Frankfurter BuchmesseVon wegen nordische Landschaften

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Norwegischer Pavillon auf der Frankfurter Buchmesse

Keine Elche, keine Fjorde, keine Stabkirchen. Wer den norwegischen Pavillon bei der Frankfurter Buchmesse betritt, wird auf den ersten Blick wenig von dem finden, was die bei uns gängigen Vorstellungen des nordischen Landes bestimmen. Das weiß auch Halldor Gudmundsson, der 2011 bereits Islands Gastlandauftritt leitete, und nun Projektleiter für Norwegens Präsentation ist. „Alle haben norwegische Landschaften erwartet“, sagte er am Dienstag bei der Vorstellung des Auftritts.

Mit dieser Erwartungshaltung wollten die Skandinavier aber bewusst brechen. Klar, geradlinig, ohne viele Schnörkel ist der Auftritt geworden. Wobei das ja dann doch auch wieder unserem Skandinavienbild entspricht. Die einzigen Landschaftsaufnahmen sind vier große Fotografien von Per Berntsen. Er hat die Taiga an den nordnorwegischen Landesgrenzen fotografiert, es ist das Land der Sami. Spektakuläre Aufnahmen von Bergen, Wasserfällen oder Fjorden sucht man hingegen vergebens.

Karl Ove Knausgård

Karl Ove Knausgård

Drei Ziele verfolge man mit dem Auftritt, sagt der Projektleiter. „Wir wollen norwegische Autoren in den Mittelpunkt stellen, die Leselust fördern und die Meinungsfreiheit stärken.“ Der Entwurf des Ehrengast-Pavillons stammt von den norwegischen Architekturbüros Manthey Kula und LCLA Office und soll Literatur als Raum und Landschaft veranschaulichen. Er besteht aus einer Gruppe Objekte, die Ideen, Elemente und Charaktere der norwegischen Literatur zu materialisieren versuchen.

An 23 Tischen, die der Künstler Luis Callejas gestaltet hat, werden die unterschiedlichsten Facetten norwegischer Literatur dargestellt. Sie sind inspiriert von Gedichten. Während das Fundament, auf dem die Bücher liegen, solide und fest ist, erheben sich Röhren in unterschiedlichsten Verästelungen in die Luft, werden die Tische zu Skulpturen. Mit ein wenig Fantasie erkennt der Besucher am Tisch mit samischer Literatur ein Rentier, an einem anderen vielleicht eine Stabkirche. Liegen auf dem einen Tisch Handarbeitsbücher, die Anleitungen für witzige Weihnachtspullover abbilden, findet sich auf der Installation direkt daneben das 800 Seiten starke Buch „Holocaust in Norwegen“. Zahlreiche Neuerscheinungen gibt es und Klassiker von Ibsen und Hamsun.

Die Büchertische werden nach Ende der Buchmesse an deutsche Buchhandlungen verschenkt, um für die enge Zusammenarbeit zu danken. 2019 finden im deutschsprachigen Raum mehr als 1000 Auftritte norwegischer Autoren, Künstler, Illustratoren und Musiker statt. Im hinteren Teil des Pavillons setzt sich die Arbeit „Wittgensteins Boat“ mit den Aufenthalten des Philosophen im Sognefjord auseinander.

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An einem Tisch nähert man sich Norwegen mit der Nase an. Die Geruchsforscherin und Künstlerin Sissel Tolaas hat mit dem Autor Erling Kagge 22 Gerüche erschaffen: „Asphalt, zehn Minuten nachdem es aufgehört hat zu regnen“, „Kabeljau, frisch gekocht“ oder „Seniorenheim mit offenem Fenster“. Auch Gerüche erzählen eine Geschichte.

„Der Traum in uns“ lautet das Motto des Gastland-Auftritts, das ein Gedicht von Olav H. Hauge zitiert. „Das ist der Traum, den wir tragen, dass etwas Wunderbares geschieht, geschehen muss – dass die Zeit sich öffnet, dass das Herz sich öffnet, dass Türen sich öffnen, dass der Berg sich öffnet, dass Quellen springen, dass der Traum sich öffnet, dass wir in einer Morgenstunde gleiten in eine Bucht, um die wir nicht wussten.“ Genau das sei das Ziel der Literatur, sagt Projektleiter Gudmundsson, sie solle Menschen an Orte bringen, die sie vorher nicht kannten. Deshalb erwarten den Besucher an den schmalen Seiten des Saals Spiegel, die die Illusion erwecken, der Raum setze sich unendlich fort. Da diese nicht fest installiert sind, sondern sich ein wenig bewegen, entsteht beim ersten Blick eine Irritation, man muss sich orientieren, verorten. Dann kann die Reise beginnen. Es ist ein sehr poetischer Zugang.

Der Ehrengastauftritt ist laut der Organisatoren das größte außenpolitische kulturelle Projekt Norwegens, das es je gegeben hat. Drei norwegische Ministerien – Kultur, Außen und Wirtschaft – haben die Durchführung unterstützt. Sie finanzieren das Projekt je zu einem Drittel mit einem staatlichen Zuschuss von insgesamt 30 Millionen Kronen. Man erhofft sich, dass der Auftritt in Frankfurt noch lange fortwirken wird. Doch schon jetzt sind die Erfolge beachtlich. Mehr als 500 Bücher norwegischer Autorinnen und Autoren sowie Titel über Norwegen sind in diesem Jahr in Deutschland erschienen. 229 davon sind Neuübersetzungen. Norwegisch gehört zu den 17 am häufigsten übersetzten Sprachen.

Norwegen hat nur 5,3 Millionen Einwohner. Doch die Literaturförderung in dem durch seine Ölvorkommen reich gewordenen Land ist beachtlich. Bücher sind von der Mehrwertsteuer befreit, es gibt eine Buchpreisbindung und die so genannte Abnahmeregelung. Diese ist ein staatlich finanziertes Programm, verwaltet durch den Norwegischen Kulturrat. Dabei werden jährlich 550 bis 1500 Exemplare aus einer Liste von etwa 600 Neuerscheinungen angekauft und öffentlichen Bibliotheken im gesamten Land zugeteilt. Die Hauptziele dieser Regelung sind die Sicherstellung der Veröffentlichung neuer norwegischer Bücher, die Sicherstellung des öffentlichen Zugangs zu diesen Werken und die Steigerung der Einnahmen der Autoren. Das zahlt sich aus. 88 Prozent der Bevölkerung lesen mindestens ein Buch im Jahr, im Durchschnitt liest jeder Norweger jährlich 15 Bücher. 76 Prozent der Eltern lesen ihren Kindern mindestens zwei- bis dreimal wöchentlich vor.

Büchertisch im Pavillon Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse

Büchertisch im Pavillon Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse

Im trubeligen Messealltag gewährt der norwegische Pavillon fast so etwas wie eine kleine Auszeit. Stapeln sich in den Messehallen an den Ständen der Verlage die Bücher, lässt das Gefühl der Überforderung und Reizüberflutung hier nach. Voll und laut wird es am ersten Messetag nur, als Norwegens literarischer Superstar Karl Ove Knausgård auf der Bühne spricht. Doch der ist ja auch ein großer Freund der Langsamkeit und Entschleunigung. Insofern passt er dann doch wieder perfekt zum Auftritt seines Heimatlandes.

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