Claudia Michelsen im Interview„Ich empfinde das Älterwerden als einen Luxus“

Lesezeit 8 Minuten
1_Polizeiruf_110_Totes_Rennen

Claudia Michelsen als Doreen Brasch im neuen „Polizeiruf 110”

  • Claudia Michelsen spricht in Interview über ihre Rolle in „Polizeiruf 110“ und wichtige Veränderungen im Leben.
  • Die 51-Jährige hat auch eine Meinung zu den Theaterspielen in der DDR und den „nicht zu verortenden Zauber“ der Schauspielerei.

Frau Michelsen, Sie haben zwei Folgen von „Polizeiruf 110“ mit Ihnen als Solo-Ermittlerin gedreht. Welche neuen Möglichkeiten haben sich denn da ergeben?

So neu sind die Möglichkeiten gar nicht. Doreen Brasch war ja schon immer als einsame Reiterin konzipiert, die sich weder an Vorschriften noch an ein soziales Miteinander hält. Sie hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitswahn und kommt sozusagen im Sturzflug immer denen zu Hilfe, die in Not sind. Sie tastet sich nicht heran, sondern geht immer den kurzen, direkten und dadurch manchmal schmerzhafteren Weg.

Sie spielen die Hauptkommissarin Doreen Brasch seit sieben Jahren. Wie haben Sie in dieser Zeit die Figur verinnerlicht und weiterentwickelt?

Das Interessante ist, dass wir mit Brasch mal anders angefangen haben. Mein damaliger Kollege Sylvester Groth, der den Hauptkommissar Jochen Drexler spielte, war ähnlich wie Brasch eine sehr verschrobene, eigenwillige und großartige Figur. Und damals hat man diese beiden nicht sozialisierbaren Figuren aufeinander losgelassen. Herrlich war das. Als Sylvester dann leider aus der Reihe ausschied, kam Brasch damit natürlich in eine andere Position. Dann kam ein anderer Kollege für Brasch, nämlich Matthias Matschke als Dirk Köhler dazu – und auch dadurch veränderte sich Brasch wieder ein wenig. Es ist wie im Leben, manchmal ergänzt man sein Umfeld und vermeidet die Positionen, die andere schon besetzt haben. Wenn einer laut ist, braucht der andere nicht auch noch laut sein, man sucht sich die Lücke, ergänzt.

Können sich Menschen – sagen wir, jenseits der 25 Jahre – noch verändern? Oder sind die Charaktereigenschaften da schon so festgeschrieben, dass man sich nur noch an den Rändern ein wenig verändert?

Ich glaube fest daran, dass sich Menschen noch bis ins hohe Alter verändern können. Das ist zuerst einmal eine Entscheidung, ob man das möchte.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie haben Sie sich denn verändert? Durch glückliche Ereignisse? Durch Katastrophen? Oder ist das ein ständiger Prozess?

Ich denke, ich habe mich durch alles, was ich erlebt habe, verändert. Aber vielleicht nennen wir es lieber Bewegung, Entwicklung. Oft sind es auch Erlebnisse, die einem unbewusst einen anderen Horizont geben. Bewusste, gewünschte Veränderung geht ja nur durch Reflexion. Zu sehen, was will man oder was will man so nicht mehr, was möchte man verändern? Das Leben als beständiger Lernprozess. Wenn man dafür offen ist, kann man sich zu jeder Zeit verändern. Alles ist möglich.

Sie sagten einmal: »Die Schauspielerei ist eine Lebenserfahrung, die man geschenkt bekommt.« Was genau meinen Sie damit?

Das Geschenk ist, dass man Reisen in andere Leben macht. Aber diese Leben auch wieder verlassen darf. Als Schauspielerin komme ich ja von außen in das Leben einer Figur hinein, wenn man das so sagen kann. Allein schon deshalb habe ich einen ganz anderen Blick darauf, als zum Beispiel auf mein eigenes Leben. Deshalb ist dieses Eintauchen in ein fremdes Leben auch immer fast schon eine Form von Therapie, wie ich finde. Wie interpretiere ich eine Figur und wie positioniere ich mich dazu? Und das ist ein Geschenk. Denn dadurch erhält man viele Momentaufnahmen aus anderen Leben. Und ich glaube diese nimmt man dann mit in seinen eigenen Lebensrucksack.

Hilft Ihnen dieses Einfühlen in andere Leben auch in Ihrem eigenen Leben?

Nein, ich glaube nicht. In den Tälern des Lebens, durch die wir alle immer mal wieder durch müssen, hilft einem kein Wissen über dies und das. Vielleicht mildert dieses Wissen schmerzhafte Gedanken und Gefühle ein wenig. Man muss sich mit dem eigenen Tal auseinandersetzen ob man will oder nicht. Und im besten Falle kommt man stärker oder ein wenig weiser dabei heraus. Aber ich sage damit nicht, dass es einfach ist zu verlieren. Wir alle verlieren, immer wieder.

»Die Schauspielerei ist Handwerk«, sagten Sie einmal. Ist es wirklich nur Handwerk oder nicht doch viel mehr? Eine gute Schauspielerin wie Sie beherrscht gewiss ihr Handwerk, aber fügt doch dann noch viel mehr hinzu …

… jetzt werde ich rot … Natürlich brauchst du Talent und die Bereitschaft, den Leuten zuzugestehen, dass sie in einen hineinschauen dürfen. Wie weit mache ich die Tür zu meiner Seele auf? Aber auch das ist Handwerk. Das ist ja kein Zufall. Wenn man Theater spielt, oder auch beim Film, muss man genau im richtigen Moment auf dem Punkt sein. Da gehört natürlich Technik dazu, auch wenn man noch so viel Talent hat. Ich kann ja schlecht sagen: »Heute ist ein guter Tag, um in meine Seele zu schauen. Morgen ist nicht so gut.« Im Prinzip geht es immer darum: Wie stelle ich das her? Das ist von Person zu Person dann unterschiedlich, weil es ja auch verschiedene Leben, verschiedene Seelen sind und es unterschiedlichste Methoden gibt. Dieses »Mehr« ist dann vielleicht der nicht zu verortende Zauber, der da in einem stattfindet. Und trotzdem muss man wissen, wie man den mit seinem kleinen Zauberstab herstellt. Auch Zaubern muss man lernen.

Das hat auch etwas mit Leidenschaft zu tun. Wofür begeistern Sie sich immer noch?

Ich bin neugierig. Auf alles. Ich bin neugierig auf die Welt, auf Menschen, auf meine Kinder. Ich bin neugierig, wenn ich ins Theater gehe oder ins Kino oder in die Welt hinaus. Eben aufs Leben. Was mir da so begegnet. Und auch darauf, was ich selbst so verursacht oder geschaffen habe. Wenn ich die Neugier verlieren würde, wäre das dass Schlimmste. Das wäre wie tot sein, sterben.

Wächst mit dem Alter auch die Weisheit?

Ich empfinde, das Älterwerden als einen Luxus, natürlich solange man gesund bleibt. Weil man sich mit bestimmten Dingen nicht mehr aufhält. Sondern sich fragt: Ist mir das jetzt wirklich wichtig – oder nicht? Ist mir dieser Mensch wichtig? Möchte ich das wirklich tun? Zeit bekommt eine andere Bedeutung. Mit wem möchte man diese Lebenszeit verbringen und wie? Diese Erkenntnis hatte ich als junge Frau noch nicht. Das ist auch gut so, wie will man sonst losgehen und die Welt erobern? Alles fühlt sich doch an, als wär’s für ewig.

Es ist doch auch ein Luxus, im Moment zu leben, oder?

Natürlich ist es das, ein wunderbarer Luxus, wenn man das kann. Es gilt, daran zu arbeiten, und zu lernen, mit den Dingen und sich selbst anders umzugehen. Bewusstseinsschule jeden Tag. Den Moment wirklich wahrnehmen zu können, ich musste das lernen und bin immer noch dabei. Aber es wird einfacher. In der ersten Lebenshälfte hat man vielleicht eher das Gefühl, man ist unsterblich. In der zweiten rutscht man natürlich näher an die Endlichkeit. Und dadurch sieht man klarer oder anders. Womit beschäftige ich mich noch? Bin ich wirklich dabei bei meinem eigenen Leben, oder laufe ich nur nebenher?

Sind Sie eigentlich gläubig?

Ja, ich bin ein gläubiger Mensch. Aber ich kann nicht sagen, ich gehöre dieser bestimmten Religion an. Es gibt einen Gott, es gibt Energien. Eine sehr eigene Form von Gott, veränderbar und beweglich.

Sie sind in der DDR geboren und aufgewachsen. Wovon mussten Sie sich in Ihren prägenden Jahren emanzipieren?

Zum Beispiel von diesem brutalen Atheismus. Es hat auch eine Weile gedauert, bis ich mir meine ganz persönliche, auch spirituelle Gedankenfreiheit erlauben konnte.

Claudia Michelsen

Claudia Michelsen (51) gehört zu den besten deutschen Charakterdarstellerinnen. Im Kino war sie in „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ und dem Thriller „Das Ende der Wahrheit“ zu sehen. Im Fernsehen unter anderem in Uwe Tellkamps „Der Turm“, in der Nachkriegs-Trilogie „Ku’Damm ’56“ und „’59“ – „Ku’damm ’63“ sendet das ZDF im Frühjahr – und als Kommissarin Doreen Brasch im „Polizeiruf 110“. In dieser erfolgreichen ARD-Krimi-Serie geht sie am 16. Februar zum ersten Mal in der neuen Folge „Totes Rennen“ alleine auf Verbrecherjagd. (ksta)

War das Theater in der DDR eine geschützte Zone, wo man anders sein konnte?

Absolut. Ich studierte mit 16 Jahren schon an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin, und mit 19 wurde ich bereits an die Volksbühne in Berlin engagiert. Ich durfte mit Regisseuren wie Heiner Müller, Luc Bondy, Frank Castorf, Christoph Marthaler und Hans Kresnik arbeiten. Mein eigentlicher Impuls, warum ich damals ans Theater wollte, war ein politischer. Ich wollte dabei sein. Ich wollte etwas tun gegen dieses kranke System. Ich wollte etwas verändern.

Und 1989 kam die Wende.

Da war ich 20. Ich habe danach noch fünf Jahre Theater gespielt. Eine sehr wichtige und prägende Zeit für mich. Etwas Besseres hätte mir in dem Alter nicht passieren können. Aber das Theater ist eben nicht die Welt. Es ist eine wunderbare Welt, aber nicht die Welt. Das war für mich damals auch ein Grund, diese Welt zu verlassen. Mein Traum, schon als junges Mädchen war immer Paris. Paris war das Ziel.

Wo Sie aber nie angekommen sind. Warum nicht?

Ja, die Liebe. Ich bin meinem ersten Ehemann begegnet und ihm nach Amerika gefolgt. Diese Jahre waren sehr wichtig für mich. Den Horizont Theater und DDR zu verlassen, war sehr heilsam auf vielen Ebenen. Allein der Umgangston war ein anderer. Das Land war spürbar im Aufbruch damals während der Clinton-Ära. Außerdem, glaube ich, ist es immer wieder gut, einen Schritt rauszutreten aus dem gewohnten Kosmos und von außen auf das zu schauen, was man hinter sich lässt und was man später ganz anders umarmen und wertschätzen kann.

Das Gespräch führte Ulrich Lössl 

KStA abonnieren