Schauspiel KölnStück zu NSU-Attentat – Warum „Die Lücke 2.0.“ leider hochaktuell ist

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Kutlu Yurtseven, Ayfer Santürk Demir, Kristin Steffen, Ismit Büjük

Köln – Sieben Jahre sind seit der Premiere von „Die Lücke“ am Schauspiel Köln vergangen, zehn Jahre seitdem mit dem Tod der Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt die Mordserie der rechtsextremen Zelle NSU ans Licht kam. Ihre Mittäterin Beate Zschäpe wurde 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Auch heute kann noch lange nicht von einer abschließenden Aufarbeitung des NSU-Komplexes gesprochen werden. Im Gegenteil, das Urteil ist für viele der damaligen Betroffenen und ihre Angehörigen ein weiterer Schlag ins Gesicht. Zu viele Akten sind noch unter Verschluss, zu milde fielen die Strafen vieler Mitangeklagter aus, zu offen ist immer noch die Rolle des Verfassungsschutzes in Hessen bei dem Mord an Halit Yozgat in Kassel.

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Grund genug für das Schauspiel Köln, das 2014 von Regisseur Nuran David Calis inszenierte Stück als Lücke 2.0. in einer neu überarbeiten Fassung wieder auf die Bühne zu bringen. Der Regisseur hat dabei bewusst sehr viele Elemente der Erstinszenierung beibehalten.

Wieder werden die Zuschauer vor dem Gang ins Theater in kleinen Gruppen über die Keupstraße geführt, die nur wenige hundert Meter vom Theater entfernt liegt. Hier hatten damals am 9. Juni 2004 die Täter die Nagelbombe an einem Fahrrad deponiert. Die verheerende Detonation verletzte 22 Menschen stark, mehrere davon lebensgefährlich.

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Ein Polizist sichert 2004 Spuren nach der Explosion in der Keupstraße.

Nicht minder schlimm waren allerdings die Wunden, die durch die anschließenden Ermittlungen geschlagen wurden. Bis zur Aufdeckung des NSU-Terrornetzwerkes wurden in Köln die anwohnenden Opfer und ihre Angehörigen als mutmaßliche Täter stigmatisiert, Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund der Tat kategorisch ausgeschlossen. „Niemand wollte das migrantische Wissen hören“, sagt Kutlu Yurtseven im Stück.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden

Das Déjà Vu, das sich unweigerlich beim Besuch der aktuellen Inszenierung einstellt, verdeutlicht, wie wenig die Zeit hier Wunden geheilt hat, wie groß immer noch die Versäumnisse sind auf dem Weg zu einem vorurteilsfreien Miteinander der Stadtgesellschaft.

Wie vor sieben Jahren führen kundige Anwohner die Theatergäste durch das quirlige Treiben der frühabendlichen Keupstraße. Hier präsentiert sich die türkische Gemeinschaft als prosperierendes Element im Stadtbild.

Immer noch kein Mahnmal

Hell erleuchte Restaurants laden zum Speisen ein, Konditoreien locken mit ihren üppigen Auslagen, Schmuckgeschäfte stellen ihre prunkvollen Geschmeide zum Verkauf aus. Auf der Straße cruisen die Autos im chaotischen Verkehr der kleinen Straße. Was nicht zu sehen ist, weil immer noch in Planung, ist das längst überfällige Mahnmal, das die Erinnerung an den Anschlag und seine fatalen Folgen wachhalten soll.

So findet die Erinnerungsarbeit für die Zuschauer im Theater statt, wo nach dem bunten Großstadtleben draußen, drinnen im nüchternen Weiß bereits das bekannte Bühnenbild von Anne Ehrlich an die Lücke erinnert, die immer noch in der Gesellschaft klafft.

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Stefko Hanushevsky (hinten), Kristin Steffen

Wie 2014 teilt sich die Bühne zu Beginn in zwei Hälften, die jeweils von einem weißen, drehbaren Kubus besetzt sind, auf dem immer wieder Videoaufnahmen das Geschehen begleiten. Hier nehmen auf der einen Seite wieder als Laien Ayfer Sentürk Demir, Ismet Büyük und Kutlu Yurtseven Platz.

Das türkischstämmige Trio hatte das Attentat als Augenzeugen er- und überlebt. Im Kubus gegenüber platzieren sich diesmal Kristin Steffen und Stefko Hanushevsky, zwei Schauspieler, die für die deutsche Mehrheitsgesellschaft stellvertretend hier anfangs wie zwei Advocati Diaboli daherkommen.

Raum für Geschichten

Zu Beginn herrscht Schweigen auf der Bühne. Die Gegenübersitzenden schauen sich nur an, bis die Schauspieler in Dialogform ihre Gedanken äußern. Der Versuch, die Lücke zu schließen bleibt dabei bruchstückhaft, führt zuweilen auch in Sackgassen.

Doch es entsteht Raum für Geschichten, man hört den Betroffenen zu, nimmt ihre Ängste, ihre Wut und ihre Anklagen wahr. In 18 Kapitel ist der Abend aufgeteilt. Die Chronik der Ereignisse wird ebenso gegenwärtig wie das Lebensgefühl der Menschen, für die die Keupstraße auch ein Stück Heimat bedeutet.

Wie die Gerüche und Geschmäcker der Restaurants und Konditoreien, die orientalische Kochkunst nach Köln gebracht haben. Dass dies längst ein Teil der Kölner Stadtgesellschaft ist und die Rechtsterroristen mit der Bombe nicht nur die Türken, sondern auch die Stadt in ihrem Selbstverständnis treffen wollten, erklärt Kutlu Yurtseven mit beredten Worten.

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Ismet Büjük, Ayfer Santürk Demir

Umso bitterer, dass die Opfer der Keupstraße viel zu lange allein gelassen wurden in ihrem Schmerz. Das sorgte für ein Trauma, das noch lange nicht aufgearbeitet ist. Damit beantwortet sich auch schon die Frage, die am Abend gestellt wird, ob es überhaupt einer Wiederaufnahme des Stückes bedürfe, von selbst.

Nächste Termine: 4. und 5.12., 23.12. Schauspiel Köln

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