„Der nasse Fisch“ und „Babylon Berlin“Worin unterscheiden sich Roman und Serie?

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Zu sehen ist die Schauspielerin Liv Lisa Fries in ihrer Rolle als Charlotte Ritter. Im Hintergrund laufen einige Soldaten. Alle tragen Kleidung der späten 20er.

Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) in einer Szene der neuen Folgen von 'Babylon Berlin'

Volker Kutschers Roman „Der nasse Fisch“ wurde mit „Babylon Berlin“ als Serie adaptiert. Aber woran unterscheidet sich die Serie von ihrer Romanvorlage? Ein Gastbeitrag von Wiebke Dannecker.

Zwischen Schreibmaschinengeklapper und Tanzvergnügen, Anständigkeit und moralischer Fragwürdigkeit – Volker Kutschers Kriminalroman „Der nasse Fisch“ und die Serie Babylon Berlin im Vergleich. Ein Gastbeitrag von Wiebke Dannecker.

In Kutschers Kriminalroman „Der nasse Fisch“ ermittelt Kommissar Gereon Rath in geheimer Mission in einem Erpressungsfall, der die Verwicklungen zur Berliner Unterwelt und die politischen Spannungen Ende der 1920er-Jahre zutage trägt. Kutschers Roman thematisiert dabei auch die Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei. 1926 wurde die erste Berliner Mordinspektion unter der Leitung von Ernst Gennat gegründet und damit begann sich die Arbeit des Kriminalkommissariats Berlin Alexanderplatz zunehmend zu professionalisieren.

Volker Kutschers „Der nasse Fisch“ handelt vom Kölner Kommissar Gereon Rath

Zugleich erzählt der Kriminalroman von der Beziehung zwischen Gereon Rath und der Kriminalassistentin Charlotte „Charly“ Ritter, die nebenbei Jura studiert. Der aus Köln stammende Kommissar Gereon Rath und die Stenotypistin Charlotte Ritter werden als rastlose Menschen, die der allgemeinen Betriebsamkeit folgen, zwischen Tag- und Nachtleben und Arbeits- und Sozialleben dargestellt. Dass Raths erster Fall schließlich bei der Mordkommission als ‚nasser Fisch‘ zu den Akten gelegt wird, liegt auch daran, dass Raths eigenes Verhalten zwischen Anständigkeit und moralischer Fragwürdigkeit changiert.

Außerdem bilden die Kriminalromane die literarische Vorlage zur Serie Babylon Berlin, unter der Regie von Achim von Borries, Henk Handloegten und Tom Tykwer, die zunächst nur bei einem kostenpflichtigen Streaming-Dienst verfügbar war. Inzwischen sind die ersten drei Staffeln auch in der Mediathek des öffentlich-rechtlichen Fernsehens abrufbar. Im Vergleich zur literarischen Vorlage wird beispielsweise die weibliche Nebenfigur Charlotte „Lotte“ Ritter zur Hauptfigur neben Kommissar Rath. Zugleich wird der Figur eine neue soziale Herkunft eingeschrieben.

Die Serie Babylon Berlin unterscheidet sich von ihrer Vorlage

Charlotte Ritter wird in der Serie als aus proletarischen Verhältnissen kommend dargestellt, die tagsüber als Stenotypistin und Archivarin in der Mordinspektion Berlin Alexanderplatz arbeitet und nachts im Untergeschoss des Moka Efti dazu verdient. Zugleich wird die Figurenzeichnung von Lotte erweitert, indem sie als ambitionierte moderne Frau den Weg von der Stenotypistin und Archivarin zur Kriminalassistentin in der Mordinspektion Berlin Alexanderplatz erst einschlägt, während sie in der literarischen Vorlage diese Position schon innehatte, bevor Rath nach Berlin kam.

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Babylon Berlin - Videos der Sendung | ARD Mediathek

Die Serie Babylon Berlin zeichnet sich insgesamt im Vergleich zur Buchvorlage durch eine komplexe erzählerische Struktur aus. Es wird simultan und multiperspektivisch erzählt. Dabei werden verschiedene strukturelle Aspekte des seriellen Erzählens miteinander kombiniert, so z.B. abgeschlossene Episodenhandlungen (vertikales Erzählen) mit zusätzlichen, episodenübergreifenden Handlungssträngen (horizontales Erzählen). Außerdem nennt Weber die hohe „interseriale Kohärenz“ (Weber 2020, 9) als ein Merkmal serieller Komplexität und schreibt diese Babylon Berlin zu.

Gereon Rath steht in der Serie unter Hypnose

Im Unterschied zum ersten Rath-Roman Der nasse Fisch werden beispielsweise die ersten beiden Staffeln durch eine Rahmenhandlung eingefasst, in der Kommissar Rath unter Hypnose steht. Damit wird das Erzählen unzuverlässig, was Weber zufolge ebenso als Merkmal einer komplex erzählenden Serie gilt (ebd. 2020, 90). In vergleichender Perspektive von Kriminalroman und Serie werden somit einerseits Verschiebungen auf inhaltlicher Ebene deutlich – hier wäre etwa die Komplexität der Figuren(-konstellation) zu nennen. Andererseits findet eine Transformation in Bezug auf die strukturellen Aspekte des seriellen Erzählens statt.

Hinsichtlich des zeitgeschichtlichen Erfahrungshorizonts zielen sowohl Kutschers Roman als auch die Serien-Adaption darauf ab, die beiden Ermittlerfiguren als zutiefst menschlich und damit als zwischen Anständigkeit und moralischer Fragwürdigkeit changierend zu erzählen, was üblichen Erzählmustern im Kriminalroman widerspricht, wenn man etwa an die Aufklärung der Mordfälle durch die ermittelnden Kommissare und einer damit verbundenen Herstellung moralischer Ansprüche denkt.

So könnte die Beliebtheit beider Formate einerseits in dieser Abweichung von gängigen Erzählmustern begründet liegen und andererseits in der Charakterisierung der Figuren, wenn man an die Verwobenheit individueller Entscheidungen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Bedingungen denkt, die sich jeweils nur auf die gegenwärtige Situation beziehen und zukünftige Entwicklungen nicht vorwegnehmen können.

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