Ausstellung zum Fotografen Peter KeetmanMit deutscher Wertarbeit gegen das Kriegstrauma

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Lichtbahnen bilden ein Muster vor schwarzem Hintergrund.

Eine „Raumschwingung“ (1949) von Peter Keetman

Für den Fotografen Peter Keetman war die Welt eine Komposition aus Licht und Bewegung. Die Kölner Galerie Julian Sander zeigt jetzt sein verblüffendes Werk.

Es wäre ein leichtes, die abstrakte Blüte der deutschen Nachkriegsfotografie als Flucht vor der Erinnerung zu erklären. Als alle Trümmer fotografiert und weggeräumt waren, zogen sich gerade die begabtesten Fotokünstler in die Dunkelkammern zurück, um ihren Bildern in endlosen Experimenten die Spuren der äußeren Wirklichkeit auszutreiben. Peter Keetman (1916-2005) beispielsweise, der als Soldat ein Bein verloren hatte, schuf mit seinen aus Lichtkreisen geformten „Plastischen Schwingungen“ für einige Jahre den Inbegriff dessen, was unter Adenauer als Modernität durchging.

Dabei sind die grafischen Muster, die lange die ARD-Pausenzeichen zierten und heute aussehen wie frühe Gehversuche in der digitalen Welt, vor allem eine fotografische Bühnenillusion: Keetman band eine Taschenlampe an ein Seil, setzte die Kamera auf einen kreisenden Grammophonteller und ließ die Lampe so lange bei geöffneter Blende durch die Dunkelheit pendeln, bis es so schien, als würden die Lichtbahnen an die physikalischen Geheimnisse des Universums rühren.

Peter Keetman erfand die Fotografie nach der NS-Zeit noch einmal neu

Eine solche „Raumschwingung“ aus Keetmans Heimlabor erfüllt jetzt auch die Kölner Galerie von Julian Sander. Sie stammt aus der Sammlung von Gerd Sander, dem Vater des Galeristen, der sich in den 1980er Jahren, als Keetman bereits wieder in Vergessenheit geraten war, für dessen formale Brillanz zu begeistern begann. Er kaufte bei Keetman selbst, und was ihm dieser nicht liefern konnte, fand er beim Händler Wilhelm Schürmann. Bessere Quellen für die etwa 50 Vintage-Prints lassen sich kaum denken; dafür muss man es zu schätzen wissen, dass die Abzüge teilweise Spuren ihres langen Lebens zeigen.

Peter Keetman gehörte zu den deutschen Fotografen, die ihr Metier nach Jahren der Propagandaschule in einer Mischung aus Technikbegeisterung und Weltflucht neu erfanden. Wobei sich Keetman dabei durchaus dem Leben und der Natur zuwandte. Er fotografierte Luftblasen im Eis, Regentropfen auf einer Fensterscheibe oder Lokomotiven, die im Auge der Kamera zu Schemen verwischen. Aber letztlich lieferte ihm die Wirklichkeit nicht mehr schöne Motive, sondern Licht und Bewegung als Materialien zur weiteren Verarbeitung.

Seine Themen waren die Beschleunigung der Welt, wie auf einer berühmten Aufnahme, in der ein Auto eine Lichtschleppe durch eine abendliche Landschaft zieht, und die abstrakte Schönheit alltäglicher Dinge. Um deren Zauber zu entdecken, musste man nur hinsehen und sie mit Großaufnahmen aus allen Zusammenhängen lösen.

Regentropfen rinnen eine beschlagene Fensterscheibe hinab.

Peter Keetmans „Beschlagene Fensterscheibe“ aus dem Jahr 1947

In der Adenauer-Republik fand sich dafür eine Schnittmenge mit der Werbewirtschaft. Keetman lieferte einem Arzneimittelhersteller Ameisen, die über eine Hand krabbeln, oder einen nächtlichen Schatten, der vor Autoscheinwerfern flieht. Das Unbehagen, das sich in diesen Aufnahmen zeigt, wird durch die abstrakte Formensprache aufgefangen, aber nicht vollends gebannt. Auch bei manchen Bildern aus Keetmans Reportage „Eine Woche im Volkswagenwerk“ (1953) denkt man heute an die Wiederkehr des Verdrängten. Vermutlich ahnte Keetman, dass seine Flucht in die Wertarbeit zum deutschen Kriegskomplex gehörte.

Mit seinen Bildern schloss Keetman an die von den Nazis teils verfemte, teils kopierte Tradition der neusachlichen Fotografie an, vor allem Albert Renger-Patzsch erkennt man auf ihnen wieder. Bei Keetman sollte die Welt zur Renger-Patzschen Schönheit zurückfinden, doch gerade, dass ihr dies nicht mehr vergönnt war, erfüllt Keetmans Werk mit Gegenwart. Bei Julian Sander sieht man erstaunlich viele weggeworfene Kinderpuppen und künstliche Gliedmaße. Auf einem Straßenbild werden die Fußgänger von rasenden Automobilen buchstäblich in die Ecke gedrängt.

In seinem Katalogbeitrag zur Ausstellung führt der Fotohistoriker Rolf Sachsse den speziellen Blickwinkel Keetmans auch auf dessen schwere Kriegsverletzung und deren Nachwirkungen zurück. Keetmans Welt beschränkte sich auf einen erstaunlich engen Radius: Seine Naturaufnahmen entstanden in Laufnähe seines Hauses, die Stadtbilder bei den regelmäßigen Arztbesuchen in München und die Großaufnahmen sich dehnender Tropfen in der eigenen Küche. So spiegelt sich die große Geschichte bei Keetman im Kleinen und im Allerkleinsten.


„Peter Keetman – Vintage-Fotografien aus der Sammlung Gerd Sander“, Galerie Julian Sander, Bonner Str. 82, Köln, Mi.-Fr. 12-18 Uhr, Sa. 12-16 Uhr, bis 30. Juni.

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