Beim Abschlusskonzert der Saison begeisterte Gastdirigent Thomas Guggeis mit dem Gürzenich Orchester trotz einiger Deutungsprobleme.
Gürzenich-Konzert in der PhilharmonieWenn der Dirigent plötzlich zum Clown mutiert

Hochbegabter Shootingstar der deutschen und auch internationalen Musikszene: Dirigent Thomas Guggeis
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Am Schluss mutierte der vital-energische Impulsgeber dann sogar noch zum Clown: Mit Körpersignalen und Grimassen schien Thomas Guggeis, hochbegabter Shootingstar der deutschen und auch internationalen Musikszene, einzelne Phrasen aus dem Finale von Schuberts sechster Sinfonie geradezu zu kommentieren, sich selbst in einen szenisch-humoristischen Dialog mit der simultan erklingenden Musik zu begeben.
Der reife Schubert darf noch nicht durchbrechen
Diese Sechste, angesiedelt im Niemandsland zwischen den spätklassischen fünf ersten Sinfonien auf der einen und „Unvollendeter“ und „großer“ C-Dur-Sinfonie auf der anderen Seite (als „kleine C-Dur“ firmiert eben die sechste), ist ein Stiefkind des Konzertbetriebes, und man ahnt die Gründe: Der Personalstil der Schubert'schen Reifezeit will hier schon überall durchbrechen, aber er darf es nicht so richtig, das Eigene wird noch von den Vorbildern der Wiener Klassik überformt und unterdrückt. Keine einfache Aufgabe für die Interpreten, wie sollen sie sich zu solch einem Stück verhalten? Statt, wie Guggeis, die Brüche und Inkonsistenzen durch freundliche Ironie zu neutralisieren, könnte man sie vielleicht hart und unverblümt herausstellen. Da gibt es, etwa im Trio der Scherzo, Stellen, die irgendwie auf der Stelle treten, aus der Zeit kippen. Guggeis neigt hingegen dazu, sie mit Beethoven'schem Brio zu überspielen, einen dramatischen Sog herzustellen, den die Musik von Haus aus vielleicht gar nicht so hat.
Jenseits grundsätzlicher Deutungsprobleme: Viel Schönes und Fesselndes
Klar, die effektvoll befeuerten Stretta-Passagen triggern den Beifall, den das Publikum in diesem letzten Gürzenich-Abokonzert der Saison in der Kölner Philharmonie auch reichlich zu liefern bereit war. Tatsächlich war da ja auch – jenseits grundsätzlicher Deutungsprobleme – viel Schönes und Fesselndes zu hören. Gerade in besagtem Finale ließ der (beim Gürzenich-Orchester debütierende) Gastdirigent die einzelnen, teils kammermusikalisch abgespeckten Instrumentalgruppen in einem spielerischen Pingpong gegeneinander antreten, das die reinste Hörlust bot. Die Musiker folgten den Wünschen vom Pult bemerkenswert brillant, mit einer gleichsam auf der Stuhlkante sitzenden Bereitschaft.
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Programm mit einer Klammer um die Wiener Romantik
Und immer wieder klang dieser Schubert vernehmlich nach Wien – was insofern nahelag, als das Programm thematisch eh eine Klammer um die Wiener Romantik zwischen dem frühen 19. und dem frühen 20. Jahrhundert schlug. Begonnen hatte das Konzert mit Mahlers frühem Orchestersatz „Blumine“ und sieben Orchesterliedern nach Texten aus Arnim/Brentanos „Wunderhorn“-Sammlung. Hier glänzte, wieder einmal, die in Köln gebürtige Mezzosopranistin Anna Lucia Richter, ein in ihrer Heimatstadt immer wieder gern gesehener Gast. Richter verfügt nicht nur über eine farben- und substanzreiche, das Oben und Unten geschmeidig verbindende und dabei völlig manierenfreie Stimme, sondern bringt eben auch die musikalisch-intellektuelle Spannkraft mit, die Abgründigkeit dieser Liedkunst adäquat auszuloten.
Mahlers Walzer-Behaglichkeit etwa hat stets einen doppelten Boden, und die kuriose „Fischpredigt“ ist de facto geschlagen von grausiger Vergeblichkeit. Richter agiert da, vom Orchester einfühlsam getragen, nie mit dem Holzhammer, arbeitet aber mit bestimmten Betonungen, auch mit dem gezielten Changieren der Stimme hin zu einer leichten Schärfe der Artikulation. Schließlich gibt sie Dialogliedern wie „Wo die schönen Trompeten blasen“, „Verlorne Müh'“ und „Das irdische Leben“ eine eindringliche szenische Kraft, insofern es ihr gelingt, glaubhaft zwei Rollen darzustellen.