Zum Tod von Tom WilkinsonIn jedem Menschen steckt ein Jedermann

Lesezeit 3 Minuten
Tom Wilkinson schaut in die Kamera.

Tom Wilkinson wurde mit „Ganz oder gar nicht“ berühmt. Jetzt ist er im Alter von 75 Jahren gestorben.

Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs waren seine Spezialität. Jetzt ist Tom Wilkinson, bekannt aus „Ganz oder gar nicht“, gestorben.

Angeblich wurde Tom Wilkinsons in Hollywood vor allem für seine Qualitäten als Jedermann geschätzt. Die hatte der britische Darsteller 1997 in „Ganz oder gar nicht“ unter Beweis gestellt, als arbeitsloser Stahlarbeiter, der sich einer männlichen Amateur-Striptease-Gruppe anschließt, um der eigenen Hoffnungslosigkeit und dem von seiner Ehefrau aufgestellten Regiment an Gartenzwergen zu entkommen. Seine wahre Qualität lag allerdings darin, zu zeigen, dass in jedem Menschen ein Jedermann und damit der Keim einer aberwitzigen Tragödie steckt.

Seine klassische Rolle war vielleicht der hoch bezahlte Anwalt in Tony Gilroys Hochfinanzfarce „Michael Clayton“. George Clooney spielt darin den Titelhelden, den Mann fürs Grobe, der immer dann gerufen wird, wenn juristische Winkelzüge nicht mehr helfen. Aber Wilkinson ist das heißkalte Herz des Films: Seine Figur entwickelt ein Gewissen, als es am nötigsten (und am kostspieligsten für seine Auftraggeber) ist und maskiert diesen Treuebruch, indem er einen psychischen Kollaps simuliert. Wieder steht Wilkinson in Unterhosen da – und wieder trägt er den moralischen Triumph davon.

Tom Wilkinson glänzte, ohne den Stars die Schau zu stehlen

Tom Wilkinson war auch deswegen so beliebt in Hollywood, weil er in seinen Rollen glänzte, ohne den Stars die Schau zu stehlen. Er war der „geborene“ Nebendarsteller und spielte raffgierige Schurken („Batman Begins“) mit der gleichen Überzeugung wie politische Dunkelmänner („Der Ghostwriter“) oder einen Homosexuellen mit spätem Coming-out („Best Exotic Marigold Hotel“). Selten sah man ihn in Hauptrollen, aber auch hier war er ein Ensemblespieler. Mit Sissy Spacek trauerte er in Todd Fields „In the Bedroom“ um einen erschossenen Sohn, ein Drama, an dem die Liebe der Eheleute beinahe zerbricht. Am Ende tötet der Vater den Mörder, um wenigstens seine Ehe zu retten – mit Wilkinson konnte man auch in jedermanns Abgründe schauen.

Geboren wurde Tom Wilkinson 1948 im englischen Yorkshire. Als er vier Jahre alt war, wanderten seine Eltern mit ihm nach Kanada aus, um ein besseres Leben zu finden, kehrten aber nach sechs Jahren enttäuscht wieder zurück. Wilkinson wuchs in prekären Verhältnissen auf, erst als Student in London entdeckte er, dass es auch für Arbeiterkinder ungeahnte Möglichkeiten gibt. Nach dem College wechselte er auf eine Schauspielschule, anschließend baute er sich vor allem mit kleineren Rollen beim britischen Fernsehen eine Karriere auf. „Ganz oder gar nicht“ etablierte den damals 39-Jährigen dann in Hollywood.

Einen Oscar erhielt Wilkinson nie, aber er durfte sich als besondere Auszeichnung anrechnen, dass er als Brite immer wieder amerikanische Nationalhelden darstellte. Er spielte Benjamin Franklin in einer HBO-Miniserie fürs Fernsehen und Lyndon B. Johnson im Bürgerrechtsdrama „Selma“. Am vergangenen Samstag ist Tom Wilkinson, unser Mann für jede Jahreszeit, gestorben. Er wurde 75 Jahre alt.

KStA abonnieren