Ausstellung zu elektronischer MusikWie Google das Museum völlig neu erfindet

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Die Band Kraftwerk tritt 2013 in der Kunstsammlung NRW auf 

Köln – Am Anfang war ein Piep. Ein kurzer, heller Ton. Der sich bald überall wiederfand und -findet. Mit einem Piep werden wir geweckt, ein Piep kündigt  eine neue Textnachricht auf dem Handy an, oder ein warmes Essen in der Mikrowelle. Ein stetes Piep versichert uns im Krankenhaus, dass wir noch am Leben sind, und es findet sich auch in vielen unserer Lieblingssongs, die das Leben erst lebenswert machen. Schwer vorstellbar, dass es ein Leben vor dem Piep gab.

Denn dieser kleine Ton ist künstlich erzeugt worden, durch  Klangsynthese. In der Natur kommt er nicht vor  und blieb deshalb in den vielen Jahrhunderten, in denen Musik ausschließlich mit Hilfe der menschlichen Stimme und akustischer Instrumente erzeugt wurde, ungehört.

Der kurze Film,  der sich dem „Beep“ widmet, ist vielleicht der beste Startpunkt für eine Ausstellung, die sich der Geschichte der elektronischen Musik widmet. Man kann sich tagelang in „Music, Makers & Machines“ verlieren,  rund 13 000 Filme und Fotos gibt es hier zu entdecken, dazu ungezählte Texte, Klangbeispiele und animierte 3D-Objekte. Was es nicht gibt, ist ein Museumswärter, der einen am Ende des Tages nach Hause schickt.  Im Gegenteil, diese Ausstellung hat immer geöffnet, ist kostenlos und man muss sein Haus nicht verlassen, um sie zu besuchen.

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Digitales Flanieren

Zu finden ist sie in Googles digitalem „Arts & Cultures“-Museum. Die vor zehn Jahren ins Leben gerufene Webanwendung funktioniert als eine Art Google Street View für Museen – es sind mehr als 2000 – und private Sammlungen, die zum digitalen Flanieren und auch zur pinselfeinen Betrachtung einzelner Werke einlädt. Spätestens nach den vergangenen zwölf Monaten weiß man, was man an „Arts & Culture“ hat.

„Music, Makers & Machines“ hebt die Idee vom virtuellen Museum jedoch noch mal auf eine ganz neue Ebene, die der Meta-Ausstellung. Mehr als 50 internationale Institutionen, Museen, Plattenlabels, Festivals und Fachleute aus der ganzen Welt haben hier mitgewirkt, genau genommen klickt sich der Besucher also durch rund 250 individuell kuratierte Mikro-Ausstellungen und der Suchmaschinenkonzern besinnt sich auf seine Kernkompetenz: Er weist den Weg durch den Überfluss an Informationen und macht diese dadurch erst erfahrbar.

Tresor-Tür in 3D

So kann der zwangsstillgelegte Clubgänger ehrfürchtig ein 3D-Modell der  Tür des Tresor, des wichtigsten Berliner Techno-Clubs der 90er Jahre, um dessen Achse drehen, oder sich die Geschichten anderer legendärer Hotspots des Nachtlebens im Takt der Bassdrum erzählen lassen, von Detroit bis Düsseldorf, von Tel Aviv bis Tiflis.

Technik-Nerds werden die Geschichten der wichtigsten Synthesizer-Modelle faszinieren, vom 200 Tonnen schweren Telharmonium, Baujahr 1895, über all die Moogs, Buchlas, Arps und Fairlights bis zur gewichtslosen Software von heute, er kann auch legendäre, dreidimensional in Augmented Reality  nachgebaute Synthesizer selbst bedienen, dem Arp Odyssee Acid-House-Bassläufe entlocken oder über den harten Anschlag einer frühen Drum-Maschine aus dem Hause Roland rappen.  

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Wer sich dagegen eher für die Menschen hinter den Maschinen interessiert, findet viele faszinierende, multimediale Porträts von Pionieren der elektronischen Musik und Musikinstrumente wie Robert Moog –  mit seinem „Moog Modular“ der Erfinder der universellen Musikmaschine –, die britische Klangforscherin Daphne Oram, Japans Yellow Magic Orchestra, oder die „Diva der Dioden“ Suzanne Ciani.

Letztere wäre eigentlich 2020 in Köln beim Acht-Brücken-Festival aufgetreten, dieses Erlebnis kann die virtuelle Ausstellung nicht ersetzen – dafür aber auditives Wissen viel besser vermitteln als ein physisches Museum das je könnte. Sich durch Videos bekannter Tracks zu scrollen und zu raten, welcher Synthie jeweils eingesetzt wurde, macht nicht nur Spaß, sondern schult spielerisch das Gehör.

Köln ganz vorne mit dabei  

Und nicht zuletzt bedient diese globale Ausstellung auch den rheinischen Lokalpatriotismus. Etwa wenn die korrekte Antwort auf die Frage nach dem ersten Studio für elektronische Musik „Cologne“ lautet. Die dazu gehörige Ausstellung hat selbstverständlich der WDR kuratiert, mit faszinierenden Hörbeispielen.

Weitere Komplexe beschäftigen sich mit dem Can-Studio in Weilerswist (inzwischen im Gronauer rock’n’popmuseum) und  den Aktivitäten des einflussreichen Kölner  Technolabels Kompakt. Findet man dann darin einen eigenen Artikel über die schon mythische „Total Confusion“-Partyreihe im Studio 672, fühlt man sich plötzlich furchtbar alt, geradezu museal.

Die Ausstellung finden Sie unter diesem Link.

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