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Interview

Henrik Hanstein
„Über den Fall Beltracchi ist viel Falsches geschrieben worden“

7 min
Henrik Hanstein schaut in die Kamera.

Henrik Hanstein vom Kölner Kunsthaus Lempertz

Lempertz-Chef Henrik Hanstein über sein Jubiläum als Auktionator, Fälschungen im Kunstmarkt und den Standort Köln. 

Herr Hanstein, Sie haben das Kunsthaus Lempertz vor 50 Jahren von Ihrem früh verstorbenen Vater übernommen und feiern jetzt Ihr Dienstjubiläum standesgemäß mit einer Auktion. Haben Sie sich die Aufgabe damals als junger Mann zugetraut?

Damals habe ich mir alles zugetraut. Wenn man so jung ist, dann überschätzt man sich sicherlich. Je älter man wird, umso vorsichtiger wird man. Wobei: Bei der Kunstgeschichte ist ja das Schöne, dass sie, je älter sie werden, sie auch mehr Erfahrungen haben und entsprechend sicherer in ihrem Urteil werden.

Die Auktion heißt „50 Lots - My Choice“ und verbindet Altes und Neues.

Ich hatte immer die Idee und den Wunsch, alte und moderne Kunst zu mischen. Sonst sind unsere Auktionen streng getrennt, nach klassisch und modern. Das ist eine sehr deutsche Angewohnheit, die sie bei Sammlern in Belgien, in Frankreich oder den USA nicht unbedingt finden. Wer sammelt heute Alter Meister: Das sind entweder junge Leute, weil Alte Meister nicht so teuer sind, oder ältere Semester und auch viele Künstler. Ich habe Gerhard Richter mal hier im Hause gesehen, wie er sich ein Bild des niederländischen Romantikers Barend Cornelis Koekkoek anschaute. Künstler haben da einen anderen Blick. Ich wollte diese Brücke zwischen Alt und Neu jetzt auch mal versuchen.

Sie haben Lempertz zu einem internationalen Unternehmen mit breiter Expertise gemacht.

Von der Vielfalt des Angebots her sind wir das größte Auktionshaus in Deutschland. Das hat uns auch wirtschaftlich sehr stabil gemacht, und wir haben eine 227 Jahre lange Tradition. Wir gehörten zu den ersten Kunsthändlern, die in Deutschland moderne Kunst versteigert haben, wir waren die Ersten, die zeitgenössische Kunst gemacht haben, die Ersten, die ostasiatische Kunst gemacht haben und die Pioniere in Photographie. Wir hatten schon vor dem Zweiten Weltkrieg Bilder von Kirchner und Heckel in der Auktion. Die liefen damals unter „neue Meister“.

Nicht jeder kann S-Klasse fahren. Ich bediene die E-Klasse des Kunstmarkts
Henrik Hanstein, Kunsthaus Lempertz

Die Kunstwelt ist heute global. Wie wichtig sind Kunden im Ausland für Sie?

Die Afrika-Auktionen in Brüssel haben einen sehr internationalen Touch. Da kommen die Kunden aus der ganzen Welt. Bei der ostasiatischen Kunst ist es auch so. Drei Viertel der Ware verkaufen wir nach Asien. Da sind wir auch abhängig von den dortigen Märkten. Unsere Einlieferungen bekommen wir hauptsächlich aus Europa. In China ist vieles um 1900 rausgegangen. Zum Glück kann man nur sagen, denn Mao Zedong war wohl der größte Kulturzerstörer.

Und jetzt geht das alles nach China wieder zurück?

Voriges Jahr hatten wir zwei Stempel von Kaiser Qianlong in der Auktion. Die lagen seit mehr als 30 Jahren im Berliner Museum als Leihgabe. Die Erben haben sie dem Museum günstig angeboten. Das Museum wollte sie aber nicht. Dann haben die Erben gesagt: Gut, wir geben es zu Lempertz. Als wir die Stempel im Museum abholen wollten, haben die sie dort im Depot zunächst nicht gefunden. Irgendwann entdeckten sie einen Schuhkarton und da waren sie drin. Während der Recherche stellten wir fest, das sind kaiserliche Siegel, das ist große Kunst. Und bei der Auktion brachten die zwei Siegelstempel des prächtigen Kaisers 900.000 Euro.

Ist Ihre internationale Ausrichtung eine Überlebensnotwendigkeit, um als Mittelständler mit den globalen Auktionshäusern konkurrieren zu können?

Naja, nicht jeder kann den Mercedes S fahren. Es gibt auch Leute, die fahren E-Klasse.

Das Gemälde zeigt eine Flusslandschaft mit Booten und Kähnen.

Wird bei Lempertz versteigert: Alfred Sisleys Gemälde Le Chantier de Matrat, Moret-Sur-Loing

Sie bedienen die E-Klasse des Kunstmarkts?

Ja, ich bediene die E-Klasse. Aber schauen Sie sich einen der europäischen Kollegen an. Vor Monaten wurde noch gemunkelt, sie hätten dort angeblich 1,8 Milliarden Schulden. Seitdem ich bei Lempertz bin, haben wir noch nie Schulden gehabt. Wenn sie so breit aufgestellt sind wie wir, sind sie weniger konjunkturanfällig. Wir leben gut damit. Es gibt ja nicht nur Großbanken, sondern auch hervorragende Privatbanken.

Wie hat sich der Kunstmarkt in den letzten 50 Jahren entwickelt?

Der Wegfall der Binnengrenzen in der Europäischen Union, das war der größte Kick, den ich als Kunstversteigerer erlebt habe. Was war das für ein Theater, wenn Ausländer früher bei uns kauften! Sie brauchten Zollpapiere, und wenn wir in Brüssel ausstellen wollten, brauchten wir eine Bürgschaft der Handelskammer. Die andere große Veränderung ist die Digitalisierung, die hat den Kunstmarkt noch globaler gemacht.

Wie wichtig ist der Standort Köln für Sie?

Der ist schon nicht schlecht, aber wir könnten genauso gut in München oder in Brüssel sein. Vor allem nach Brüssel zu gehen, war für uns eine sehr gute Entscheidung. Unsere Alten Meister zeigen wir grundsätzlich auch dort. Die deutschen Museen sind auf diesem Gebiet leider sehr schwach auf der Brust. Wenn wir bedeutende Bilder haben, kommen die selten zur Besichtigung, weil sie sich die ohnehin nicht leisten können. Wir haben häufiger ausländische Museumsdirektoren hier als deutsche. Davon abgesehen wünschen wir uns als Kölner eine etwas schönere und besser aufgeräumte Stadt.

Was war Ihr persönliches Highlight der letzten 50 Jahre und was ihr Tiefpunkt?

Ein Tiefpunkt ist immer, wenn ich eine schöne Sammlung, um die wir werben, nicht bekomme. Das habe ich erlebt. Aber man wächst mit seinen Verlusten. Der Höhepunkt ist eigentlich immer wieder, wenn man ein Bild entdeckt. Wie das Gemälde von Tiepolo in der Choices-Auktion, das bei den Einlieferern in einem Stapel von Bildern stand.

Ein Tiefpunkt bei Lempertz war der Betrugsfall Beltracchi.

Eigentlich habe ich dazu genug gesagt. Ich habe den Mann nie kennengelernt und nenne ihn lieber Maltracchi. Es ist damals viel Falsches über den Fall geschrieben worden, das kann ich nicht anders sagen. Der Mann war raffiniert und hat die ganze Welt betrogen. Ich habe Leute weinen sehen, die mit ihm viel Geld verloren haben. Händler, Auktionatoren, Sammler, alle waren betroffen. Traurig, dass der verurteilte Betrüger gefeiert wird.

Sie standen im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Ich bereue im Nachhinein, meine Strafanzeige in Köln gestellt zu haben. Das hätte ich besser in Berlin machen sollen. Viele meiner Kollegen waren betroffen und haben den Kopf eingezogen. Auch ich bin leider erst spät stutzig geworden, als wir die Provenienz nachrecherchiert haben. Selbst die Labors haben die Fälschungen erst nicht bemerkt. In einem Kölner Museum war ein Gemälde von Beltracchi, und sie haben es nicht gemerkt. Erst als der Fall juristisch abgeschlossen war, habe ich Bescheid gesagt. Aber lassen wir die Kirche im Dorf, es ist im Ganzen eine Promillequote.

Wie sind Sie Beltracchi auf die Schliche gekommen?

Wir waren am Grab des Großvaters von Frau Beltracchi, aus dessen Sammlung die Bilder angeblich stammten. Auf dem Grabstein standen die Lebensdaten 1912 bis 1992. Ich wusste aber von einem Forscher, dass Alfred Flechtheim, von dem der Großvater die Gemälde angeblich gekauft hatte, sein Geschäft bereits 1934 abgewickelt hat. Mit anderen Worten: Der Großvater muss alles mit 22 Jahren gekauft haben. Das konnte nicht stimmen. Aber die Kollegen bei Sotheby’s und Christie’s, die ich darauf ansprach, antworteten nicht, und auch die Pariser Händlerkollegen nicht. Wir rannten vor eine Mauer, was mich sehr wunderte. Heute wissen wir, dass Christie’s wohl am stärksten vom Fall Beltracchi betroffen war.

Werner Spies muss den Betrug bemerkt haben, aber er hat keine Konsequenzen daraus gezogen
Henrik Hanstein, Kunsthaus Lempertz

Hätte man den Betrug früher aufklären können?

Unser Bild war bestätigt von der Werkverzeichnisbearbeiterin und vom Sohn des Künstlers. Und es wurde über die Ehefrau eines hochrangigen Angehörigen der Deutschen Botschaft in Paris eingeliefert. Das war Beltracchis Schwägerin. Alles war sehr clever gemacht, und damals konnten wir Bilder noch nicht untersuchen, ohne sie zu „zerstören“, also Löcher zu bohren. Das können wir ungefähr erst seit 2010. Der größte Schaden ist meines Erachtens aber durch den Max-Ernst-Experten Werner Spies entstanden. Ich kenne die Akten: Er muss den Betrug bemerkt haben, aber hat offensichtlich nicht die Konsequenzen daraus gezogen. Das war eine Tragödie für ihn.

Welche Konsequenzen haben Sie aus dem Fall gezogen?

Wir haben als erste in Deutschland mithilfe der Technischen Hochschule Köln aufgerüstet und ein sehr teures Gerät angeschafft. Wir bezahlen seit 13 Jahren eine Geophysikerin und bieten unsere technischen Untersuchungen auch für Privatleute an. Gerade haben wir ein Gemälde im Haus gehabt, das vor zwei Monaten noch in einem sehr prominenten rheinischen Museum hing. Das wäre das Hauptstück unserer Auktion gewesen. Es war gut dokumentiert und in großen Museen als Leihgabe zu sehen gewesen. Irgendwas gefiel mir an dem Bild nicht. Schließlich haben wir eine technische Analyse des Gemäldes machen lassen und es daraufhin verworfen.

Fälschungen gehören zum Kunstmarkt?

Das wird es leider immer wieder geben. Es gab Betrugsfälle, die waren viel bedeutender als Beltracchi. Vor ein paar Jahren haben wir eine Sammlung russischer Avantgarde-Kunst abgelehnt. Das ist ein besonders schwieriges Feld. Schon Peter Ludwig wusste, dass er bei seinen Käufen ein großes Risiko einging; das Kölner Museum Ludwig hat mittlerweile auch einiges davon abgeschrieben, auch mit Hilfe der Technischen Hochschule. Andererseits: In Ludwigs Sammlung sind es Petitessen – denken Sie an den falschen Monet im Wallraf-Richartz-Museum.

Aber das macht nicht alles gut, oder?

Man lernt immer dazu. Man wird auch immer demütiger, umso länger man seinen Beruf ausübt. Ich glaube, das ist in allen Bereichen so. Wir haben in Köln etwas angestoßen mit der technischen Analyse von Kunstwerken, was enorme Früchte getragen hat.

Zum Abschluss: Was ist Ihr Lieblingsstück in der Auktion?

Das ist so eine Frage, als ob es nur eine wirklich schöne Frau im Leben gäbe. Außerdem habe ich Kunden und jeder erwartet, dass ich sein Objekt für das Lieblingsobjekt halte. Sehr gerührt hat mich die Geschichte hinter der Kuh-Skulptur von Ewald Mataré. Die Vorbesitzer mussten aus Deutschland fliehen und haben es damals im Gepäck mitgenommen. Dafür müssen sie auf vieles andere verzichtet haben. Sie überlebten damit, hielten Kontakt zum damals verfemten Künstler, und dann kommt so etwas von den Erben wieder zurück. Ein singuläres Stück.