70. Geburtstag von Diana RossSie ist das wahre Gesicht des Pop

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Angenommen ein verrückter Internet-Millionär verfiele auf die Idee, Voyager 1 und 2 noch eine dritte Raumsonde mit einer goldenen Schallplatte hinterherzuschicken. Und angenommen, diese goldene Schallplatte sollte einzig und allein dem Zweck dienen, etwaigen außerirdischen Lebensformen das sehr irdische Vergnügen namens Pop-Musik nahezubringen, welche Songs würden Sie auswählen?

Darüber könnte man jetzt lange nachgrübeln. Oder die einfachste und, meiner Meinung nach, schlüssigste Lösung wählen, ein komplettes Album: „Diana“ (1980) von Diana Ross.

Dabei war Ross, damals bereits im 20. Jahr ihrer Karriere, zuerst todunglücklich mit den Aufnahmen. Auf der Suche nach Relevanz hatte sie Nile Rodgers und Bernard Edwards von Chic gebeten, ihr ein neues Klanggewand auf den Leib zu schneidern. Doch die fertigen Bändern klangen ihr zu sehr nach Chic und zu wenig nach der Sängerin, die vier Jahre zuvor vom „Billboard Magazine“ zur Entertainerin des Jahrhunderts ausgerufen wurde. Weshalb der Star höchstpersönlich eine Neuabmischung vornahm. Weniger Soli, mehr Glanz, mehr Tempo, mehr Diana: „I’m Coming Out“

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Perfekte Pop-Platte

Die Originalversion ist musikalisch befriedigender (und wirkt nach Daft Punks Neuauflage des Nile-Rodgers-Sound wieder ganz aktuell), aber „Diana“ ist dafür die perfekte Pop-Platte geworden. Ein aufregender Sound, eine Sängerin mit Sex-Appeal und Ellenbogen, das Versprechen, alles anders zu machen – „Upside Down“ – und das gleichzeitige Bemühen, damit jeden Hörer zufriedenzustellen. Großes Diven-Theater, das aber funky, frisch und tanzbar.

Wer die zeitgenössische Pop-Musik verstehen will, findet bei den Supremes mehr Antworten als bei den Beatles. Motown-Chef Berry Gordy mag die erfolgreichste Girl-Group aller Zeiten geformt, Lamont Dozier und die Holland-Brüder ihre größten Hits geschrieben haben – von „Where Did Our Love Go“ bis „You Can’t Hurry Love“ – aber es war Diana Ross die alle Augen auf sich zog und deren Stimme weder nach Blues noch Gospel klang, sondern mit makelloser Intonation und in hoher Frequenz vibrierend über dem Rhythmus-Track flog. Eine große Stimme besaß sie nie, aber dafür die ideale, um das überschäumende Glück aus den schwarzen Rillen zu kitzeln. Ein Best-of-Album der Supremes könnte man ebenfalls bedenkenlos ins All schicken. Anfangs frisierte, schminkte, entwarf und nähte Ross auch die Kostüme der Supremes, wenn sie ein Produkt war, dann ihr eigenes.

Jahrhundert-Entertainerin

Der überwältigende Erfolg des Trios und die harte Hand ihres einstigen Liebhabers Gordy verzögerten den Start von Ross’ Solokarriere, später sollte ihr Protegé Michael Jackson und noch später Beyoncé aus ihren Fehlern lernen, zum Beispiel, die Vaterfigur rechtzeitig zu feuern. Mehr noch lernten sie (und Janet Jackson, Whitney Houston, Rihanna und wer eigentlich nicht) allerdings von ihrem zartgliedrigem Ehrgeiz, von ihren Ausflügen ins Filmgeschäft – ihre erste Rolle als Billy Holiday brachte ihr immerhin eine Oscar-Nominierung ein – und von ihrer standhaften Weigerung, von der nächsten Pop-Welle unterspült zu werden. 70 Hit-Singles, von 1963 bis 1985: die Ausrufung zur Jahrhundert-Entertainerin war gar nicht so falsch.

Bei Michael Jackson führt die Ross-Verehrung schließlich so weit, dass er nicht allein seine Karriere, sondern auch sein Gesicht nach dem Vorbild seiner Detroiter Quasi-Tante modellierte. Darüber mag man noch posthum den Kopf schütteln, aber vielleicht hatte Jackson auch schlicht begriffen, dass Diana Ross das wahre Gesicht des Pop ist.

An diesem Mittwoch feiert sie ihren 70. Geburtstag. Und tourt noch immer. Wie ein Stern, der nie verglüht, wie eine Raumsonde, für die lange Strecke ausgelegt.

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