Das Beste aus 2023Lexikon zum neuen Album: Deutsch – Grönemeyer, Grönemeyer – Deutsch

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Der Musiker Herbert Grönemeyer kommt zur Präsentation seines neuen Albums „Das ist los“ ins Berliner Lovis Restaurant. Er trägt eine dunkelblaue Winterjacke, einen schwarzen Pullover und eine große, schwarze Hornbrille.

Herbert Grönemeyer präsentiert sein neues Album

Am Freitag erscheint „Das ist los“, das 16. Studioalbum von Herbert Grönemeyer. Wir stellen die schönsten Wortneuschöpfungen des Bochumer Barden vor. 

Am Freitag, dem 24. 3., erscheint Herbert Grönemeyers neues Album „Das ist los“. Musikalisch bietet es wenig Überraschendes. Betont eckiges Rock-Geholze, kirmeshafte Keyboards, hallendes Schlagwerk, klavierballadige Klavierballaden. Klingt wie Grönemeyer, klingt wie Deutschland. Keine Frage von Geschmack, sondern von Selbsterkenntnis. Lexikalisch ist „Das ist los“ allerdings mal wieder der Hammer. Aus diesem Grund ein kleines Wörterbuch mit den wichtigsten Neubildungen.


Dieser Text gehört zu unseren beliebtesten Inhalten des Jahres 2023 und wurde zuerst am 24. März veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.


Aufleben, jemanden Bislang konnte man selbst wieder aufleben, oder eine Sache wieder aufleben lassen, etwa die gute, alte Zeit. Dank Herbert Grönemeyer können wir das „lassen“ jedoch in Zukunft weglassen, aufgelebt wird nun ganz direkt. Beispielsatz aus seinem Lied „Eine Tonne Blei“: „Du verschaffst meinem Ich Übergewicht/ und lebst mich unermüdlich auf.“

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Neues Album von Herbert Grönemeyer erscheint am Freitag, den 24. März 2023

Das ist, was ist really los Grönemeyers eigensinnige Antwort auf die Frage „Was ist los?“ dient wohl vor allem dazu, den Verein Deutsche Sprache zu triggern. Der Sänger panscht nicht nur ein englisches Adverb in einen rein deutschen Satz, er formt ihn noch dazu nach fremdländischer Grammatik um. This is what is really happing, pardauz.

Daueralarm, der Zustand in dem sich weite Teile unserer Gesellschaft derzeit befinden. Grönemeyers Therapievorschlag: „Nimm das Leben manchmal in den Arm/ Heb’ es so gut es geht aus dem Daueralarm.“

Durchgenervt, voll Zustand, in dem sich vor allem junge Menschen angesichts der schleppenden Klimarettungsbemühungen ihrer Altvorderen befinden. Ihren inneren Monolog empfindet Grönemeyer im Lied „Oh Oh Oh“ nach: „Muss die Welt erst in Flammen stehen/ dass wir uns aus unsrem Koma drehen?“

Gardinen, diffuse Grönemeyerisch für Filterblase, also der von Internet-Algorithmen bedingten Abschottung eines Users gegenüber allen Informationen, die nicht seinem Standpunkt entsprechen. Eine Wortneufindung mit Goldkante.

Gefühlsgeschehen, das Allgemeines Innerlichkeitsgebrodel. Grönemeyer lobt eine Angebetete, die über selbiges souverän herrscht, zugleich jedoch vor Euphorie platzt, ungebremst aufs Leben prallt und die Gegenwart „bescheint“.

Baden-Württemberg, Friedrichshafen: Musiker Herbert Grönemeyer tritt bei der ZDF-Show "Wetten, dass..?" auf.

Herbert Grönemeyer in der ZDF-Show 'Wetten, dass..?' im vergangenen November.

Herzhaft, die Im gleichnamigen Lied nicht als Adjektiv für „mutig“ oder „gehaltvoll“ benutzt, sondern als Nomen mit neuer Bedeutung: „Nimm’ mich in die Herzhaft.“

Nullzeit, die Grönemeyers Diagnose für ein spezifisch deutsches Lähmungsgefühl. Man fühlt sich unbehaust in der angeblichen Heimat, „weil man nie vergisst/ dass der Schlüssel nicht mehr schließt“.

Opt in, sign up, Hafermilch Jungdynamisches Einverstandensein in einer vernichtenden Zeile erfasst.

Retterinnenweg, der Die Spur, auf der das Ewig-Weibliche zum Hinanziehen des vergrübelten Mannes herbeieilt. Unbedingt freizuhalten.

Superdu, das Grönemeyers sympathische Alternative zum Über-Ich. Gemeint ist der Empathie-Modus, den man in sich wecken muss, um sein Genie zu „entfrieren“, wie es der Barde aus Bochum formuliert. Wahre Vervollkommnung erreicht man nur im Dialog mit anderen Menschen. Wie konnte Freud das nur übersehen?

Tragikstau, der Zu selbigem kommt es laut Grönemeyer, wenn man Probleme zu lange von links nach rechts wälzt.

Traum, veralpter Das Deutsche liebt Komposita, Herbert Grönemeyer auch (siehe: „Tragikstau“). Es setzt auch gerne Nomen und Adjektive zu neuen Adjektiven zusammen: „klimafreundlich“, „herzhaft“. Aber ein Kompositum wieder zu Adjektiv und Nomen aufzubrechen, das ist definitiv ein neuer Move der Grönemeyer’schen Sprachkunst: „Öffnet irgendwer die Schleuse/ aus diesem streng veralpten Traum?“

Urverlust, der Mit dieser psychoanalytischen Neubildung bezeichnet Grönemeyer einen anderen Menschen, der eine Wunde ins eigene Leben schlägt, die in der Folge nicht mehr heilt: „Es warst nur du/ immer du/ Unerreicht, so klug/ von Kopf bis Fuß/ aus einem Guss/ bleibst du mein Urverlust.“ Gemeint sein wird wohl seine früh gestorbene erste Frau Anna. Als Maß der Liebe hat der Urverlust freilich auch etwas Positives. Davon kündet im Lied jedoch nur das Saxofonsolo, das sich der Sänger im Ausklang leistet. Oder eine Zeile an anderer Stelle: „Kummer begleitet jeden/ der tief und innig liebt.“

Weiterzeit, die Das Gegenteil der Nullzeit. Der Lähmung entkommt man allerdings nur mithilfe eines geliebten Wesens: „Wir wollen gemeinsam aus dem Nebel/ Dein weiblicher Blick ist der Hebel/ Deine Stimme klingt so weit nach Weiterzeit.“

Zweifelzwangsjackett, das Aus dem sollte sich schleunigst schälen, wer dem inneren Tragikstau über den Retterinnenweg entkommen will, um rechtzeitig in Richtung Superdu abzubiegen.

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