Frans Hals in AmsterdamWer hat dieses revolutionäre Bild gemalt?

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Ein Mann und eine Frau lümmeln entspannt in der Natur.

Um diese beiden dreht sich die Debatte: das „Porträt eines Ehepaars“ von Frans Hals aus der Sammlung des Rijksmuseums.

Ein Hauptwerk der Frans-Hals-Ausstellung in Amsterdam soll nur teilweise von Hals selbst sein. Über eine typische Altmeister-Debatte. 

Es gehört beinahe zum guten Ton, dass große Altmeister-Ausstellungen von Debatten über falsche Zuschreibungen begleitet werden. Zwar darf man aus guten Gründen erwarten, dass etwa das Amsterdamer Rijksmuseum in seinen Blockbuster-Schauen nur Werke zeigt, die der gefeierte Künstler tatsächlich gemalt hat. Aber bei den Alten Meistern bleibt eben häufig ein leiser Zweifel. Auch in dieser Hinsicht schließt der niederländische Barockmaler Frans Hals nun zu seinen Zeitgenossen Vermeer und Rembrandt auf.

Seit dem 16. Februar zeigt das Rijksmuseum 48 Werke von Frans Hals, so viele wie in keiner Ausstellung zuvor; ab Juli ist sie in abgewandelter Form in Berlin zu sehen. Zu diesem Anlass hatte Claus Grimm bereits vor zwei Jahren die digitale Neuauflage seines Hals-Werkverzeichnisses angekündigt. Der deutsche Kunsthistoriker hat schließlich einen Ruf zu verteidigen: War sich die Fachwelt um 1910 noch darüber einig, dass von Frans Hals mehr als 400 von eigener Hand erschaffene Werke erhalten sind, hatte sich diese Zahl Anfang der 1970er Jahre nahezu halbiert. Grimm kam 1989 sogar nur noch auf 145 gesicherte Hals-Gemälde. Diesen Kahlschlag wollten allerdings die wenigsten Experten akzeptieren. Auch das Rijksmuseum zählt bei Hals weiterhin bis 200 und darüber hinaus.

Frans Hals verlieh dem Ehepaar eine geradezu revolutionäre Lässigkeit 

Aber nicht nur der Zeitpunkt, einige Hals-Gemälde öffentlich abzuschreiben, ist gut gewählt. Claus Grimm hat sich, so berichtet das Fachmagazin „The Art Newspaper“ vorab, auch ein höchst prominentes Opfer ausgesucht: Das „Porträt eines Ehepaars“ in freier Natur gehört zu den Lieblingsstücken des Rijksmuseums, weil die Verheirateten eine für damalige Verhältnisse (die calvinistischen 1620er Jahre) geradezu revolutionäre Lässigkeit verströmen. Man könnte tatsächlich den Eindruck gewinnen, die beiden seien einander zugetan.

Auch Grimm glaubt, dass Hals die Eheleute selbst gemalt hat. Aber den gesamten Hintergrund, den nach südlichen Vorbildern angelegten Garten der Liebe, schreibt er Pieter de Molijn, einem anderen Maler zu. Diese Form der Arbeitsteilung wäre keinesfalls ungewöhnlich für die Zeit. Wie Rembrandt oder Rubens stand auch Hals einer Werkstatt vor, in der ihm hochbegabte Mitarbeiter zur Hand gingen und einen Teil der Arbeit abnahmen. Die Frage, wer was gemalt hat, die „Handscheidung“ zwischen Meister und Geselle, gehört daher zur Königsdisziplin der Kunsthistoriker. Sie ist allerdings keine exakte Wissenschaft.

Das Amsterdamer Rijksmuseum kann vorerst beruhigt sein

Für Grimms Abschreibung könnte sprechen, dass Hals selten Landschaften malte. War er daran nicht interessiert oder vielleicht nicht gut darin? Dann läge es nahe, sich die Hilfe eines Spezialisten zu holen. Allerdings lässt sich das Argument auch umdrehen: Gerade weil Hals selten Gelegenheit bekam, Naturstücke zu malen, könnte ihn das Motiv gereizt haben. Grimms Argument ist aber ohnehin ein anderes: Er glaubt, im Liebesgarten stilistische Eigenheiten Pieter de Molijns zu erkennen.

Bei dieser Form der Stilkritik geht es immer auch um Glaubensfragen, um das gute Expertenauge, das mehr sieht als alle Apparate, mit denen altmeisterliche Gemälde heutzutage durchleuchtet werden. Im 19. Jahrhundert wurde der italienische Arzt und Sammler Giovanni Morelli für seine quasi-wissenschaftlichen Stilanalysen berühmt: Er identifizierte einen echten Botticelli anhand der besonders knochigen Finger der weiblichen Figuren und suchte die Gemälde seiner Lieblingskünstler nach verräterischen Neigungen zu Stupsnasen, Ohrmuscheln oder auffällig geformten Füßen ab. Allerdings mag sich auf diese Fetischisierung von Expertenwissen mittlerweile niemand mehr allein verlassen. Das Rijksmuseum kann also beruhigt sein, solange Grimm seine These nicht mit naturwissenschaftlichen Analysen untermauert.

Bei einem anderen Gemälde der Ausstellung, den „Vorsteherinnen des Armenhauses“, greift auch Grimm auf moderne Bildgebungsverfahren zurück. Bei diesem zu Hals' Spätwerk gerechneten Gruppenporträt sieht er nur noch wenige Spuren von Frans Hals‘ eigener Hand, das allermeiste, sagt er, sei von dessen Sohn gemalt worden. Als Beweis zeigt Grimm die stark nachgedunkelten Vorsteherinnen in hellem Licht des angeblichen Originalzustands. Auf dieser Rekonstruktion sieht man tatsächlich ein anderes Bild: Ohne die Aura der Düsternis wirkt die Szene banal, die alten Frauen erscheinen weniger zerbrechlich, nicht mehr dem Tod geweiht. Allerdings beweist das möglicherweise nur, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, die Welt von Rembrandt und Hals in „ehrwürdige“ dunkle Farben getaucht zu sehen.

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