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„Aufruhr der Stille“Eine Reise zu inneren und äußeren Dämonen

3 min
Eine Frau liegt auf dem Boden.

Taly Journo in „Aufruhr der Stille“, jetzt in der Tanzfaktur Köln zu sehen. 

Die Kölner Performerin Taly Journo zeigt in der Tanzfaktur ein Stück über das Trauma sexuellen Missbrauchs in der Familie.

Die Orangerie startet ihre Wiederöffnung mit einer bemerkenswerten Performance. „Aufruhr der Stille- #MeTooInceste“ behandelt ebenso einfühlsam wie intensiv das schwierige Thema von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Die Kölner Performerin Taly Journo, die gemeinsam mit der Regisseurin Nicole Nagel das Konzept für die einstündige Arbeit entwickelt hat, nimmt eine persönliche Geschichte zum Ausgangspunkt. Was das Publikum dann im Theater erlebt, ist eine eindrucksvolle und sehr intime Auseinandersetzung mit dem Trauma von frühkindlichem Missbrauch in der eigenen Familie.

Die Schauspielerin nimmt das Publikum im Saal ganz behutsam mit auf die Reise zu ihren inneren und äußeren Dämonen. Verspielt und fröhlich fährt Taly Journo auf einem Kinderdreirad in den Saal. Dessen Bühnenraum ist nur durch eine blaue Linie von den auf allen vier Seiten sitzenden Zuschauern getrennt. Es ist ein fragiles Gebilde, in dem sich die Performerin bewegt. Licht-Projektionen auf zwei Seiten der Bühne beschwören kindliches Glück und sphärische Ambient-Musik entführt uns in die Wüste Negev, wo Taly Journo ihre frühe Kindheit verbrachte.

Eine große schwarze Kiste wird hier zur persönlichen Black Box

Des Nachts war der klare Sternenhimmel in der Wüste zum Greifen nah. Ein paradiesisch anmutender Zustand, der sich abrupt in eine Hölle verwandelt. Die Musik bricht ab und eine Stimme aus dem Off erläutert, was passiert, wenn ein Mensch in seiner frühkindlichen Phase Opfer eines sexuellen Missbrauches wird. Die fatale Kombination von Scham und Schuld, die das Kind zwangsläufig bei sich sucht, führt nicht selten zu lebenslangen Sprachlosigkeit und Rückzug ins Innere.

Taly Journo erzählt darüber, was geschieht, wenn das junge Opfer mit seinen Erfahrungen auf Ablehnung in der eigenen Familie stößt; wenn Zeugnisse über sexuellen Missbrauch als unangenehme Belästigung wahrgenommen werden und die Hilfesuchenden als unliebsame Störenfriede allein gelassen werden in ihrer Not. Eine große schwarze Kiste auf der Bühne wird hier zur persönlichen Black Box.

Es gehört eine gehörige Portion Mut dazu, die Informationen dieser Black Box abzurufen, um die Stille und das Schweigen zu beenden. Mit künstlerischer Klarheit und bemerkenswerter Aufgeräumtheit vollführt die Performance die aufwühlende Transformation. Diese Reise gestaltet sich mal als facettenreiche Collage, mal als vitaler Tanz, dann wieder sorgen pointierte Reflexionen für nachdenkliche Momente. Dieser sehr persönliche Zugang erinnert an den aktuellen Dokumentarfilm der Kölnerin Julia Beerhold, die in „Hinter guten Türen“ auf ähnlich mutige Art und Weise das Schweigen über tabuisierte Gewalt in der Familie gebrochen hatte.

Es braucht scheinbar solch starke und sehr persönliche künstlerische Statements, um als Opfer angesichts von gesellschaftlichem Schweigen seine Stimme und einen Weg zur Selbstermächtigung zu finden. „Die Scham muss die Seite wechseln“, Gisèle Pelicots Mahnung sollte zum Mantra werden und den Opfern sollte, wie in dieser kraftvollen Performance, der sichere Raum zur Aussprache gegeben werden, um den Kreislauf von Scham, Wut und Schuld zu durchbrechen.


Weitere Termine: Tanzfaktur, Köln, 16. bis 18.10. 20 Uhr, 19.10., 18 Uhr