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Drangsal in KölnDer Metamorphose nächster Teil

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Das Bild zeigt Drangsal beim Konzert im Bürgerhaus Stollwerck.Foto:Dirk Borm

Ganz in Gelb: Max Gruber mit seiner Band Drangsal im Kölner Bürgerhaus Stollwerck.

Max Gruber alias Drangsal ist Feuilleton-Liebling und Deutschlands wichtigster Popstar der 2010er Jahre. Am Samstag war er im Bürgerhaus Stollwerck zu sehen.

Ihm fehle im deutschen Pop eine Person, die Begeisterung hervorrufen kann, hat Max Gruber vor einigen Jahren einmal erzählt, als ihm ein großes deutsches Nachrichtenmagazin in der heimatlichen pfälzischen Provinz einen Besuch abstattete. Und so schickte sich eben jener Max Gruber, alias Drangsal, selbst an, diese Begeisterung mit seinem Popmusik-Entwurf auszulösen, die für ernsthafte Musik allenfalls Tocotronic, Blumfeld & Co zu entfachen wussten, und das auch nur im Feuilleton und vor ewigen Zeiten.

Metamorphose, nächster Teil

Am Samstagabend stand nun dieser Max Gruber, der ohne Zweifel zu den prägendsten Figuren der deutschsprachigen Popmusik seit Mitte der 10er-Jahre gehört, in Köln auf der Bühne, um die nächste mit dem aktuellen Album „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“ begonnene Phase seiner künstlerischen Metamorphose live vorzuführen.Und es wird sich gezeigt haben: den Drangsal des Debüts „Harieschaim“ gibt es nicht mehr.

Max Gruber kommt zwar aus der Pfalz, er klang bisher aber immer nach Manchester. Wave- und Post-Punk-Einflüsse durchziehen seine frühen Songs, Synthesizer sind dort mindestens so wichtig, wie die Gitarre.Die Suche nach sich selbst, deren romantische Inszenierung, die Zweifel als Begleiter, seine eskapistische, mitunter an den Tag gelegte arrogante Art der früheren Jahre, sein Kleidungsstil, die ganz eigene Sprache in den Texten – all das stand bei Gruber in Tradition der britischen Musikszene der 80er und 90er Jahre und sein Gemaule über den Zustand der Popmusik hierzulande, ließ zueilen an Morrissey erinnern. Die FAZ beschrieb den damals 23-Jährigen als „de Sade mit Zuckerguss“, fast zehn Jahre später reicht dieses verkürzte Bild nicht mehr aus.

Denn Max Gruber ist jetzt nicht mehr alleine Drangsal, er ist nur noch ein Teil dieses zu einem Bandnamen erweiterten ehemaligen Solo-Alias des Musikers, dem er bildlich auf dem Cover des Albums ein Grab zu schaufeln scheint.

Universell musikalisch

Drangsal, um Lukas Korn und Marvin Holley zum Trio gewachsen und auf der Bühne um weitere Livemusiker ergänzt, eröffnen den Abend im Bürgerhaus Stollwerck mit einer titelgebenden Referenz an Salman Rushdie („Die satanischen Fersen“) vom aktuellen Album.Es folgen Gitarren-Pop-Stücke, die an Die Ärzte erinnern („Will ich nur dich“, „Schnuckel“) und die pathetische Ballade „Die Bestie mit dem brennden Schweif“. „Pervert The Source“ wird von einem Funk-Riff getragen, „Funke & Benzin“ geht in einem Grunge-Stück auf.Und manchmal klingt Drangsal weiterhin wie Schlager, Neoschlager, ein Etikett, so Gruber einst, was er okay finde.

Auf „Aus keiner meiner Brücken ...“ zeigt sich Gruber so musikalisch vielseitig wie nie. Und auch wenn nicht nur Songs des aktuellen Albums ihren Platz auf die Setlist gefunden haben und sich nicht alle live so arrangieren lassen, wie auf Platte, gibt sich die Band Mühe, den Abend so divers wie möglich zu gestalten und dabei den alten Max Gruber hinter sich zu lassen. Stücke des Debüts „Harieschaim“ fehlen zwar nicht gänzlich, etwa „Hinterkaifeck“, benannt nach dem Hof in Oberbayern, an dem sich in den 1920er Jahren der bis heute unaufgeklärte Sechsfachmord an einer Familie Gruber ereignete, aber werden bewusst sparsam eingesetzt oder, wenn sie als Songwunsch im Frage & Antwort-Block in der Mitte des Sets vom Publikum in den Raum geworfen wurden, nur angespielt – mit Verweis auf die im kommenden Jahr geplante Tour zum 10-jährigen Jubiläum des Debüts, die, die Band, erneut nach Köln führen wird.

Schmerz-Spiegelbild der Generation

In eben jenem Zwischenblock läuft dann auch der Entertainer Drangsal zur Höchstform auf, es wird gelacht, applaudiert, angespielt (A Perfect Circle, The Misfits u.a.), vor allem jedoch lässt sich in diesen Minuten beobachten, welche Bedeutung Max Gruber und dessen Frühwerk für die hier Anwesenden hat. Gruber, der eng verbunden ist mit anderen deutschsprachigen Pop-Künstlern der 2010er Jahre, mit Casper etwa, Blond oder Max Rieger (Die Nerven, Gewalt u.a.), ist so etwas wie das Schmerz-Spiegelbild dieser Fan-Generation.

Richtig auf drehen Band und Publikum dann zum Finale, bei „Turmbau zu Babel“, dem Sean Kingston-Cover „Beautiful Girls“ für das Supportact Finn Ronsdorf zurück auf die Bühne geholt wird oder „Urlaub von mir“, so etwas wie der einzigen Hitsingle der Band, hätte sie denn Hits gehabt.

Gruber mag zwar vieles anders als früher und nichts mehr alleine machen, der Kunst jedoch tut das neue Wir gut – und bei den Fans, kommt es an.