Expressionisten am FolkwangDie Bilder, die das NS-Regime überlebten

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Die Expressionismus-Ausstellung im Museum Folkwang.

Essen – Wirbelnde Arme und Beine, zackige Felsformationen, eckig gestreckte und zerdehnte Körper, wilde Farberuptionen, grün-lila Berge und eine glühend rot-orange Küste am Mittelmeer bei Marseille. Pastose Farbschlieren, bröckelnde Baumrinden, rohe Leinwand und sichtbare Pinselhiebe.

Keine Frage, das Essener Museum Folkwang besitzt eine außergewöhnliche Sammlung expressionistischer Kunst, deren Stars Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Franz Marc, Alexej von Jawlensky, Oskar Kokoschka, Paula Modersohn-Becker und Gabriele Münter zum großen Teil von Beginn an dabei sind. Denn schon kurz nach der Jahrhundertwende kaufte der Kunstliebhaber, Mäzen und engagierter Sammler Karl-Ernst Osthaus (1874-1921), damals noch in Hagen ansässig, gemeinsam mit seiner Frau Gertrud ihre Kunst.

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Franz Marc: Liegender Stier, 1913. Tempera auf Papier, 40 x 46 cm. Museum Folkwang, Essen.

Mit Paul Signac, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Henri Matisse die Vorläufer und inspirierenden Vorboten, Edvard Munch war ebenfalls ein von Osthaus bewunderter Maler. So wie auch Ferdinand Hodler, Egon Schiele und später Ernst-Ludwig Kirchner. Künstler, mit denen ihn eine lebenslange Freundschaft und gegenseitige Wertschätzung verband und deren Arbeiten jetzt wieder zusammengefunden haben.

Ausstellung im Folkwang-Museum mit Stillleben von Matisse und Münters

Anfang diesen Jahres hatte eine Ausstellung mit der Kunst der Spätimpressionisten an die Wurzeln der Sammlung und ihre internationale Strahlkraft erinnert. Im Folkwang-Jubiläumsjahr 2022 blickt das Museum nun, in der zweiten Jahreshälfte, mit dem Expressionismus erneut auf die Kontakte und Netzwerke, mithilfe derer die Moderne in der Region ankam. Henri Matisses grandioses Stillleben mit Affodillen (1907) tritt mit Gabriele Münters rosa Stillleben von 1911 ins Gespräch und erinnert an den künstlerischen Weg, den die Malerei damals einschlug, so wie auch Erich Heckels Strandbild (1921) neben Paul Signacs Seineufer bei Saint-Cloud (1900) und anderen farbsprühenden Landschaften wie Emil Noldes Gemälde „Freies Meer“ (1918).

Zur Ausstellung

Expressionisten am Folkwang. 

Entdeckt – Verfemt – Gefeiert

Bis 8.1. 2023 www.museum-folkwang.de

Osthaus war von der Gattungsgrenzen überschreitenden Kunst und den lebensreformerischen Ideen, die um die Jahrhundertwende überall im Land spürbar wurden, begeistert. Er hatte für seine private Sammlung und seine Künstlerkolonie in Hagen große Pläne, die er zusammen mit dem belgischen Architekten und Künstler Henry van de Velde (1863-1957) umzusetzen begann und die als „Hagener Impuls“ in die Geschichte eingingen.

Osthaus, Bankierssohn und ausgestattet mit dem nötigen Kleingeld, sollte bald einer der wichtigsten deutschen Kunstmäzene und Kunstsammler werden, seine Sammlung spätimpressionistischer und expressionistischer Kunst war damals ohnegleichen. Mit Wilhelm Lehmbruck und Ernst Barlach waren bald auch Bildhauer in der Sammlung vertreten.

Osthaus-Erben verkauften die Kunst-Sammlung nach Essen

Die künstlerischen Reformbestrebungen der Werkbund-Bewegung mit Künstlerkolonie und Museum, die Osthaus aufgriff, hatten manche Künstler ins westfälische Hagen gelockt, Christian Rohlfs war einer der ersten. Die Mitglieder der „Brücke“ und des „Blauen Reiter“ wollten ebenfalls gerne mit Osthaus zusammenarbeiten, er richtete früh schon Ausstellungen für sie aus, pflegte die Kontakte, ließ sich auch von den Künstlern beraten, lud sie ein als Artist in Residence.

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Christian Rohlfs: Amazone, 1912. Tempera auf Leinwand. 

Als Osthaus am 27.3. 1921 in Meran stirbt, ist das Bauhaus in Weimar gerade zwei Jahre alt, eine Kunstschule, in der auch manche der Folkwang-Ideen umgesetzt wurden. Schon ein Jahr nach seinem Tod haben – dem Vorschlag des Essener Kunstmuseums-Direktors Ernst Gosebruch folgend - seine Erben die Kunstsammlung an die Stadt Essen verkauft. Bereitgestellt wurden die 15 Millionen Mark damals von einer Gruppe privater Spender, die mit dem Museumsverein noch heute beteiligt sind.

Trotz der Verluste unter dem NS-Regime noch eine schöne Ausstellung

Gosebruch setzte dann in Essen das Hagener Projekt mit Ankäufen und Ausstellungen erfolgreich fort, schmerzhaft unterbrochen und geplündert freilich 1937 von der nationalsozialistischen Säuberungsaktion, der Werke von Kirchner, Kokoschka, Marc, Matisse und vielen anderen zum Opfer fielen. Einiges konnte nach 1945 zurückgekauft werden, Christian Rohlfs’ auf ihrem Pferd dahinpreschende „Amazone“ (1912) etwa 1951, oder, 1957, Paula Modersohn-Beckers wundervolles „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“ (1906/07), das schon 1913 in einer ersten großen Wanderausstellung gezeigt worden war.

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Paula Modersohn-Becker: Selbstbildnis mit Kamelienzweig, 1906/7. Öl auf Holz, 61,5 x 30,5 cm. 

Einige Gemälde gelangten nach 45 auch als Schenkung in die Sammlung zurück, andere kamen und kommen bis heute hinzu. Die Arbeiten an dem Erweiterungsbau in Essen mussten 1937 freilich eingestellt werden, Ernst-Ludwig Kirchners Entwürfe für die Wandgestaltung des Festsaals und einige Gemälde des Farbentanzes sind erhalten geblieben, wunderschön besonders die beiden Tapisserien.

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Ebenso erhalten hat sich eine Geschenkbox zum 10-jährigen Folkwang-Jubiläum, in der van de Velde für Osthaus Blätter von Kollegen gesammelt hat, eine schöne Freundschaftsbekundung für einen visionären Sammler und Mäzen. August Macke fand schon 1908, es sei „eine ausgewählt schöne Sammlung“. Das ist sie auch heute.

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