„Eine Erlösung“So lief das erste Konzert im Kölner Gürzenich mit Publikum

Auf Abstand, aber immerhin: das erste „Nach Corona“-Gürzenich-Konzert mit Präsenzpublikum
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Köln – Die Kontrollschleuse am Eingang erinnerte an die Usancen in einem Hochsicherheitsgefängnis: Ticket, ausgefülltes Registrierungsformular, negativer Corona-Test und vielleicht noch der Perso zur Identitätsprüfung – all das wurde von den Mitgliedern des philharmonischen Saalteams sorgfältig gecheckt, so dass sich bei denen, die es ins Foyer geschafft hatten, Erleichterung breitmachen mochte.
Indes hatte dieser absehbare Hindernisparcours die Leute nicht davon abgehalten, sich in großer Zahl um die Teilnahme am ersten Gürzenich-Konzert mit Realpublikum seit langer Zeit zu bewerben. Dabei ist ein – durch die nach wie vor geltenden Abstandsregeln erzwungenes – Kontingent von 250 Karten selbst dann nicht gerade üppig, wenn nur Abonnenten angeschrieben wurden. So mussten, wie der Geschäftsführende Orchesterdirektor Stefan Englert mitteilte, zahlreiche Interessenten vertröstet werden.
„Eine Erlösung“
Bei denen, die eine Karte ergattert hatten und im Foyer einander (und sei es maskenbewehrt) mit dem Gestus „Sie gibt’s ja auch noch!“ begrüßten, machte sich nahezu Euphorie breit: „Eine Erlösung“, jubelte eine ältere Dame. Und ein Abonnent, der seit einem Jahr das Witwerdasein schultern muss, begrüßte die Tatsache, dass nun die Zeit der einsamen Abende daheim zu Ende sei. Auch der Umstand, dass es keinen „süffigen“ Beethoven, sondern mit Peter Eötvös’ dritten Violinkonzert (2018) und Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ nicht gerade massenattraktive ungarische Hardcore-Moderne zu hören gab, wurde durch das dominante Großgefühl „Endlich geht wieder was“ neutralisiert.
Freude über das Ende der Leidenszeit
Den (teils hinter Plastikschirmen sitzenden) Musikern auf dem Podium, die von den sich im philharmonischen Rund verlierenden Zuhörern inbrünstig, wenn auch mangels Masse akustisch schütter gefeiert wurden, war die Freude über das Ende einer langen Leidenszeit ebenfalls anzumerken. In gleicher Weise gilt das für Gürzenich-Kapellmeister François-Xavier Roth, der zwar diesmal nicht am Pult stand, es sich aber nicht nehmen ließ, im Gespräch mit dem Dirigenten des Abends, Eötvös himself, während der Podium-Umbaupause auf den Neustart gleichsam anzustoßen.
Kaum zu glauben, aber wahr: Der mittlerweile 77-Jährige, den Roth als großes Vorbild und guten Freund feierte, hat bis zum vergangenen Dienstag das Gürzenich-Orchester noch nicht im Konzert geleitet.
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Klar, dass er vor allem über sein zuvor von der Widmungsträgerin Isabelle Faust hinreißend, nobel-unaufdringlich sowie dicht und exquisit in der Tongebung gespieltes Violinkonzert Auskunft geben musste. Das Werk heißt „Alhambra“ und wurde, so sein Schöpfer, durch Bilder der maurischen Festung in Granada inspiriert: Beim digitalen Spaziergang durch ihre Räume „kamen mir die Einfälle wie von selbst“. Klangarchitektur als Architekturklang.Arabische Tonleitern wird man bei Eötvös hingegen kaum finden, und „spanisch“ kommt dem Hörer die Musik auch nicht vor – sie hat keine folkloristische Anmutungen.
Kammermusikalisch und farbenreich
Neben der forciert kammermusikalischen und klangkombinatorisch außerordentlich farbenreichen Durcharbeitung der Partitur fällt vor allem der konzise motivische Bau auf, in dem die Leitintervalle der Quinte und des Tritonus eine herausragende Rolle spielen.
Gleich im ersten Soloauftritt der Violine, der bogenschließend am Ende wiederkehrt, wird das wie ein mittelalterlicher Reperkussionston stets aufs Neue aufgesuchte G zum Gravitationszentrum der Linienbildung. Die Anlage des von Eötvös souverän dirigierten Werkes ist atonal, aber das verhindert in keinem Augenblick eine flammende, hochexpressive Sprache.
Architektur, hier in Gestalt von obsessiver Symmetriebildung, bestimmt auch Bartóks Werk, über dessen Goldener-Schnitt-Proportionen der Dirigent, ebenfalls instruktiv informierte. Die corona-bedingt (zu) kleine Besetzung müssten die Musiker, so Eötvös, durch Spielintensität und Klangdichte ausgleichen. Auch dies gelang, zwischen modaler Bauernmelodik und quasi-Bach’schem Kontrapunkt, ganz ausgezeichnet, so dass festgestellt werden darf: Die Rückkehr in den Konzertmodus war nicht nur als solche ein Erfolg, sondern verband sich sogar noch mit einem herausragenden künstlerischen Ereignis.
Extra-Publikumskonzert des Gürzenich-Orchesters am Mittwoch, 9. Juni, 20 Uhr: Unter seinen Konzertmeistern spielt es Werke von Haydn, Mozart und Elgar.