„Die Blechtrommel“ am Schauspiel KölnEndlich wieder vor Publikum spielen

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Peter Miklusz

Köln – Minutenlang hüpft Peter Miklusz, dem Publikum den Rücken zugedreht,  in der Mitte des Trampolins  auf und nieder. Es quietscht, es ächzt, es nervt. Es ist der  einzige Protest, der Kindern bleibt, die mit der Gesamtsituation nicht einverstanden sind, die schon aufgrund ihrer Größe nicht für voll genommen werden: Ihnen allein gehört die sprungfederstrapazierende Beharrlichkeit, das letzte Nein.

Peter Miklusz ist Oskar Matzerath, der Junge, der im Alter  von drei Jahren beschließt, das Wachstum einzustellen, und das Trampolin mit seinem grünzackig bemalten Sicherheitsnetz ist seine Blechtrommel und Gummizelle zugleich. Und der anhaltend niedrigen Inzidenz ist es zu verdanken, dass die eigentlich schon für beendet erklärte Spielzeit auf den letzten Metern noch einmal Fahrt aufnimmt und Miklusz einige Abschiedsvorstellungen vor echtem – im vom Sonnentag aufgeheiztem Depot 2 schwitzenden – Publikum spielen kann. Nach fünf Jahren verlässt er das Kölner Ensemble. 

Die Berliner Regisseurin Marie Schleef wiederum gibt mit der Günter-Grass-Adaption ihren Einstand am hiesigen Schauspiel. Als Textvorlage  verwendet sie Oliver Reeses Frankfurter Bühnenbearbeitung aus dem Jahr 2015. Die dramatisiert, wie schon der Schlöndorff-Film, nur die ersten beiden Bücher des Romans.

Grass in weniger als 80 Minuten

Doch selbst aus dieser bereits aufs Äußerste verknappten Vorlage holt Schleef noch einmal eine halbe Stunde raus: In weniger als 80 Minuten ums Grass’sche Großwerk, das klingt rekordverdächtig. Zudem der Nobelpreisträger immer wieder schweigen muss, wenn Schleef ihre eigenen Anmerkungen in Gestalt von Übertiteln einblenden lässt,  die den fabulierwütigen Schelmenroman mit nüchternen  Fakten aus weiblicher Sicht konfrontieren: Aus dem Leben der ebenfalls kleinwüchsigen jüdische Artistin Perla Ovitz, welche die „Experimente“ des KZ-Arztes Josef Mengele überlebt hatte, oder, häufiger, aus dem Anne Franks.

Und berichtet Oskar von einem Nachtfalter, der im Danziger Kolonialwarenladen der Eltern orientierungslos um zwei Glühbirnen schwirrt,  informiert uns die Regisseurin darüber, warum Lampen Falter von ihrer geraden Flugbahn ablenken – und dass Jahr für Jahr Billionen nachtaktiver Schmetterlinge am künstlichen Licht zugrunde gehen, mit dem wir Menschen die Dunkelheit erhellen.

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Im übertragenen Sinn meint das wohl auch die Millionenzahl der  Opfer des Nazi-Regimes, dessen instrumentelle Vernunft, frei nach Adorno, die  aufgeklärte Welt in neue Art der Barbarei gestürzt hat.

Schleefs Erinnerungen sind nicht unbegründet, denn die Virtuosität von Grass’ Erzähl- und Miklusz’ Vortragskunst haben auch etwas Genießerisches, vom großen Skandalon der Nachkriegsliteratur ist eben nur die große Literatur übrig geblieben.

Das soll kein Vorwurf sein, nur sagen, dass die Eingriffe der Regie nicht wohlfeil sind. Peter Miklusz ist als Oskar Matzerath ebenso ideal besetzt, wie er es vor ein paar Jahren als Titelheld in Stefan Bachmanns Dramatisierung von Kehlmanns „Tyll“ war: Ein Ausgestoßener, der seine Umgebung zum Narren hält,  ein Narr, der stets die Wahrheit spricht. Der keine Angst kennt, weil er weiß, dass die Hölle längst auf Erden angekommen ist.

Amoralischer Spitzensportler

Peter Miklusz springt, kriecht, jubelt, zieht sich an und aus, hüpft Seil, greint, posiert in Hakenkreuz-Haltung, wie einst Martin Wuttke als „Arturo Ui“ – kurz er betreibt das Schelmentum als Hochleistungssport (und sein Anzug ist gleichzeitig Turnanzug). Wie auch anders: Inmitten der herrschenden Unmoral ist der Amoralische Spitzensportler.

Bemerkenswert allemal, wie eindringlich Miklusz, bar jeden Requisits, die einzelnen Kapitel des Romans neu vorm geistigen Auge des Zuschauers entstehen lässt,   man denkt gar nicht mehr an die ikonischen Szenen der Verfilmung, nur wenn sich der Schauspieler aus dem Off am rheinischen Akzent des Kolonialwarenhändlers Alfred Matzerath versucht, wünscht man sich ganz kurz Mario Adorf zurück. Doch das ist eine Petitesse.

Termine: 15., 16., 25. Juni, Depot 2, 75 Minuten, keine Pause

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