Die Politserie „Borgen” ist zurückBesser denn je

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Borgen

Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen, r.) und Regierungschefin   Signe Kragh (Johanne Louise Schmidt) wirken wie ein gutes Team, doch hinter den Kulissen gibt es Streit. 

Kopenhagen – Es ist ein Wagnis, eine Serie nach einer eigentlich abschließenden Staffel fortzusetzen. Es ist ein noch größeres Wagnis, wenn seit der letzten Folge neun Jahre vergangen sind. Kaum ein Markt hat sich so dynamisch entwickelt wie das Geschäft mit dem seriellen Erzählen. „Borgen“ ist dafür das perfekte Beispiel: Einst vom öffentlich-rechtlichen dänischen Sender DR1 produziert und in Deutschland bei Arte ausgestrahlt, kehrt die Serie nun bei Netflix – in Kooperation mit DR1 – zurück.

Während vieles, was in diesen Jahren produziert wurde, längst in Vergessenheit geraten ist, hat sich die dänische Politikerin Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen) ins Gedächtnis gebrannt. Und man kann eines festhalten: Der Neuauflage gelingt das Kunststück, den ersten drei Staffeln treu zu bleiben und dennoch den Sprung in die Gegenwart zu meistern. Das liegt neben den hervorragenden Büchern von Adam Price, Jeppe Gjervig Gram und Tobias Lindholm vor allem an der großartigen Sidse Babett Knudsen, die die acht neuen Folgen zusammenhält.

2010 lief die erste Staffel dieser dänischen Politsaga, benannt nach dem Spitznamen des dänischen Regierungssitzes: die Burg. Da war von „House of Cards“ noch keine Rede. Und eine junge Regierungschefin, die damit kämpft, ihre politischen Ambitionen und das Familienleben unter einen Hut zu bringen, war noch keine Selbstverständlichkeit. Das war eben vor Jacinda Ardern, Premierministerin in Neuseeland, vor der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin oder der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock. Die Politikerinnen, die sich an die Spitze durchgekämpft hatten, sei es Margaret Thatcher oder Angela Merkel, taten das mit der nötigen Härte und vermieden, die Situation von Frauen zu thematisieren.

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Plötzlich selbst ein Dinosaurier

Die aktuelle dänische Ministerpräsidentin in „Borgen“ ist Anfang 40 und postet bei Instagram gerne mal Fotos davon, wie sie Pausenbrote schmiert. Und plötzlich ist Birgitte Nyborg, einst angetreten als progressive Vorsitzende einer kleinen Partei mit hehren Zielen, der Dinosaurier. Die 53-Jährige ist Kraghs Außenministerin und muss nach außen das Bild des weiblichen Erfolgsduos aufrecht erhalten, während die Frauen sich hinter den Kulissen permanent belauern und bekriegen.

Nun bildeten die Machtkämpfe im Politik-Geschäft schon immer den Kern des Geschehens von „Borgen“. Auch vor einem Jahrzehnt hatten sich nicht alle lieb, musste Nyborg schmerzhaft lernen, dass Machterhalt oft deutlich komplizierter ist als Machterwerb. Doch damals folgte sie ihren Idealen, vertrat die Vision eines besseren, gerechteren Dänemarks, das Vorbild bei der Umweltpolitik und bei Gleichstellungsfragen ist.

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Wenn sie ihren Mann und die beiden Kinder wieder einmal versetzte, dann immer zum Wohle des großen Ganzen. So glaubte sie zumindest. Dieser Idealismus ist ihr in der Zwischenzeit abhanden gekommen. Die Ehe ist ohnehin geschieden, die Kinder sind ausgezogen, zu Hause wartet niemand. „Ich freue mich, dass ich nicht mehr so viel arbeiten muss“, sagt der Ex-Mann. „Ich freue mich, dass ich viel arbeiten kann, ohne mich entschuldigen zu müssen“, entgegnet sie.

Kampf mit den Wechseljahren

Sie hat ein Abo beim Lieferdienst, damit ihr überhaupt mal jemand Blumen bringt. Nyborg kämpft mit den Folgen der Wechseljahre, mit Schweißausbrüchen und Schlafstörungen. Für Idealismus ist kein Platz mehr in ihrem Leben, es geht nur noch darum, im Haifischbecken Politik zu überleben.

Schon in den ersten Staffeln sezierte „Borgen“, was Macht mit Menschen macht, wie sie auch starke Persönlichkeiten korrumpiert. Sie ist eine zürnende Göttin, der man sich ganz unterordnen muss, wenn man sie bei Laune halten will. Zu sehen ist das auch bei Nyborgs früherer Beraterin Katrine Fønsmark (Birgitte Hjort Sørensen), die es zur Chefin der Nachrichtenredaktion beim wichtigsten Sender des Landes gebracht hat und – obwohl selbst Mutter – plötzlich kein Verständnis mehr hat, wenn eine Kollegin zum Elternabend muss.

Birgitte Nyborg hingegen ordnet dem Machterhalt alles unter – mit weitreichenden Folgen. Als in Grönland ein riesiger Ölfund gemacht wird, beginnen die Probleme. Die Bewohner der Insel wollen den möglichen Reichtum nutzen, um ihre Unabhängigkeit vom ungeliebten Dänemark zu erlangen.

Gefährliche Kehrtwende

Nyborg ist anfangs strikt dagegen, das Öl zu fördern, war sie doch einst für Klimaschutz angetreten. Zudem ist ein russischer Oligarch und Putinfreund Anteilseigner der Firma, die den Fund gemacht hat. Doch als ihre politische Karriere auf Messersschneide steht, wirft sie ihre bisherige Position über Bord.

Grönlands spektakulär schöne Natur bietet die Kulisse für Themen wie Klimawandel, Identitätspolitik und das knallharte Gebaren von Russen, Chinesen und Amerikanern. Aktueller kann ein Serienstoff kaum sein. Es ist eine Menge faul im Staate Dänemark – aber „Borgen macht auch in der vierten Staffel alles richtig.

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