Rechtsradikaler VaterKölner Autorin warnt vor wachsender Terror-Gefahr

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Traudl Bünger hat ein ebenso politisches wie persönliches Buch geschrieben.

Traudl Bünger hat ein ebenso politisches wie persönliches Buch geschrieben.

Traudl Büngers Vater legte Bomben und schwieg sein Leben lang darüber. Bei der Recherche lernt Bünger ein Land kennen, das bei der Aufarbeitung von Terror versagt.

Sie hat sich in Archiven vergraben und sich durch hunderte von Akten gewühlt. Briefe, Vermerke, Protokolle, Zeugenbefragungen, Beweisanträge, Gerichtsurteile, Presseartikel, Tatortbeschreibungen gelesen. Vier Jahre lang hat Traudl Bünger akribisch recherchiert. Um endlich der Geschichte Ihres Vaters auf die Spur zu kommen. Sie hätte ihn natürlich auch einfach fragen können, als er noch lebte. Fragen nach dem Attentat in Italien. Aber das war zwecklos. Denn seine einzige Antwort war „Eisernes Schweigen“ - und so hat Traudl Bünger auch ihr Buch über ihre Familiengeschichte genannt, die auch eine Geschichte des geteilten Nachkriegsdeutschlands ist.

Ihr Vater, Heinrich Bünger war Anfang der 1960er ein aufstrebender Doktor der Chemie - und rechtsradikal. Zusammen mit anderen jungen Männern ließ er eine Bombe in einem italienischen Bahnhof hochgehen, der Zeitzünder versagte, ein Eisenbahner starb. Damals solidarisierte sich die rechte Szene Deutschlands mit dem Kampf Südtirols um Unabhängigkeit von Italien. Und noch 2019, als Heinrich Bünger starb, kondolierte der Südtiroler Heimatbund und dankte für seinen „Einsatz“.

Ein Haus in Südtirol an dem Banner mit der Aufschrift "Freiheit für Südtirol" zu sehen sind.

In Südtirol gibt es immer noch Anhänger der Unabhängigkeit von Italien.

Was macht das mit einer Tochter: Mehr zu ahnen als zu wissen, dass der Vater in rechte Verbrechen verwickelt war? Und von ihm keine Antworten zu bekommen? „Jemanden als Vater zu lieben, der eine so fundamental andere politische Einstellung hat: Das ist wirklich fast nicht zu bewältigen. Das zerreißt einen“, erzählt Traudl Bünger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Aber das Schweigen, das dahinter stand, hat uns noch weiter voneinander entfernt.“

Als sie nach seinem Tod beschloss, selber die Leerstellen zu füllen, hatte sie gar nicht vor, ein Buch daraus zu machen. Aber das, was sie bei ihren Recherchen fand, war so spannend, brisant und auch aktuell, dass sie es aufschreiben musste. Denn sie stieß nicht nur auf Hintergründe zum Attentat, sondern verfolgte auch noch die Spuren der beiden Männer weiter, die im Oktober 1962 zusammen mit ihrem Vater und dessen Zwillingsbruder in dem grünen Ford Richtung Italien saßen - und dort schließlich gemeinsam den Anschlag verübten.

Jemanden als Vater zu lieben, der eine so fundamental andere politische Einstellung hat: Das ist wirklich fast nicht zu bewältigen. Das zerreißt einen.
Traudl Bünger

Einer der beiden war der Österreicher Peter Kienesberger, der später in einem Fernsehinterview Morde an italienischen Beamten im Rahmen des „Freiheitskampfes“ rechtfertigen wird. Den anderen nennt Traudl Bünger in ihrem Buch nicht mit Klarnamen. Er verübte nach dem Attentat in Italien noch weitere Anschläge in Ost-Berlin, wo er schließlich verhaftet wurde. Das gibt der Geschichte nochmal eine ganz andere Wendung, weil so nicht nur die BRD, Österreich und Italien darin verwickelt sind, sondern auch die DDR.

Nachdem erstmal lange gar nichts passierte, wurde Heinrich Bünger Ende der 1960er schließlich in Köln inhaftiert. Nach einem halben Jahr wurde er mit Auflagen entlassen und dann doch noch 1980 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof aber am Ende wieder auf. Insgesamt zog sich das ganze Verfahren also 18 Jahre hin. 18 Jahre voller Ungewissheit. Heinrich Büngers Zwillingsbruder hatte es vorgezogen, sich nach Südafrika abzusetzen, wo er eine Kiwifarm besaß. Er kam erst wieder zurück nach Deutschland, als klar war, dass er nicht mehr ins Gefängnis musste.

Anders als Traudl Büngers Vater war dieser Zwillingsbruder - ihr Onkel Fritz - übrigens durchaus gesprächig, wenn es um die Vergangenheit ging. Sie traf ihn oft zu Kaffee und Kuchen, um das zu bekommen, was sie von ihrem Vater nicht bekommen hatte: Antworten. „Ich glaube, wir waren weder irre Rechtsradikale noch Halbbekloppte, sondern einfach Idealisten, die etwas für die Leute erreichen wollten und auch erreicht haben. Was wir aber schwer bezahlen mussten“, sagt er einmal. Traudl Bünger schreibt: „Mein Onkel wirkt authentisch, als er das sagt. Ich aber blicke anders auf diese Geschichte.“

Man kann an der Geschichte des Attentats sehen, wie der Staat schon von Anfang an in seinem Umgang mit der rechtsradikalen Szene schlingert, wie die Blindheit auf dem rechten Auge entsteht.
Traudl Bünger

Natürlich ist es eine sehr persönliche Geschichte, die die 48-Jährige in „Eisernes Schweigen“ aufgeschrieben hat. Aber sie ist viel mehr als das: „Bei meinen Recherchen merkte ich plötzlich, dass die Geschichte meines Vaters eine Art Blaupause ist. Ich kann nicht nur für mich die Leerstellen füllen. Sondern ich kann auch sowas Ähnliches für dieses Land versuchen, denn man kann an der Geschichte des Attentats sehen, wie der Staat schon von Anfang an in seinem Umgang mit der rechtsradikalen Szene schlingert, wie die Blindheit auf dem rechten Auge entsteht.“

In „Eisernes Schweigen“ erzählt Traudl Bünger also auch ein Stück deutsche Zeitgeschichte, die bis in ganz aktuelle Entwicklungen reicht. Bei ihren Recherchen hat sie einen Einblick bekommen, „wie sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder rechte und rechtsextreme Kreise organisiert haben. Wie sie sich vernetzt haben, wie sie agiert haben und wie gefährlich sie gewesen sind.“

Was, wenn diese Geschichte nicht 60 Jahre in den Archiven verstaubt wäre, fragt sie sich. Hätten wir dann in Deutschland vielleicht mehr Achtsamkeit dafür, wie Rechte bürgerliche Herzensthemen diskursiv kapern, um ihre Anliegen in der bürgerlichen Mitte salonfähig zu machen: „Herzensthemen wie Südtirol, wie Mutterschaft, wie Heimat, Ordnung und Grillfleisch?“ Und hätte man dann auch in Polizeischulen früher klar sehen gelernt?

Denn die Fehler, die bei der Aufarbeitung des Attentats ihres Vaters gemacht wurden, waren dieselben, die unter anderem auch eine schnellere Aufklärung der Morde des NSU verhindert haben: Man glaubte, es mit nicht vernetzten Einzeltätern zu tun zu haben. Bagatellisierte die Täter als Verrückte oder dumme Jungs. „Ich habe ein Land kennengelernt, das die Schatten seiner Vergangenheit übersieht - bis heute“, schreibt Traudl Bünger.

Warum sie ein Sachbuch geschrieben hat und keinen Roman? „Mir war es wichtig darauf hinzuweisen: Das hat sich niemand ausgedacht. Auch wenn es manchmal so klingt.“ Außerdem haben die Fakten und das detektivische Puzzlen ihr Halt gegeben in einer Situation der Überforderung: „Deswegen konnte der erste Zugriff nur so ein rationaler, kognitiver, forschender sein.“

Die oft widersprüchlichen Gefühle der Tochter gegenüber ihrem Vater sind natürlich trotzdem da – auch im Buch. Und allem Fleiß, aller Akribie, allem Aufklärungswillen zum Trotz – manche Fragen müssen offen bleiben: „Hatte mein Vater Gewissensbisse? (...) Hat er so eisern geschwiegen, um sein schlechtes Gewissen zu ignorieren?“  Traudl Bünger hat die Leerstellen gefüllt, die sie füllen konnte. „Sie sind jetzt sichtbar und besprechbar geworden. Sind nicht mehr wie Geister, sondern haben eine Kontur gekriegt. Und das ist gut so.“


Traudl Bünger, geboren 1975,  konzipiert seit 2004 Kulturveranstaltungen, unter anderem als Programmleitung der Literatur- und Kulturfestivals lit.Cologne und lit.Ruhr sowie des Literatur- und Musikfestivals „Wege durch das Land“. Sie war Kritikerin im Literaturclub des Schweizer Fernsehens und lehrt und publiziert zu Themen der Kulturvermittlung, der literarischen Öffentlichkeit und Gegenwartsliteratur. Sie ist Mitglied der Jury des Heinrich-Heine-Preises. Für die Arbeit an „Eisernes Schweigen“ wurde sie vom Fritz-Bauer-Institut unterstützt, außerdem mit dem Wellershoff-Stipendium der Stadt Köln, dem Au- tor:innenstipendium der Kunststiftung NRW und dem Arbeitsstipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW ausgezeichnet. Traudl Bünger lebt in Köln.

Der WDR hat einen achtteiligen Doku-Podcast „Eisernes Schweigen“ mit Traudl Bünger produziert – zu finden unter anderem in der ARD Audiothek.

Cover „Eisernes Schweigen“

Cover „Eisernes Schweigen“

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