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Heinz Strunk„Ich habe keine Begabung für Glück“

Lesezeit 9 Minuten

Heinz Strunk

Der Anzug sitzt tadellos, die Chelsea Boots sind blank poliert. Sein gepflegtes Äußeres garniert der Autor, Entertainer, Musiker und Humorist mit Retro-Brille, einem goldenen Herrenarmband und einer Rolex.

Auf einem Mittelfinger prangt ein Anker-Tattoo. So und nicht anders transportiert man den Look eines 70er-Jahre-Luden ins Jahr 2016. Wir treffen Heinz Strunk in der Lobby des Hotels im Wasserturm, seichter Jazz plätschert aus den Lautsprechern.

Herr Strunk, „Der goldene Handschuh“ wird in allen Feuilletons hochgelobt, und Sie waren für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Welche Gefühle durchströmen Sie momentan: Zufriedenheit oder gar Glück?

Zur Person

Heinz Strunk, bürgerlich Mathias Halfpape, geboren 1962, bildet zusammen mit Rocko Schamoni und Jacques Palminger das Humoristen-Kombinat „Studio Braun“. Außerdem tritt das Trio als komplett erfundene Techno-Band „Fraktus“ auf.

2004 debütierte Strunk als Autor mit dem autobiografischen Roman „Fleisch ist mein Gemüse“, der sich seither fast 500 000 Mal verkaufte. „Der goldene Handschuh“ ist bei Rowohlt erschienen (256 Seiten, 19,99 Euro). Heinz Strunk liest am 27. Mai im Kölner Gloria.

Was ich empfinde, ist Genugtuung. Ich habe nicht so eine Begabung zum Glück. Seit Jahren bemühe ich mich, Bücher zu schreiben, und es ist durchaus auch gesehen worden, dass ich „Fleisch ist mein Gemüse“ hinter mir gelassen habe. Die Verkäufe nach meinem Debüt ließen aber zu wünschen übrig, und wenn „Der goldene Handschuh“ jetzt so intensiv wahrgenommen wird, gibt mir das ein gutes Gefühl. Ich habe schon gehofft, dass das Buch kein Misserfolg wird. Aber ich bin schon baff, wie generalstabsmäßig sich der Prozess der Besprechungen vollzogen hat.

Von der „FAZ“ über „aspekte“ bis hin zu „titel, thesen, temperamente“ haben alle berichtet …

Und jetzt sickert es immer noch weiter durch. Seit 2005 habe ich bestimmt im Jahr zwei Veröffentlichungen. Sei es nun mit Studio Braun, sei es mit Theater-Inszenierungen, mit Fraktus, mit Filmen und Büchern. Aber selbst, wenn man wie ich nicht unerfolgreich ist, weiß man, dass es die Ausnahme ist, einen Hit zu landen. Dazu gehören viele Faktoren, die letztendlich gar nicht erklärbar sind.

Mit dem vorigen Buch „Junge rettet Freund aus Teich“ war Ihr eigenes Leben auserzählt.

Die biografische Zitrone war ausgepresst, richtig.

Was war die Initialzündung dafür, sich an einen schweren Stoff zu wagen, über den Serienmörder Fritz Honka zu schreiben?

Die Idee ist 2009 parallel zu den Arbeiten an „Junge rettet Freund aus Teich“ entstanden. Ich bin drauf gekommen über Besuche der Kiez-Kneipe „Der goldene Handschuh“, im Volksmund auch bekannt als „Honka-Stuben“. Es war so, als würde mir das Thema auf dem Silbertablett serviert werden. Als Autor sucht man immer händeringend nach einer Idee. Man kann darauf hoffen, dass noch einmal eine Idee wie die zu „Das Parfum“ vom Himmel fällt, aber da kann man lange warten. Ich wusste, dass ich Honkas Geschichte auf meine Art und Weise erzählen wollte. Man spürt, wenn ein Roman in einem schlummert.

Sie hatten Einsicht in die Prozessakten und haben sich durch insgesamt 18 Ordner gewühlt. Wie ging es Ihnen dabei?

Ich hatte zu dem Gegenstand eine professionelle, berufsmäßige Distanz. Das Lesen der Akten ist mir nicht nahegegangen. Es finden sich endlose Wiederholungen in den Aufzeichnungen, zwei Ordner hätten auch gereicht. Um den Verwesungsgeruch der Leichen zu überdecken, hat Honka etliche Toilettensteine in seiner Wohnung verteilt und Unmengen Fichtennadelspray versprüht. Für das Buch war es schön zu wissen, welche Marke er verwendet hat. „Patrizia“ hieß die. Gibt es heute nicht mehr.

Was war Honka für ein Mensch, was haben Sie für ein Bild zusammensetzen können?

Fritz Honka war natürlich alles andere als ein sympathischer Mensch. Aber ich habe in der Beschäftigung mit ihm und beim Schreiben eine gewisse Empathie für ihn entwickelt. Die Gerichtsreporterin Peggy Parnass schrieb über Honka einen Satz, der es gut zusammenfasst: „Das ärmste aller vorstellbaren Würstchen hatte auch noch das Pech, zum Mörder zu werden.“

Wie ist es Ihnen gelungen, so nüchtern von einer versoffenen, hoffnungslosen Welt zu erzählen?

Das kann ich nicht genau beantworten. Ich kann es nur abstrakt formulieren: Es ist die Summe meiner 30-jährigen künstlerischen Arbeit. Bevor ich mit dem Schreiben eines Buchs anfange, weiß ich, wie es klingen sollte. Bei „Der goldene Handschuh“ spielt Wahrhaftigkeit eine ganz besondere Rolle. Es gab mehrere Durchläufe, und ich habe lange daran gefeilt, bis ich den Ton gefunden hatte, der Honka und dem Personal um ihn gerecht wird. Ich beschreibe das Geschehen, so dramatisch es auch war, mit Lakonie, ohne es zu bewerten. Das Allerschlimmste, was dabei hätte passieren können, ist Melodramatik, und die konnte ich verhindern.

Eskimos haben viele Worte für Schnee, Heinz Strunk für Suff

Eskimos haben viele Worte für Schnee, Sie für Suff und diverse Verlotterungszustände: Stützbier, Sturzsuff, Vernichtungstrinken, Verblendschnäpse, Schmiersuff.

Das Wort „Schmiersuff“ ist ausgedacht und beschreibt den Zustand der Verkaterung, wenn man gar nicht mehr aus Suff und Betrunkensein rausfindet, wenn man komplett zugeschmiert ist und die Synapsen verkleben. Ich war rund 150-mal im „Handschuh“ und habe versucht, dies und das aufzuschnappen. Nicht als der Herr Schriftsteller, der bescheuert in der Ecke sitzt und beobachtet. Ich war dort als Gast und nicht bei der Recherchearbeit.

Honka schwankte zwischen Sadismus und seiner Schlagerwelt, sein Lieblingslied war Salvatore Adamos„Es geht eine Träne auf Reisen“.

Mein Eindruck ist, dass es mit ihm auch besser hätte enden können. Er war ein Typ, der mit wenig zufrieden war, er hatte durchaus die Sehnsucht nach einer bürgerlichen Schrebergartenwelt. Das Gericht bewertete seine Taten als sogenannte Milieu- und Situationstaten im Affekt. Gut gegangen wäre sein Leben nicht, da sind die unendlichen Mengen Korn vor, die er über viele Jahre getrunken hat. Aber vielleicht wäre er nicht zum Mörder geworden.

Bei aller Schwere des Themas erkennt man, dass „Der goldene Handschuh“ ein echter Strunk ist. Wie bekommt man bei so einer Story die humoristische Grundierung hin?

Es war mir wichtig, auch bei diesem Buch den Humor nicht aus den Augen zu verlieren. Ich glaube, dass es auch humoristisch funktioniert, weil ich darauf verzichte, bewusst Pointen zu setzen. Ich überlasse den Humor komplett den Figuren in ihren unfreiwillig bizarren Gesprächen, Dialogen und Monologen.

Mein Eindruck ist, dass Sie mit diesem Buch nicht mehr „nur“ als Autor wahrgenommen werden. Sondern als Schriftsteller.

Das Gefühl habe ich auch, und das ist auch durchaus von mir so beabsichtigt. Aber ob ich als Schriftsteller durchgehe, müssen andere entscheiden.

Wobei „Der goldene Handschuh“ nicht weit weg ist von ihrem übrigen Werk. Es geht immer um Menschen in Not und Leid, die auf der Achterbahn des Lebens mehr als einmal aus der Kurve getragen worden sind.

Das sehe ich auch so. Eine Grundmelancholie zieht sich durch alle meine Bücher. Bei „Fleisch ist mein Gemüse“ gibt es die Lesart, dass die Witzebene registriert und das Anekdotische gemocht wird. Das Buch kann man aber als Ganzes nur begreifen, wenn man auch die melancholischen Momente sieht. „Der goldene Handschuh“ ist ein echter Strunk. Nur eben in extremer Ausprägung.

Wird es Heinz Strunk als Künstler weiter in den bekannten Darreichungsformen geben?

Unbedingt. Mit Fraktus spielen wir im Sommer noch ein paar Festivals, und im August kommt ein Buch mit dem Titel „Drei Farben Braun“ raus, eine Dokumentation über 20 Jahre Studio Braun. Und dann gehe ich auf Lesereise, die bis in den Juni dauert. Bei allem, was ich mache, ist eins wichtig: Humor muss immer eine Fallhöhe haben. Er entsteht für mich oft aus Tragik und ist eine Art Notwehr, um den Alltag auszuhalten.

Wenn Sie in Talkshows gehen, erzählen Sie ernsthaft darüber, was Sie als Mensch an- und umtreibt. Comedy-Gestalten wie Bülent Ceylan, Mario Barth und Atze Schröder spielen hingehen in Talkshows einfach ihr Bühnenprogramm weiter.

Wenn ich so etwas sehe, weiß ich immer nicht, was das soll. Letztens habe ich „Markus Lanz“ geguckt, und da saß dieser unsägliche Paul Panzer und spulte seine Witze ab. Heinz Strunk ist keine Figur. Heinz Strunk bin ich. Mathias Halfpape gibt es gar nicht mehr richtig. Ein paar alte Tanten und ein Cousin nennen mich noch Mathias, alle anderen sagen Heinz.

Ärgern Sie sich immer noch, wenn man sie als Comedian bezeichnet?

Total! Ausgerechnet mich, der seit mehr als 20 Jahren mit allen Mitteln gegen die Comedy-Pest kämpft.

Was ist Ihnen lieber als Berufsbezeichnung? Humorist?

Humorist lasse ich gelten. Vor allem dann, wenn man bei dem Begriff an Leute wie Helge Schneider, Loriot, Gerhard Polt und Heino Jaeger denkt. Nicht zu vergessen die Frankfurter Humorschule mit Robert Gernhardt, F.K. Waechter und F.W. Bernstein.

Ein Lebensziel von Karl Lagerfeld ist, dass sich die Konfektionsgröße nicht mehr ändert. Können Sie sich damit identifizieren?

Der Stoffwechsel wird mit zunehmendem Alter leider nicht schneller. Ich werde dieses Jahr 54 und ich achte schon darauf, dass ich halbwegs in Form bleibe.

Bei öffentlichen Auftritten wirken Sie immer wie aus dem Ei gepellt. Wie wichtig ist Ihnen Stil?

Jeder, wie er will, aber ich lege da schon Wert drauf. Ich finde Gefallen an der Idee, wie man einen Autor bewertet. Eine Sache ist kommerzieller Erfolg, eine andere ist Relevanz, und eine dritte ist für mich Star-Appeal. Der leichte Retro-Luden-Look, den ich trage, passt gut zum Buch. Ich trage ihn aber schon länger.

Ihre Rolex ist echt?

Ja.

Neu gekauft?

Nein, das ist eine „Day-Date“. Je nach Ausführung kann die schon mal bis zu 30 000 Euro kosten. Ich habe sie gebraucht gekauft, für 6000.

Und die Rolex in Kombination mit dem goldenen Dieter-Thomas-Heck-Gedächtnis-Herrenarmband, das Sie gerade tragen?

Diese Kombination habe ich mal bei dem Designer Tom Ford gesehen. Fand ich fett und protzig und schön drüber. Gefällt mir.

Heinz Strunk in Jogginghosen. Vorstellbar?

Ja. Sobald ich im Hotelzimmer bin. Mein wichtigstes Utensil auf den Lesereisen ist der Schlafanzug. Ich mag es bequem und habe mindestens immer zwei mit. Bloß nicht noch ausgehen, quatschen und mit Leuten einen trinken gehen. Fernseher an, und los geht’s. Ich lasse mich gerne berieseln.#multibox

Letzte Frage: Heinz Strunk, wie ist der eigentlich so, menschlich gesehen?

Ach, ich weiß es doch auch nicht. Wer mich nicht kennt, kommt nicht unbedingt auf die Idee, dass ich etwas mit Humor zu tun habe. Ich versuche, in meinem Gesamtschaffen einen Beitrag zu leisten, damit die Welt eher besser wird als schlechter. Und ich bemühe mich, ein integres Leben zu führen.