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Hofesh Shechter Company im SchauspielPure Tanzeuphorie

3 min
„Theatre of Dreams“ von Hofesh Shechter Company im Depot 1

„Theatre of Dreams“ von Hofesh Shechter Company im Depot 1

Die Hofesh Shechter Company begeistert mit „Theatre of Dreams“ im Schauspiel

Er gehört zu den besten Erfindungen des Theaters: der Vorhang. Im 1. Jahrhundert vor Christus als „aulaeum“ etabliert, verheißt er seitdem Geheimnis und Grenzübertritt. Hinter ihm beginnt eine Kunstwelt, die uns vielleicht Lachen, vielleicht Staunen, vielleicht Nachdenken, selten auch Weinen lässt. Vielleicht wird sie uns aber auch ärgern, gar attackieren?

In Hofesh Shechters „Theatre of Dreams“ wird es viele Theatervorhänge geben. Sie schwingen elegant auf oder flattern stürmisch herbei, sie bauschen sich auf, toben. Sie schaffen immer neue Räume, große leere Bühnen und kleine Separees, in denen sich mysteriöse Szenerien offenbaren. Und sie verändern durch grandiose Lichteffekte von Designer Tom Vissner ihre Farben, glühen Bordell-rot oder werden zum Schwarzen Loch, in dem die völlige Auflösung, das Nichts droht.

Schon Shechters Spektakel der tanzenden Vorhänge wäre ein wunderbares Stück. Aber da ist natürlich auch der Mensch, der sich wie immer beim israelisch-britischen Starchoreografen die Seele aus dem Leib tanzt. Zu Beginn steht ein einzelner Mann vor dem geschlossenen Theatervorhang, da öffnet sich ganz unten ein kleines Dreieck für ihn. Sicher nicht zufällig ist es genau diese Form, die an die weibliche Scham erinnert, mit der alles anfängt - geht es um Träume, ist Sigmund Freud nie fern. Nach einem Zögern schlüpft der Mann durchs Dreieck ins Reich des Unbewussten und ein wilder surrealer Bildertrip stürzt auf uns ein.

Der Trost, nicht allein sein zu müssen

So kennt man Shechter. Und doch auch wieder nicht. Denn nach Jahren, in denen er uns seine Wut auf die Welt entgegenschleuderte, uns mit Stücken wie „Political Mother“ und „Grand Finale“ zur Rebellion anstacheln, die faschistoiden Machtmechanismen oder die Erbärmlichkeit des Menschen vorführen wollte - nach nun gut 15 Jahren gesellschaftspolitischer Geißelung zeigt der Rocker unter den Choreografen nun in seinem „Theatre of Dreams“ auch die zarten Seiten seiner Spezies, zeigt den Trost nicht allein sein zu müssen. Ein bisschen jedenfalls. Denn klar: Wenn da ein Paar mit traurig-schweren Gliedern sich langsam einander zuwendet, um sich behutsam zu küssen, muss in der Shechter-Welt natürlich doch eine ausgelassene Partygesellschaft den Mann versehentlich anrempeln, so dass es vorbei ist mit der Sanftheit.

Und natürlich gibt es auch die Albträume: rasendes Auf-der-Stelle-Laufen, heftig wippende Oberkörper wie vor der Klagemauer, ekstatisch zuckende Körper, um sich schlagende Arme im explodierenden Psychoschmerz. Doch immer wieder werden Aggression und Angst von purer Tanzeuphorie weg-geraved, und irgendwann geht sogar das Licht im Saal des Depots an und die 13 fantastischen Performerinnen und Performern strecken ihre Hände ins Publikum, bitten uns zum Tanz auf die Bühne. Dazu live von drei Musikern gespielte Bossanova-Klänge, die allerdings die elektronischen Sounds nur überlagern.

Das von Shechter selbst komponierte Grollen wie von herabstürzenden Gesteinsmassen verschwindet nie ganz. Träume als Schichtungen des Seins, einander überlagernde Erinnerungen und Emotionen. Aber kein Traum im Choreografen-Hirn ohne exzessiven und fantastisch originell und genau arrangierten Tanz. Ein Glück.

Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: 04./05.01.2025 „Corps de Walk“ von Sharon Eyal und dem Hessischen Staatsballett im Staatenhaus