Ballet of Difference vom Ende bedrohtWarum diese beiden Tänzer unbedingt in Köln bleiben wollen

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21.06.2023, Köln: Livia Gil und Evan Supple, Tänzer des Ballet of Difference, stehen vor den Containern des Carlsgartens in Köln-Mülheim.

Livia Gil und Evan Supple vom Kölner Ballet of Difference.

Seit 2018 tanzt das Ballet of Difference am Schauspiel Köln. Trotz ausverkaufter Vorstellungen soll bald Schluss sein. Livia Gil und Evan Supple, seit 2020 beim BoD, wehren sich gegen das drohende Ende der Kompanie.

Livia Gil, Evan Supple, Sie tanzen beim Ballet of Difference, der von Richard Siegal gegründeten Tanzkompanie, die seit einigen Jahren dem Schauspiel Köln angeschlossen ist. Der Vertrag läuft zum Ende der Spielzeit 2023/24 aus, ein Antrag auf Verlängerung bis zur geplanten Einrichtung einer eigenen Tanzkompanie der Stadt wurde von der Ratsmehrheit nun abgelehnt. Glauben Sie, dass sich das Blatt noch wenden könnte? Gibt es eine Chance für das BoD?

Evan Supple: Trotz der schlechten Nachrichten sollten wir erst einmal feiern, dass sich Köln für eine eigene Tanzsparte entschieden hat. Darauf können wir stolz sein. Unsere Bemühungen, den Tanz in Köln wiederzubeleben, ein Publikum zu gewinnen und zu beweisen, dass Tanz mit einer eigenen Kompanie hier möglich ist, waren erfolgreich. Was die Entscheidung betrifft, nun, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber wie es aussieht, ist das in Stein gemeißelt. Obwohl wir natürlich gerne alternative Vorschläge zur Erhaltung des BoD sehen würden. Aber natürlich spricht die Politik nicht immer für die Öffentlichkeit, denn unser Publikum wächst und wächst, es hat sich in den vier Jahren, seit wir hier angefangen haben, exponentiell vergrößert – trotz der Pandemie. Unsere Vorstellungen sind größtenteils ausverkauft – an ein sehr diverses, junges Publikum.

Ein Erfolg, der von der Politik nicht ausreichend gewürdigt wurde?

Livia Gil: Ich hatte wirklich das Gefühl, dass die Qualitäten unserer Kompanie genau der Identität entsprachen, die die Stadt suchte, deshalb war es eine kleine Enttäuschung. Gestern hatten wir nach der Vorstellung eine Fragerunde mit den Zuschauern und sie schienen alle genauso untröstlich zu sein, wie wir.

Sie beide sind seit 2020 beim BoD. Keine lange Zeit, um eine Stadt kennenzulernen.

Supple: Die Kölnerinnen und Kölner wollen sich mit einer Gruppe identifizieren können. Sie kommen immer wieder, um die Tänzer und Tänzerinnen in verschiedenen Rollen und verschiedenen Balletten zu sehen. Das ist ein entscheidender Unterschied zu einem Gastspiel. Ich stelle mir vor, dass es schwierig sein wird, dieses vielfältige Publikum wieder ins Theater zu bringen, wenn es mindestens eine Spielzeit lang ohne eigene Kompanie war. Und es ist ja Geld für eine Übergangslösung vorgesehen. Das nun wohl in ein Vorbereitungsjahr für den neuen Intendanten der Tanzsparte fließen soll, anstatt dem Publikum weiterhin eine eigene Tanzkompanie zu bieten. Was die Öffentlichkeit vielleicht nicht weiß, ist, dass unsere Finanzierung aus mehreren Quellen stammt - Land NRW/Neue Wege, Kunststiftung NRW und Stadt München sowie städtische Bühnen Köln - und wir darauf hoffen können, dass diese Finanzierung fortgesetzt wird. Es sollte keine Entweder-oder-Situation sein. Ein Unternehmen, in das Millionen von Euro investiert wurden, auflösen zu lassen, scheint nicht die nachhaltigste Entscheidung zu sein, gerade für eine Stadt, die so sehr auf Nachhaltigkeit bedacht ist wie Köln.

Köln ist die Stadt, in der ich mich sofort zu Hause gefühlt habe.
Livia Gil, Tänzerin

Gil: Eine Tänzerkarriere ist so kurz, dass sich drei Jahre wie eine viel längere Zeit anfühlen. Es gibt viele verschiedene Kompanien in Deutschland, aber diese hier bietet etwas Einzigartiges. Und Köln selbst hat ein unglaubliches Angebot an Kultur und Kunst. Deswegen fiel es uns leicht, uns hier willkommen zu fühlen. Ich habe in Leipzig und in Wiesbaden gearbeitet, aber Köln ist die Stadt, in der ich mich sofort zu Hause gefühlt habe.

Warum?

Gil: Für mich liegt das an der Offenheit der Menschen hier. Ich hatte das Gefühl, dass es ein gutes Umfeld für unsere Kompanie ist.

Was unterscheidet das Ballet of Difference denn von anderen Gruppen?

Supple: Im Laufe der Jahre ist die Kompanie immer harmonischer geworden. Das können Sie sogar auf der Bühne beobachten. In „Xerox“ zum Beispiel gibt es keine richtige Musik, keine Möglichkeit, die Takte zu zählen, die Tanzenden müssen sich aufeinander verlassen, sie müssen nonverbal kommunizieren. Trotzdem dauert jede Vorstellung immer genau gleich lang, jeden Abend, es funktioniert wie eine Maschine. Es ist eine familiäre, herzliche und akzeptierende Gruppe. Und eine nachdenkliche Gruppe: Wir können schwierige Diskussionen miteinander führen und leidenschaftlich über Dinge streiten. Indem das Unternehmen die Individualität jedes Einzelnen fördert, ermöglicht es auch eine Art von Kollektivität.

Gil: Am Anfang war es manchmal schwierig. Sobald wir die gesamte Gruppe versammelt hatten, kam die Pandemie. Eine schwere Zeit. Aber im Laufe der Spielzeiten klappte es immer besser. Jetzt fühlt es sich so an, als müssten wir mitten im Flow unterbrechen.

Das Ballet of Dance hat am 8. März 2023 im Rahmen der lit.Cologne zur öffentlichen Probe im Schauspiel Köln eingeladen. Im Anschluss redeten Dramaturg Tobias Staab und Choreograf Richard Siegal über Text im Ballett

Das Ballet of Difference bei einer öffentlichen Probe im Schauspiel Köln

Hat dieser Prozess dank der Grundregeln, die Richard Siegal aufgestellt hat, so gut funktioniert?

Gil: Am Ende des Tages ist es natürlich Richards Vision. Aber es ist ein offenes, demokratisches Umfeld. Im Moment fühlt sich das BoD wie der perfekte Ort an.

Könnte die Kompanie zusammenbleiben, selbst wenn die Finanzierung ausläuft?

Supple: Würden wir BoD gerne fortsetzen? Auf jeden Fall. Aber selbst, wenn wir die Kompanie nur für ein Jahr auflösen, wäre das ein Problem, weil die Karriere eines Tänzers so kurz ist. Wir haben in Köln zwar eine wunderbare freie Szene. Aber es ist eine kleine Szene und abgesehen davon, dass nur sehr wenig Geld zur Verfügung steht, ist sie auch nicht mit den Bedingungen ausgestattet, die Balletttänzer benötigen, um gesund und fit zu bleiben. Zu erwarten, dass die Tänzerinnen und Tänzer ein Jahr lang in Köln bleiben ist nicht realistisch, die meisten von uns haben eine Aufenthaltserlaubnis, die mit ihrem Vertrag verbunden ist und müssten Deutschland verlassen.

Gil: Balletttänzer müssen bestimmte Anforderung erfüllen, die man in der zeitgenössischen Freiberuflichkeit nicht braucht. Deshalb sind sie normalerweise an eine Kompanie gebunden. Sie brauchen eine regelmäßige Basis zum Trainieren.

Mir eine Zukunft ohne das Ballet of Difference vorzustellen, fällt mir im Moment schwer.
Evan Supple, Tänzer

Supple: Ich habe mich tatsächlich gerade von der Bühne verabschiedet. Das war meine letzte Saison als Tänzer. Ich werde in der nächsten Saison als Stellvertreter der künstlerischen Angelegenheiten und Referent zur künstlerischen Leitung in der Kompanie bleiben. Aber ich liebe es, mit Richard zu arbeiten, und ich liebe es, mit diesen Tänzern zu arbeiten, mir eine Zukunft ohne das BoD vorzustellen, fällt mir deshalb im Moment schwer.

Sie haben sich von der Bühne zurückgezogen, weil ...

Supple: … es an der Zeit war. Ich hatte eine unglaubliche Karriere, habe alles geschafft, was ich machen wollte. Mein Körper sagt langsam, dass es genug ist. Ich hatte im Mai meinen letzten Auftritt in Köln und wir haben auch zwei unglaubliche ausverkaufte Vorstellungen im Prinzregententheater in München gespielt. Das hat sich angefühlt wie ein Rockkonzert, wie ein ausverkauftes Theater uns 10 Minuten lang zujubelt.

Wurden Sie auf Gastspiele mehr geschätzt als in Köln?

Supple: Nein, gerade weil Köln uns schätzt, hat das Ensemble internationales Ansehen erlangt und wird jetzt nach New York, Rom, Mailand oder München eingeladen. Das sind große Institutionen, wo wir Köln repräsentieren können. Einige dieser Gastspiele werden nun nicht mehr stattfinden, wenn wir unsere Basis hier verlieren. In Köln haben wir einen unglaublichen Verein von Freunden und Förderern.

Livia Gil, wissen Sie schon, wie es nach dem Sommer 2024 weitergeht?

Gil: Nein, die Entscheidung ist noch zu frisch, die muss ich erst einmal verdauen. Für mich war das hier das Beste, was ich je erlebt habe, deshalb wird es mindestens bittersüß sein, den nächsten Schritt zu planen.

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