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Hoffnungsvoll gehauchtWas den Song „Future" von Billie Eilish so besonders macht

Lesezeit 3 Minuten

Billie Eilish auf der Bühne

Ein Markenzeichen – von Menschen, die, ebenso wie die in diesem Text zu beschreibende Person, jünger als 20 Jahre alt sind, auch gern als „Signature Move“ bezeichnet – der Signature Move der Sängerin Billie Eilish also ist es, auf Promofotos grundsätzlich nicht zu lächeln. Stattdessen guckt sie wahlweise: gelangweilt, genervt, aggressiv oder ganz und gar ausdruckslos. Was wiederum ziemlich eindeutig ausdrückt, wofür sie steht. Jedenfalls nicht für gute Laune.

Dieses Image ist nun erst mal nicht wahnsinnig neu in der Musikwelt – man denke da an Thom Yorke von Radiohead (immer ein bisschen zu traurig) oder an Morrissey von The Smiths (immer ein bisschen zu nachdenklich) – und kann nicht allein als Erklärung dafür gelten, dass Eilish spätestens seit 2019 Idol von Millionen Teenagern ist, als „Stimme der Generation Z“ („Guardian“) oder auch „mögliche Zukunft der Popmusik“ („New York Times“) gilt. Und, aha, da womöglich versteckt sich auch schon die Auflösung mit drei Buchstaben: Pop.

War ja die Melancholie lange eher der Gitarrenmusik vorbehalten, brachte der Pop in den 2000er-Jahren vor allem glückliche Hitroboter hervor, die immer lächelten, immer funktionierten, und, na klar, von allen geliebt werden mussten. Und das, so glaubten die Manager anscheinend, erreicht man am besten ohne Makel.

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Eilish hingegen kultiviert das Außenseitertum, sie ist der Gegenentwurf zu der Popstar-Blaupause des schönen Highschool-Lieblings, und das Gute ist, so richtig entwerfen musste sie dafür keiner. Wenn die 18-Jährige Musikvideos herausbringt, die aussehen, wie man es sich in Alfred Hitchcocks Kopf an schlechten Tagen vorstellt, und über blutige Nasen und Suizidgedanken singt, dann hat das keinen grotesken Marilyn-Manson-Geisterbahncharakter, es ist kein Horror um des Horrors willen. Eilish, die offen über depressive Gedanken und Selbstzweifel spricht, Schönheitsideale lässig wegignoriert, stellt ihren eigenen Schmerz so selbstbewusst in den Vordergrund, dass er zur Stärke ihrer Musik wird – und man sich nicht schlecht fühlt, wenn er in eingängigen Melodien im Kopf kleben bleibt.

Ihr Debütalbum „When we all fall asleep, where do we go?“ (über vier Millionen Mal verkauft, mit fünf Grammy-Awards ausgezeichnet) war folglich sehr tanzbar, aber eher lebensverneinend.

Als Eilish nun, nachdem sie sich über einige Zeit sehr engagiert und nachdrücklich für die Bewegung „Black Lives Matter“ starkgemacht hatte, vor einer Woche auf der Fotoplattform Instagram einen neuen Song mit dem Titel „my future“, also „meine Zukunft“, für diesen Freitag ankündigte, rechnete man zwangsläufig mit keiner allzu optimistischen Prophezeiung. Aber die Kalifornierin, die alle ihre Lieder mit ihrem Bruder

Finneas aufnimmt, am liebsten im alten Kinderzimmer, erfüllt erfahrungsgemäß nicht gern kollektive Erwartungen. Auf „my future“ singt sie plötzlich über Selbstliebe, zunächst nur von einem Wurlitzer Piano begleitet, das überraschend unpoppige Kadenzen spielt. Dann bricht alles auf, der Gesang schwebt über treibendem Schlagzeug und Bass, Funk-Gitarren surren durchs Panorama. „I know I’m supposed to be unhappy without someone / But aren’t I someone?“, haucht Eilish hoffnungsvoll, ganz nah am Mikrofon.

Im Musikvideo dazu, einem Zeichentrickfilm, ist das der Zeitpunkt, an dem der Regen aufhört. Pflanzen sprießen aus dem Boden und heben eine Karikatur der Sängerin in Richtung Himmel, in Richtung Sonne. Nur lächeln tut sie dabei nicht.