Abo

Band Die Nerven im LuxorDas unbestimmte Gefühl, betrogen worden zu sein

Lesezeit 3 Minuten
Bassist Julian Knoth von der deutschen Noiserock-Band Die Nerven brüllt ins Mikrofon. Gitarrist Max Rieger steht im Kölner Luxor auf dem Schlagzeug-Podest von Drummer Kevin Kuhn.

Die Nerven spielten im ausverkauften Luxor

Die Nerven gelten schon lange als die beste deutsche Liveband. Das konnte das Trio aus Stuttgart im Kölner Luxor eindrücklich bestätigen. 

Nach einer Viertelstunde exquisiten Lärms und gebrüllter Beschwerde-Lyrics hält Max Rieger kurz inne, um sich ans Publikum im ausverkauften Luxor zu wenden. Das Kölner Konzert sei das erste, das die Band im noch jungen Jahr spiele. „Das hört man“, ruft ihm ein Mensch aus der Menge entgegen.

Ein Scherz unter Freunden. Die Nerven – ursprünglich aus Esslingen am Neckar, später über Stuttgart nach Berlin verzogen – kann sich nicht nur eines famosen Bandnamens rühmen, das Power-Trio aus Rieger an der Gitarre, Julian Knoth am Bass und Kevin Kuhn am Schlagwerk gilt gemeinhin als eine der besten deutschen Live-Bands. Und daran gibt auch nichts zu rütteln, man könnte höchstens das „deutschen“ streichen.

Hatte Rieger nicht sowieso davon gesungen, dass er jeden Tag in Deutschland sterben muss, weil die Dunkelheit einfach nicht gehen will? Weil wir nicht, wie es in „Europa“ heißt, dem ersten Song des Sets, lernen aus Fehlern und Leid. Das Trio war zur „Ode an die Freude“ auf die Bühne geschlurft, der offiziellen Hymne des alten Kontinents. Dem setzen die Nerven prompt eine gewaltig sich auftürmende Wand aus Gitarre-Schlagzeug-Bass entgegen, die es an Wucht locker mit dem guten Ludwig van aufnehmen kann. Der Song beschreibt eine Jugend im Elfenbeinturm des Endes der Geschichte, eine Illusion von absoluter Sicherheit: „Und ich dachte irgendwie/In Europa stirbt man nie.“

Alles zum Thema Konzerte in Köln

Ihr Unwohlsein in prägnante Zeilen zu fassen, diese Kunst beherrscht die Band von Album zu Album immer noch etwas besser: „Ich könnte überallhin gehen, aber kann mich nicht bewegen!“ Noch so eine Klage, der man sich bedingungslos anschließen möchte. Tatsächlich bewegen sich Die Nerven schon seit einer halben Pop-Ewigkeit auf höchstem Niveau, bereits ihr zweites Album „Fun“ wurde 2014 als frühes Meisterwerk ausgerufen, mehr aufgekratzte Energie kann man aus dem unbestimmten Gefühl, von der Gesellschaft, in die man hineingeboren wurde, betrogen zu werden, nicht ziehen: „Was auch immer wir jetzt lernen, ist mit Sicherheit nicht wichtig/Was auch immer wir jetzt lernen, ist mit Sicherheit egal“, singt Knoth in „Albtraum“.

Wie rockt man, wenn es auf die 30 zugeht?

Mittlerweile gehen Die Nerven auf die 30 zu, da hat man unweigerlich einiges gelernt. Zum Beispiel eine gewisse Virtuosität im Umgang mit seinem Instrument. Die ist nicht abzustreiten. Kevin Kuhn mag sich seinen extrem unterhaltsamen Performance-Stil beim Tier aus der Muppet-Show abgeschaut haben, aber hier erzählt jeder Beckenschlag seine eigene Geschichte. Max Rieger hat sich längst einen Ruf als einer der einflussreichsten Produzenten im Indie-Bereich erarbeitet (u.a. für Casper, Drangsal, und Stella Sommer) und Julian Knoth hat sich, wie Rieger trocken bemerkt, „noch nie in seinem Leben verspielt“.

Da ist es umso bemerkenswerter, wie gut Die Nerven ihr jugendliches Aufbegehren konserviert haben. Nicht im Sinne eines Entwicklungsstillstands, sondern in ihrer Weigerung, weder das Nicht-Einverstandensein, noch den Glauben an die reinigende Wirkung einer Rockshow aufzugeben.

Ihre aktuelle Platte trägt schlicht den Bandnamen, wie man das so macht, wenn man weiß, dass einem noch mal ein definitives Statement gelungen ist. Aber die manchmal fast Pop-affinen Songs des neuen Albums lösen sich im Konzert zunehmend in belohnungsaufschiebende Stop-and-Go-Riten und Feiern der rauen Textur auf. Das Publikum im Luxor hat sich längst zur pogende Masse aufgelöst, man möchte nirgendwo anders hingehen. Man kann sich endlich wieder bewegen. Und zur Belohnung darf Kevin Kuhn ein kurzes, schnelles Motörhead-Cover heraushauen. „Ace of Spades“, da fühlt man sich doch gleich wieder wie im Probenkeller der Kleinstadtkindheit.

KStA abonnieren