„Hart aber Fair“ über soziale MedienGegengewicht zur AfD – Jetzt hat auch Karl Lauterbach TikTok

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht bei „Hart aber Fair“ über die Chancen und Gefahren von sozialen Medien.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht bei „Hart aber Fair“ über die Chancen und Gefahren von sozialen Medien.

Bei „Hart aber Fair“ erklärte Karl Lauterbach, warum er jetzt auch TikTok nutzt. Die Gäste diskutierten über Hass und Populismus im Netz.

Spätestens seit Donald Trumps Twitter-Aktivitäten ist ersichtlich, dass die sozialen Medien für Politiker ein starkes Instrument sein können. Hierzulande nutzt die AfD die App erfolgreich, um ein junges Publikum für die eigenen Ideen zu gewinnen. Bei „Hart aber Fair“ diskutieren die Gäste der Sendung darüber, wie die Regierung gegen Hass und Populismus vorgehen soll.

Die Gäste bei der „Hart aber Fair“-Sendung zu Populismus

  • Karl Lauterbach, SPD, Bundesgesundheitsminister
  • Muhanad Al-Halak, FDP, Bundestagsabgeordneter
  • Sascha Lobo, Digitalexperte und SPIEGEL-Kolumnist
  • Tara-Louise Wittwer, Autorin, Kulturwissenschaftlerin & Content Creatorin
  • Silke Müller, Schulleiterin in Niedersachsen und Buchautorin
  • Alexander Prinz, Youtuber „Der Dunkle Parabelritter“ und Autor
  • Mischa, Anwältin in Düsseldorf, debattiert in Livestreams mit AfD-Anhängerinnen und Anhängern

Karl Lauterbach hat offenbar seine Antwort darauf gefunden. Der Gesundheitsminister postete kurz vor Beginn der Sendung sein erstes Video auf seinem TikTok-Kanal. Lauterbach möchte damit ein Gegengewicht zur AfD bilden. 

„Bei Twitter habe ich weit über eine Million Follower. Da läuft es ja auch, warum sollte das hier nicht möglich sein?“, erzählt er bei„ Hart aber Fair“. An dem AfD-Politiker Maximilian Krah, der viel Zulauf auf TikTok bekommt und seit einem Böhmermann-Beitrag gerne als Beispiel für populistische Inhalte herangezogen wird, nimmt sich Lauterbach aber kein Vorbild. „Ganz sicher ist es möglich, interessant und echt zu sein, ohne dass man sich zum Hanswurst macht.“ Für die App hat er aus Sicherheitsgründen ein eigenes Handy, mit dem er keine weiteren Aufgaben erledigt, ob privat oder beruflich.

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Ebenfalls bei „Hart aber Fair“ dabei ist der FDP-Politiker Muhanad Al-Halak, der TikTok schon seit der Pandemie nutzt. Die ersten Reaktionen seiner Kollegen seien negativ gewesen, mittlerweile hätten aber auch einige seiner früheren Kritiker einen Account. Dass er persönlich auf Kommentare antworten kann, sieht er als Möglichkeit, politische Nähe zu erzeugen. Er hat auch einen Tipp für den TikTok-Neuling Karl Lauterbach: mehr Menschlichkeit. Ein Video, auf dem er Fehler in der Coronapandemie zugebe, sei deshalb besonders stark geklickt worden.

Warum die sozialen Medien für Populisten ein dankbares Instrument sind

Die Menschen abzuholen, wo sie sind, ist ein gängiges Argument für die Nutzung von Social Media. Recherchen zeigen aber immer wieder, dass die Betreiber der Plattformen nicht nur in Sachen Datenschutz problematisch sind. Der Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo schlägt bei Louis Klamroth in diese Kerbe: „Der Algorithmus von TikTok ist nachweislich beeinflusst worden, bestimmte Inhalte weniger häufig auszuspielen.“ Das habe unter anderem queere Menschen betroffen, die so weniger sichtbar waren. „Ein Begriff wie Arbeitslager hat schon dazu geführt, dass Kommentare nicht veröffentlicht wurden oder Videos keine Reichweite bekommen haben.“ Das Gleiche gelte auch, wenn man die Widerstandsbewegung in Hongkong adressiert.

Das kann die politische Debatte verzerren. Sollten seriöse Politiker also überhaupt dort vertreten sein? Sascha Lobo gibt dafür ein klares Ja. „Ich halte es für die Meinungsbildung essenziell, dass man dort stattfindet, wo Menschen sich informieren.“ Populismus funktioniere auf solchen Plattformen zwar gut, er sehe aber auch eine Gegenbewegung dazu. Und der große Erfolg der AfD erklärt er nicht über Social Media, sondern über Politikversagen. „Ich würde davor warnen, die Verschiebungen politischer Natur ausschließlich auf TikTok zu schieben.“

Passend dazu auch eine Kritik, die der YouTuber Alexander Prinz schon früh in der Sendung anbrachte: „Wir müssen aufhören, permanent jedes Problem aus der Perspektive AfD zu betrachten. Wir müssen aufhören permanent über die AfD zu sprechen, sondern über Zusammenhänge an und für sich, über Plattformen an und für sich und wie wir damit umgehen.“

Auch Karl Lauterbach zeigt, wie polemisch Debatten im Internet verlaufen

Dass die Debatte in den sozialen Medien oft zugespitzt geführt wird, macht auch ein Beispiel von Lauterbach selbst deutlich. Louis Klamroth konfrontiert den Gesundheitsminister mit einem Tweet, in dem er eine starke Kritik der Krankenhausgesellschaft damit zurückwies, dass sie so undifferenziert argumentiere wie die AfD. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Krankenhausgesellschaft, sah in dem AfD-Vergleich einen Versuch Lauterbachs, seine Kritiker aus dem politischen Diskurs zu drängen. Der Gesundheitsminister blieb dabei, dass die Aussagen der Krankenhausgesellschaft „fake News“ seien – räumte aber ein, dass sein Tweet unglücklich formuliert war.

Doch nicht nur Politiker nutzen Social Media. Louis Klamroth holt für den letzten Themenblock die Schulleiterin Silke Müller ins Boot, die ihre Sorge darüber teilt, was für Inhalte Schülerinnen und Schüler auf sozialen Medien sehen: Etwa Gewalt oder Tierquälerei, und auch Cyber-Grooming benennt sie als Gefahr, also Erwachsene, die sich als Gleichaltrige ausgeben, um sexuellen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Tara Louise Witwe, die den Instagram-Kanal „Wastarasagt“ betreibt, erwähnt die App Knuddels als Beispiel für das Problem - die Plattform bietet Chaträume für Kinder an. Alexander Prinz berichtet, er habe dort als Selbstversuch ein Fakeprofil eingerichtet und sich als junges Mädchen ausgegeben. In kürzester Zeit habe er dutzende Anfragen von Pädophilen bekommen.

Mehr Medienkompetenz soll die Probleme um TikTok und Co lösen

Karl Lauterbach plädiert für klare Strafen für gesetzeswidrige Inhalte und für mehr Regulierung, daran arbeite die Regierung auch, was aber dadurch erschwert werde, dass die Betreiberfirmen größtenteils im Ausland sind. Sascha Lobo wiederum argumentiert, die schiere Größe der Plattformen und die Summe an Content mache die Eindämmung von problematischen Inhalten unheimlich schwer. Umso wichtiger sei es, die Kinder gezielt an Mediennutzung heranzuführen und über Gefahren aufzuklären.

Doch dass nicht nur Kinder von mehr Medienkompetenz profitieren würden, macht Alexander Prinz mit einem Beispiel aus dem US-Wahlkampf von 2016 deutlich. „Medienkompetenz ist etwas, das 2016 gefehlt hat, als der Wahlkampfleiter von Hillary Clinton auf eine Phishingmail reagiert hat und das dazu geführt hat, dass 50.000 E-Mails bei einem Hacker-Kollektiv in Russland gelandet sind.“ Da diese über Wikileaks vertrieben wurden, habe Clinton massive Nachteile im Wahlkampf gegen Donald Trump hinnehmen müssen. Ein einziger E-Mail-Link habe so das Weltgeschehen verändert.

Entsprechend plädiert die Schulleiterin Silke Müller auch für Medienkompetenz für alle. Die Eltern von Schülerinnen und Schülern konfrontiere sie auf Elternabenden mit Inhalten aus den sozialen Medien, um sie aufzuklären. Das Schulsystem, das sie als „Ruinenverwaltung“ bezeichnet, funktioniere nicht mehr für die Herausforderungen von heute. Um in der Schule einen guten Umgang mit dem Internet vermitteln zu können, brauche es Richtlinien, die für alle in Europa gelten. „Es braucht die Kompetenz und es braucht die Regulierung.“

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