Bodyshaming nach GrammysWarum uns Madonnas Gesicht nichts angeht

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Sängerin Madonna, im Profil abgebildet, kündigt den Auftritt der Musiker Sam Smith und Kim Petras bei der Verleihung der 65. Grammy Awards an.

Madonna bei der Verleihung der 65. Grammy Awards

Nach Madonnas Auftritt bei den Grammy Awards lästerten Menschen in den sozialen Medien über das angeblich entstellte Gesicht der Sängerin. Die wehrt sich völlig zurecht.

Wenn sie in 40 Jahren Schaugeschäft eines gelernt habe, verkündete Madonna am vergangenen Sonntag auf der Bühne der Grammy-Gala, dann sei das folgendes: „Wenn man dich schockierend, skandalös, lästig, problematisch, provokativ oder gefährlich nennt, bist du auf jeden Fall auf der richtigen Spur.“

Die quasi ab Werk eingebaute Schockgarantie der 64-jährigen Popkönigin zog auch diesmal, allerdings nicht so, wie Madonna das beabsichtigt hatte. In den sozialen Medien zerrissen sich die Menschen das Maul über das „neue Gesicht“ der Sängerin. Angeblich – und das war noch eine der harmloseren Wortmeldungen – sei sie nach schönheitschirurgischen Eingriffen kaum noch zu erkennen.

Das, möchte ich hier einfach mal behaupten, ist glatt gelogen. Jeder ungefragte Kommentator, es waren in der Mehrzahl Männer, wusste sehr wohl, dass das Madonna war, die hier gerade den Auftritt von Sam Smith und Kim Petras mit ihrer Single „Unholy“ ansagte. Und dass sich Madonna entschieden hat, dem Alterungsprozess mit diversen Renovierungs- und Umgestaltungsarbeiten zu begegnen, war auch schon vor ihrem Auftritt in Los Angeles kein Geheimnis.

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Keith Richards wird für jede Gesichtsfalte gelobt

Das mag nun privat jede und jeder finden wie er oder sie will. Auch könnte man einmal mehr die doppelten Standards für Frauen und Männer kritisieren, ganz generell und insbesondere im Entertainment-Bereich: Bei Keith Richards wird jede Gesichtsfalte als Authentizität-Beweis gelobt. Falls Sie jemals etwas Ähnliches über eine Sängerin oder Schauspielerin gelesen haben, dürfen Sie mir gerne den Beweis schicken. Aber die Frage, inwieweit die unrealistischen Erwartungen der Gesellschaft Schuld am Schönheitswahn sind, oder die Angst vor dem Tod und der Kult ewiger Jugend, müssen wir an dieser Stelle nicht klären.

Denn es geht ja viel simpler: Es gehört sich nicht, in der Öffentlichkeit die Körper anderer Menschen zu diffamieren oder zu kritisieren. Egal, ob es nun um Madonna geht, oder den offensichtlich übergewichtigen Menschen, der ihnen in der U-Bahn gegenübersitzt. Dass es ethisch fragwürdig ist, dem unbekannten Passanten ihre Ansicht zu seiner Figur mitzuteilen, muss man wohl nicht weiter ausführen (viele tun aber genau das trotzdem). Und es ist nicht weniger falsch, einen Tweet abzusetzen, in dem man abschätzig die äußere Erscheinung eines Promis kommentiert.

In beiden Fällen nennt man das Bodyshaming, aber das wussten Sie wahrscheinlich bereits. Oder finden Sie, dass Madonna, als mit allen Wasser gewaschene Rampensau, das dumme Gerede gefälligst auszuhalten hat?

Fragen wir sie selbst: Auf Instagram reagierte Madonna auf die beschämenden Posts, schrieb, dass sie sich „einmal mehr im grellen Widerschein von Ageismus und Misogynie“ wiederfinde: „Ich habe mich noch nie für eine meiner kreativen Entscheidungen entschuldigt, auch nicht für mein Aussehen oder meine Kleidung, und damit werde ich auch nicht anfangen.“ Aber dann erzählt sie doch etwas Entschuldigendes von Nahaufnahmen, die mit einem Teleobjektiv aufgenommen worden seien, das jedes Gesicht entstellen würde. Mit anderen Worten: Die Dame ist angefasst. Sie und ich wären es ja auch.

Dürfen wir jetzt gar nicht mehr über prominente Gesichter reden? Wo Klatsch doch fundamental ist? Doch, das geht durchaus noch. Zum Beispiel, wo wir schon bei den Grammys sind, über die starre Maske, mit der Ben Affleck die Zeremonie verfolgte, das eigene, bereits seit Jahren im Internet herumgeisternde „Sadfleck“-Meme aufgreifend. Einmal, als die Kameras direkt auf das Paar hielten, knuffte Jennifer Lopez ihrem Gatten hart in die Seite. Es half nichts. Affleck blieb unbewegt. Aber Schuld war hier keine Überdosis Botox, sondern die genetisch fest verankerte männliche Unlust, seine Frau zur Feier ihres Betriebs zu begleiten.

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