Erstes Deutschland-KonzertEr ist das musikalische Genie hinter den Studio-Ghibli-Filmen

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Der japanische Komponist Joe Hisaishi

Der japanische Komponist Joe Hisaishi

Joe Hisaishi hat die Soundtracks zu Hayao Miyazakis Studio-Ghibli-Filme komponiert. Jetzt trat der 73-Jährige im Düsseldorfer PSD Bank Dome auf.

Am Ende von Todd Fields Film „Tár“ (2022) hat Cate Blanchett als titelgebender Taktstock-Star Lydia Tár alles verloren, ihr Renommee, ihren Plattenvertrag, ihren Job als Chefdirigentin eines großen Berliner Orchesters. Field illustriert Lydia Társ sozialen Abstieg, indem er sie auf den Philippinen die Musik der Computerspielserie „Monster Hunter“ vor einem Publikum aus Cosplayern dirigieren lässt. Aber ist das nicht ein falsches Bild?

Erscheint der Auftritt vor bunt kostümierten Horden vielleicht nur westlichen Bildungsbürgern älterer Generationen als Karriere-Endstation? Man kann es auch andersherum betrachten: Die europäische sinfonische Tradition überlebt in den Soundtracks von PC-Games und Anime-Filmen, in Filmmusiken generell. Sie erreicht dort genau jenes junge Publikum, welches das klassische Repertoire verfehlt.

Am Donnerstagabend gab der japanische Komponist Joe Hisaishi ein Konzert im Düsseldorfer PSD Bank Dome, einer Multifunktionshalle am nördlichen Rand der Landeshauptstadt, in der auch das örtliche Eishockeyteam DEG spielt.

Joe Hisaishis erstes Konzert in Deutschland war schnell ausverkauft

Die Halle war mit 8000 Zuschauern schnell ausverkauft, wahrscheinlich hätte Hisaishi sie noch ein zweites Mal füllen können, so wie er das zuletzt in sehr viel größeren Arenen in Paris und London getan hatte. Im Sommer wird er gleich dreimal hintereinander im New Yorker Madison Square Garden auftreten, das war zuvor noch keinem klassischen Komponisten gelungen. Aber es war sein erstes Konzert in Deutschland, Angebot und Nachfrage müssen hierzulande erst noch austariert werden.

Im April vergangenen Jahres hat Joe Hisaishi bei Deutsche Grammophon einen Exklusivvertrag unterzeichnet. Die erste Veröffentlichung, „A Symphonic Celebration“ versammelt orchestrale Neuarrangements seiner Soundtracks zu viel geliebten Studio-Ghibli-Filmen wie „Prinzessin Mononoke“, „Mein Nachbar Totoro“ oder „Chihiros Reise ins Zauberland“. Auf dem Cover kontrastiert der hellblaue Himmel einer typischen Landschaftszeichnung des Anime-Genies Hayao Miyazaki reizvoll mit dem wohlbekannten gelben Kartuschenbanner der deutschen Plattenfirma. Nach Angaben des Labels war „A Symphonic Celebration“ im Jahr 2023 eines der meistverkauften Klassikalben der Welt.

In Düsseldorf wird Joe Hisaishi von den Münchner Symphonikern und dem Münchner Motettenchor begleitet. Hinter diesen Hundertschaften erhebt sich eine – leider etwas störanfällige – LED-Wand, die abwechselnd zur Musik synchronisierte Ausschnitte der Ghibli-Zeichentrickfilme und Großaufnahmen des Chors, der Orchestersolisten, der Sopranistinnen Ella Taylor und Grace Davidson oder des Komponisten zeigt.

Der 73-jährige Hisaishi ist klein, drahtig und sprüht vor Energie. Springt vom Dirigentenpult an den Steinway-Flügel, nimmt lächelnd die übermütigen Ovationen des Publikums entgegen. Das liegt zwar weit unter dem Altersdurchschnitt der Philharmonien, trägt zum Teil Elfenohren oder helle, rüschige Kleider aus dem Fantasie-Europa der Ghibli-Filme und nascht aus Popcorntüten, verhält sich ansonsten aber erstaunlich diszipliniert. Nur wenn die kleine Hexe Kiki auf der Leinwand auftaucht, oder Chihiro auf dem weißen Drachen durch die Lüfte saust, geht ein kollektives, wohliges Ausatmen durch die Halle.

Seit 40 Jahren arbeiten Hayao Miyazaki und Joe Hisaishi zusammen

Ob diese Musik auch ohne Bild funktioniert? Absolut. Doch mit gleicher Berechtigung könnte man fragen, ob denn Miyazakis Filme ohne Hisaishis Soundtracks funktionieren. Die langjährige Zusammenarbeit von Regisseur und Komponist – von „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ (1984) bis „Der Junge und der Reiher“ (2023) – wird oft mit der künstlerischen Partnerschaft von Steven Spielberg und John Williams verglichen. Sie erinnert aber eher an die Vorgehensweise von Sergio Leone und Ennio Morricone: Miyazaki zeigt Hisaishi die Storyboards seiner nächsten Geschichte, der schreibt daraufhin eine Musik, die diese neue Welt beschreibt, zu der Miyazaki dann wiederum seine Bilder in Bewegung setzt.

Im Konzert erzeugt das erstaunliche Effekte. Etwa wenn das wandelnde Schloss aus dem gleichnamigen Film zu melancholischen Klavierakkorden auf die Zuschauer zu schwankt, das Orchester ins Walzertempo einfällt und man die Zeichentrickvorlage plötzlich gar nicht mehr braucht, weil die Musik zum Schloss und das Schloss zum Karussell und das Karussell zum Bild dafür wird, wie wir alle halb überschwänglich, halb verzweifelt durchs Leben taumeln. Schließlich stürzt das Stück in ein Crescendo, aber Hisaishi fängt seine Hörer bald wieder auf.

Seine erste Liebe galt der amerikanischen Minimal Music, vor allem Terry Rileys „In C“. Das könnte man angesichts seiner Anleihen bei den Sinfonikern der Romantik – von Beethoven bis Debussy – beinahe vergessen, doch der Minimalismus durchlüftet Hisaishis Musik mit kindlicher Leichtigkeit, er hat für seine Kompositionen die gleiche Bedeutung wie der Wind für Miyazakis animierte Zeichnungen.

Albernheit und Ergriffenheit liegen hier dicht beieinander. Als sie die Worte „Ponyo, fishy in the sea, tiny little fishy, who could you really be?“ vom Blatt singen, müssen manche Mitglieder des Motettenchors lächeln. Dann verwandelt sich das kleine Goldfischgirl Ponyo auf der Leinwand in ein echtes Mädchen, die Kindheit verklingt im strahlenden Triumph und im Düsseldorfer Dome bleibt kein Auge trocken. Was soll daran falsch sein?

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