zwischen John und Gehlen. In ihr wachsen Zweifel an den Plänen ihres Chefs, in die auch ihr Vater entscheidend involviert ist. John erkennt ihre Zerrissenheit und setzt seinen besten Mitarbeiter Wolfgang Berns (Max Riemelt) auf sie an, um über sie an Informationen über Gehlens Machenschaften zu erhalten.

„Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ hat sich einiges vorgenommen. Neben der Aufarbeitung geschichtlicher Ereignisse erzählt die Serie auch noch ein Familiendrama, das Toni nach und nach aufdeckt und das um ihren im Krieg vermissten Bruder kreist. Und zwischen zwei Männern steht sie zudem.

An einigen Stellen ist die Handlung deshalb etwas überladen und Toni doch sehr schnell sehr emanzipiert, aber der Serie gelingt es außerordentlich gut aufzuzeigen, wie der fast schon trotzige Wirtschaftswunder-Enthusiasmus als Schutzschild gegen eine ehrliche Aufarbeitung der Gräuel der Nazi-Diktatur genutzt wird. Ob es allerdings nötig war, Gehlen mit der Flucht des NS-Verbrechers Alois Brunner direkt in Verbindung zu bringen, ist fraglich. Historisch belegen lässt sich das laut der anschließenden Doku nicht.

Das Narrativ jener Jahre ist ohnehin klar: Hitler war schuld, die Deutschen wurden getäuscht. Und Menschen wie Otto John, die zeigen, dass man auch in dunklen Zeiten seinem moralischen Kompass folgen kann, stören da nur. Die Serie endet mit Johns Auftauchen in Ost-Berlin, das viele Fragen aufwarf und bis heute nicht aufgeklärt ist. 1955 kehrte er in den Westen zurück und wurde wegen Landesverrats verurteilt. Mit vielen ehemaligen Nazis ging die Justiz des jungen Staates hingegen wesentlich nachsichtiger um.


Das Erste zeigt „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ am 17., 18. und 24.1. jeweils um 20.15 Uhr in Doppelfolgen. Die Serie steht auch in der Mediathek zur Ansicht bereit. Die Doku „Alte Freunde, neue Feinde“ ist am 17. Januar um 21.45 Uhr zu sehen.

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