Aktionswoche zu BücherverbrennungDiese Werke überlebten Feuer und Zensur

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10.05.2023
Köln
Eröffnung der Aktionswoche verbrannt & verbannt in der Zentralbibliothek. Günter Wallraff, Navid Kermani, Lale Akgün und Eva Weissweiler stellen Bücher vor, die unter NS-Herrschaft verboten waren oder es noch heute in vielen Staaten sind.
Hier mit Navid Kermani
Foto: Martina Goyert

Navid Kermani bei der Eröffnung der Aktionswoche verbrannt & verbannt in der Zentralbibliothek.

In der Eröffnung der Aktionswoche „verbrannt und verbannt“ stellten Günter Wallraff, Navid Kermani, Lale Akgün und Eva Weissweiler Werke vor, die unter der NS-Herrschaft verboten waren oder noch heute in vielen Ländern zensiert werden. 

„Nicht entmutigen lassen, das hat Zukunft!“, soll Armin T. Wegner Günter Wallraff in seiner ersten öffentlichen Lesung 1961 zugerufen haben. Wallraff erkannte ihn damals nicht. Er hätte nicht ahnen können, dass er 62 Jahre später bei einer Gedenkveranstaltung zu den Bücherverbrennungen unter dem NS-Regime aus seinen Briefen lesen würde.

Denn Wegner erlebte den Vernichtungswillen gleich zweier Regime. Er dokumentierte den Genozid des Osmanischen Reichs an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs. Und im 11. April 1933 schrieb er einen offenen Brief an Hitler, um die Juden als Teil der deutschen Bevölkerung zu verteidigen. „Ach, ich müsste Blätter füllen, wollte ich nur deren Namen aufzählen, deren Fleiß, deren Klugheit für immer in unserer Geschichte verzeichnet stehen“, liest Wallraff aus dem Brief. Wegner überlebte die NS-Repressalien, die folgten. Trotzdem kenne ihn heute kaum jemand, so Wallraff bei der Veranstaltung.

Aktionswoche „verbrannt und verbannt“ läuft vom 10. bis zum 17. Mai in Köln 

Wegner ist einer von insgesamt fünf Autorinnen und Autoren, den das Publikum der Zentralbibliothek zur Eröffnung der Aktionswoche „verbrannt und verbannt“ kennenlernen durfte. Die verschiedenen Events der Aktionswoche behandeln vom 10. bis zum 17. Mai Werke, die in den Bücherverbrennungen vor 90 Jahren auf dem Scheiterhaufen landeten oder noch heute in vielen Staaten zensiert werden.

Bei der Eröffnung der Aktionswoche in der Kölner Stadtbibliothek taten das der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani, die SPD-Politikerin Lale Akgün, die Schriftstellerin Eva Weissweiler und Investigativjournalist Günter Wallraff. Alle haben Texte verbotener Autoren und Autorinnen mitgebracht. Fatih Çevikollu moderiert, die iranischen Musiker Maryam und Mostafa Akhoundi spielen Lieder.

Fatih Çevikollu vergleicht die AFD mit Stuhlgang

Der Abend begann mit der Moderation von Çevikollu humorvoll. Das sei auch bei so einem Thema wichtig, Humor unterscheide uns von Extremisten. Grundsätzlich verbreitet der Schauspieler viel Optimismus. Er betont, dass die Gesellschaft so vielfältig und so stark sei wie noch nie. „Wir leben gegenwärtig in der besten Zeit, die wir je hatten.“ Doch diese Vielfalt gelte es auch zu verteidigen, denn es gebe auch Widerstand gegen diese Richtung. „Eine Kraft dagegen ist die AFD. Die AFD erkennt man am Geruch. Das ist alter, akademischer Stuhlgang. Tief, braun, schwarz, fest. Da hilft nur viel Wasser trinken.“

Navid Kermani widersprach dem Optimismus des Moderators, weitete den Blick auf die Nöte im Rest der Welt, etwa in Äthiopien. Kurz erwähnte er auch die Situation im Iran. „Alle namhaften Autoren und Autorinnen können dort nicht veröffentlichen.“ Kermani wählte aber für seinen Beitrag keinen iranischen Autor, sondern stellte Gedichte von Joachim Ringelnatz vor.

Navid Kermani zeigt, wie Ringelnatz die Nazis durchschaute

Damit knüpft er an Çevikollus humorvolle Moderation an. Im Gedicht „An Berliner Kinder“ beschreibt Ringelnatz wie in einem Blick durch das Schlüsselloch, was die Eltern des Nachts tun, wenn die Kinder schlafen gehen müssen: „Ich kann's euch sagen: da wird geküsst, geraucht, getanzt, gesoffen, gefressen. Da schleichen verdächtige Gäste herbei. Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen, bis zur Papagei-Sodomiterei“.

Ringelnatz ließe sich aber nicht als lustiger Versschmied abstempeln. Geradezu prophetisch habe er koloniale Missstände und die Grausamkeit des NS-Regimes in Gedichten aufgedeckt. „Und unsere Lehre ist Klarheit und unsere Lehre ist Hass“, schrieb Ringelnatz in „Wir sind, sagen die Lauen“. Der Poet verarmte aufgrund seines Auftrittsverbotes durch die Nazis und starb 1934 an Tuberkulose.

Schriftstellerin Eva Weissweiler liest aus Anna Seghers „Der Ausflug der toten Mädchen“

Auch Eva Weissweiler stellte mit Anna Seghers eine Autorin vor, deren Werke von den Nationalsozialisten verboten wurden. Seghers floh ins Exil, lebte in Zürich, Paris und Mexiko, dabei habe sie das Rheinland über alle Maßen geliebt. Ihre Mutter starb im Holocaust. „Die Verfemung durch die Bücherverbrennung hat ihr nichts anhaben können“, sagt Weissweiler.

Trotz der vielen Schicksalsschläge habe sie im Exil einfach weitergeschrieben. Im Online-Katalog der deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt seien nicht weniger als 1500 Titel verzeichnet, mit Übersetzungen in alle Weltsprachen. Weissweiler las einen Auszug aus Anna Seghers „Der Ausflug der toten Mädchen“. Im Buch beschreibt die Ich-Erzählerin, wie sie Freundinnen und Mutter im Verlauf zweier Weltkriege verliert, es enthält autobiografische Elemente.

SPD-Politikerin Lale Akgün blickt auf die Wahl in der Türkei

Mit Blick auf die Wahlen in der Türkei stellte Lale Akgün einen Text des „größten Satirikers der Türkei“ vor, Aziz Nesin. „Satire ist in Diktaturen einer der einzigen Waffen, die man hat, weil oft genug die Zensoren zu dumm sind, um sie zu verstehen“, sagte Akgün. Nesin habe das politische und menschliche Elend in der Türkei wie kein Zweiter in Satire verpacken können. Lale Akgün las aus einer Geschichte, in der ein Esel erst sehr spät vor einem Wolf flieht, obwohl er ihn hat kommen sehen. Er leugnet den Wolf auch dann noch, als das Raubtier ihn zerfleischt. „Hoffen wir, dass in drei Tagen in der Türkei nicht die Esel wählen gehen“, resümiert die SPD-Politikerin.

Wegen seiner Spitzen gegen autoritäre Gestalten wie den iranischen Schah habe Aziz Nesin über 200 politische Prozesse hinter sich bringen müssen und saß insgesamt fünfeinhalb Jahre in Haft. „Wobei er dort in guter Gesellschaft war. Denn das Gefängnis wird in der Türkei gerne als die zweite Adresse von Autoren und Schriftstellern betitelt.“ Islamische Fundamentalisten erklärten Aziz Nesin in einer Fatwa zum todeswürdigen Abtrünnigen, nachdem er Salman Rushdies „Satanische Verse“ auf Türkisch herausgab.

Günter Wallraff erinnert an Oskar Maria Graf

Aziz Nesin hätte – wie Salman Rushdie - nach seiner Fatwa bei Günter Wallraf Unterschlupf gefunden, erzählt der Investigativjournalist im letzten Beitrag des Abends. Neben Armin T. Wegner stellte Wallraf auch Texte von Oskar Maria Graf vor, „ein Urbayer, der aus dem Leben schrieb“. Graf empörte sich nach den Bücherverbrennungen darüber, dass die Nazis sein Werk auf eine weiße Liste aufnahmen, wodurch seinen Büchern die Flammen erspart blieben. „Diese Unehre habe ich nicht verdient“, schrieb Graf in der Wiener Arbeiter-Zeitung. „Nach meinem ganzen Leben und meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen.“

Oskar Maria Graf floh ins Exil in die USA. Blickt man mit den Gästen der Eröffnungsveranstaltung der Aktionswoche auf die Ereignisse vor 90 Jahren zurück, bewahrheitete sich Grafs provokanter Satz: „Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein, wie eure Schmach.“ Denn was die Nazis damals verboten, hat Zukunft. 

Zur Veranstaltung

Während der Aktionswoche „verbrannt und verbannt“ finden an zahlreichen Orten Lesungen und andere Events statt. Das ganze Programm ist hier einsehbar. 

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