Ballet-of-Difference-Premiere in KölnIm Gleichschritt, marsch!

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Szene aus „Ballet of (Dis)Obedience“ von Choreograf Richard Siegal. Ein Tänzer streckt sich am Boden. Einen Arm hat er ausgestreckt, den Unterkörper abgewinkelt. Mit der anderen Hand hält er einen Fußknöchel.

Szene aus Richard Siegals „Ballet of (Dis)Obedience“ im Kölner Depot 1

Choreograf Richard Siegal eignet seiner Company im Schauspiel Köln japanisches Präzisions-Gehen an. Und feiert damit den Regelbruch.

Es macht die große choreografische Begabung von Richard Siegal aus, dass er immer schon das klassische Ballett mit dem hippsten Trend auf dem Bewegungsmarkt kombinierte. Oft kamen die aus der Urban- und Clubdance-Szene. Diesmal aber ist es eine etwas skurril anmutende asiatische Tradition: „Shuudan Koudou“, japanisches Präzisions-Gehen, erfunden an der Sportwissenschafts-Universität in Tokio.

Da marschiert eine große Gruppe gleich gekleideter Sportler absolut synchron und mit hohem Tempo durch den Raum. Vorwärts, rückwärts, sie teilen sich in geometrische Formationen auf, die die Wege kreuzen, ohne dass es zu Berührungen, geschweige denn Kollisionen kommt. Durchchoreografierter Gleichschritt. Den hat das Ballet of Difference bei einer Forschungsreise nach Japan studiert. Und Richard Siegal hat er nun zu einem „Ballet of (Dis)Obedience“ inspiriert, einem Ballett des Gehorsams und unbedingt auch: Ungehorsams.

Siegal arbeitet mit Komponist Alva Noto und Designerin Flora Miranda zusammen

Dabei setzt der Choreograf auf bewährte Kooperationen: Der deutsche Komponist Alva Noto liefert wie oft bei Siegal die elektronischen Soundscapes, die Haute-Couture-Designerin Flora Miranda das glamouröse Outfit: Silbrige Anzüge im streng-schlichten Japan-Schnitt, dazu neongrün-leuchtende Sneaker - so marschieren die Tänzerinnen und Tänzer als rechteckiger Schwarm durch den Raum. Ordnung bedeutet Schönheit, demonstrieren sie. Symmetrie verheißt ein Universum der Einheit. Aber eben auch: den Freiheitsverlust im faschistischen Massenaufmarsch. Oder gehört diese Assoziation bei jeder Parade bloß zum typisch deutschen Schuldbewusstsein?

Vielleicht. Allerdings wird auch dem Amerikaner Richard Siegal die homogene Harmonie schnell zu viel. So feiern im Verlauf des Abends seine fantastischen Tänzerinnen und Tänzer vor allem eines: den Regel-Bruch. Da mögen die Shuudan-Koudou-Befehle wie „Achtung“ oder „Umdrehen“ noch so energisch herausgebellt werden. Immer verweigert sich mindestens ein Tänzer, verharrt in Stille oder grooved geschmeidig aus der Gruppe heraus.

Pina-Bausch-Diva Nazareth Panadero trägt Franz Kafka vor

Das ist Präzisions-Gehen also auf westlich getrimmt. Und da muss in unseren woken Zeiten das Problem reflektiert werden, ob im Kultur-Cross-over nicht auch die politisch unkorrekte kulturelle Aneignung steckt.

Wohl deshalb schichtet Richard Siegal auf seine fantastische formale Studie noch eine theatrale Ebene obendrauf. Die Tänzerin Nazareth Panadero, bekannt als clownesker Star aus Pina Bauschs Diven-Ensemble, trägt mit kehliger Verve die Erzählung „Bericht für eine Akademie“ von Franz Kafka vor. Darin passt sich ein Affe dem Menschen an, um in der Dressur zu Freiheit zu gelangen. Im Grunde ist das also die Geschichte einer Zwangs-Assimilation, platziert in einer Choreografie, die eine japanische Tradition quasi „assimiliert“.

Vielleicht soll so die mögliche Kritik am Stück gleich ins Stück selbst eingebaut werden? Aber letztlich wirken Panaderos häppchenweise vorgetragenen Kafka-Rezitationen doch nur wie kleine Störungen. Überflüssig, in einem top-stylishen Ballett des gehorsamen Ungehorsams, dem es in unerschöpflichen Variationen gelingt, die Attraktivität von beiden Konzepten zu zeigen: der individuellen Freiheit wie auch der kollektiven Harmonie.

Nächste Vorstellungen: 14.-16. April 2023 im Depot 1 im Schauspiel Köln

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