Interview mit Wayne Marshall„Der verrückte Präsident Trump ist wahrlich keine Hilfe“

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Wayne Marshall ist Chefdirigent des WDR-Funkhausorchesters.

  • Der Chefdirigent des WDR-Rundfunkorchesters Wayne Marshall nimmt nach sechs Jahren Abschied von seinem Posten.
  • Im Interview erklärt er seine Gründe dafür und seine Pläne für die Zukunft. Außerdem verrät er, was ihm an Köln besonders gut gefallen hat und wie er den Karneval erlebt hat.
  • Außerdem kommentiert er die Rassismus-Demonstrationen auf der ganzen Welt.

Köln – Mister Marshall, wo erreichen wir Sie gerade? Wahrscheinlich ja nicht in Köln.

Nein, nein, ich bin in Malta, also zuhause bei meiner Familie.

Die große Abschiedsparty in Köln fällt somit corona-bedingt aus…

Ja, leider, das Orchester und ich hätten uns schon einen anderen Abschluss gewünscht. Wir werden das im nächsten Jahr nachholen – wenn Corona vorbei ist. Über meine persönliche Situation will ich aber gar nicht klagen, andere hat diese Tragödie des Jahrhunderts viel härter getroffen – viele Musiker geradezu in ihrer Existenz, wie Sie wissen. Trotzdem: Wir sitzen auf dieser Welt alle im selben Boot, und wir werden auch gemeinsam aus dieser Krise rauskommen. Für mich bringt Corona noch eine besondere Erfahrung: Ich hatte in diesem Rundfunk-Umfeld ja viel mit Aufnahmen zu tun. Jetzt habe ich mich situationsbedingt mit Social Media vertraut gemacht. Und die fordern auch hinsichtlich der Aufnahmen und ihrer Verwertung noch ganz anders die Kreativität heraus.

Sie verlassen Köln nach sechs Jahren. Warum wurde der Vertrag nicht verlängert – zumal Ihre Beziehung zum Funkhausorchester ja als geradezu ideal gilt?

Er ist ja einmal verlängert worden – es waren insgesamt zwei mal drei Jahre. Aber es war jetzt meine Entscheidung, die mir allerdings nicht leichtgefallen ist. Ich werde die Musiker und meine Freunde in Köln vermissen. Das Orchester passt prima zu meiner Persönlichkeit und musikalischen Ausrichtung. Nein, ich war wirklich glücklich in Köln, und ich werde ja auch als Gastdirigent zurückkehren. Aber der Posten frisst viel Zeit, und ich möchte jetzt verstärkt wieder Konzerte als Pianist, Organist und Dirigent in Europa und in der Welt geben.

Was haben Sie denn jetzt konkret vor?

Na ja, Corona brachte jetzt einmal etliche Absagen, so dass ich im Augenblick viel Zeit mit meiner Familie verbringen kann. Wunderbar! Mein Debut mit dem Chicago Symphony Orchestra beim Ravinia Festival im Juli wird vermutlich auch abgesagt. Aber im September/Oktober dirigiere ich – hoffentlich – „Porgy and Bess“ am Theater an der Wien. Nein, an sich ist der Kalender voll, und was ausfällt, wird irgendwann nachgeholt.

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Sie haben keinen festen Posten mehr?

Nein, da war zuletzt nur Köln. Ja, ich bin ein Free-Lancer – wie die vielen anderen Musiker.

Wie sieht Ihre Bilanz der Kölner Jahre aus, was lief gut, was weniger gut?

Das Funkhausorchester hat fantastische Musiker. Sicher hat es auch Konflikte gegeben, aber das ist in jedem Orchester so. Ich bin ein fordernder Dirigent, und das kann auch schon mal nerven. Aber davon möchte ich kein Aufhebens machen, sondern einfach sagen: wir haben viel miteinander erreicht. Köln war ja mein bislang mein erster und einziger Chefdirigentenposten. Was mich persönlich anbelangt, so habe ich zwei Dinge zu bedauern: dass ich nicht wirklich in der Stadt gelebt habe, sondern nur im Hotel oder im Apartment – mein Lebensmittelpunkt ist halt Malta, wo auch meine Familie wohnt; und dass ich es nicht geschafft habe, Deutsch zu lernen. Aber das war schon in Wien so, wo ich in den 90ern als Post Graduate studierte. Ich wollte ein „proper German“ sprechen, und es waren dann die extrem unterschiedlichen Dialekte, die mir die Lust verdorben haben.

Aber Dialekte sind Sie doch aus England gewohnt – in ihrem Geburtsort Oldham (bei Manchester) spricht man doch auch einen?

Ja, da spricht man Dialekt – und was für einen. Aber zuhause mussten wir Englisch so korrekt sprechen, wie es nur eben möglich war, da kannten meine Eltern keinen Spaß. Und das war der Maßstab auch für das Deutsche.

Zurück zum Orchester: Hat sich der Sound während ihrer Amtszeit profiliert, verändert?

Ja, er ist offenkundig besser, einheitlicher geworden. Das war auch vom Start weg mein Ehrgeiz, ich wollte in Köln proben, verbessern, etwas bewegen – entsprechend der hohen Anforderungen, die ich auch an mich selbst stelle. Leider haben wir das international nicht so zeigen können, wie ich mir das gewünscht hätte. Bei den Proms in London haben wir nicht gespielt. Aber wir hatten großartige Konzerte in Köln und in Deutschland. Und wir hatten eine großartige Spanien-Tournee – für mich ein wirkliches Highlight, nicht nur musikalisch, sondern im menschlichen Zusammensein mit dem Orchester.

Sie haben hörbar vor allem den rhythmischen Biss der Performance geschärft…

Ja, rhythm is it. Der muss sitzen – sonst braucht man gar nicht weiterzumachen.

Das Funkhausorchester muss ja von seiner Aufgabenbeschreibung her eine große Bandbreite zwischen leichter Klassik, Pop, Jazz, Operette, Musical, Film abdecken, also in vielen Sätteln gerecht sein. War das für Sie schon mal ein Problem?

Überhaupt nicht. Wenn nicht ein rein „klassischer“ Dirigent wäre, wäre es vielleicht eins gewesen. Aber ich bin ein Musiker, der all die verschiedenen Genres mag. Und das Orchester ist spezialisiert auf diese unterschiedlichen Stile, wechselt sehr leicht zwischen ihnen. Da habe ich mich zuhause gefühlt, und das war auch ganz wichtig für mich. Ein Symphonieorchester, das nur Beethoven und Brahms spielt und keine Ahnung davon hat, wie es Bernstein oder Gershwin spielen soll, wäre nichts für mich gewesen.

Würden Sie jetzt, beim Abschied, dem Orchester etwas mit auf den Weg geben wollen?

Nein, eigentlich nicht. Die wissen selbst, wo sie waren, als wir begannen, und wo sie jetzt sind. Und als Gastdirigent werde ich jederzeit wieder zur Verfügung stehen.

Sie haben, wie man hören kann, einstweilen keinen Nachfolger…

Ja, und das finde ich merkwürdig. Dieses Orchester sollte unbedingt wieder einen Chefdirigenten haben. Aber ich kenne die Gründe nicht, vielleicht hat auch die Corona-Krise die Suche erschwert.

Zur Person

Wayne Marshall, 1951 in Oldham bei Manchester geboren, begann nach dem Besuch der Chetham's School in Manchester eine Orgelausbildung an der Kathedrale von Manchester. Weitere Studien folgten am Royal College of Music bei Nicholas Danby (Orgel) und Angus Morrison (Klavier) sowie an der Wiener Musikhochschule. Marshall konzertierte als Organist unter anderem in Notre Dame de Paris, in der Royal Festival Hall und in der Westminster Abbey. Er ist Organist in residence der Bridgewater Hall in Manchester. Als Dirigent arbeitete er mit den Rotterdamer Philharmonikern, den Wiener Philharmonikern, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Schwedischen Radiosinfonieorchester, dem BBC Symphony Orchestra, der Dresdner Philharmonie sowie den Orchestern von Bordeaux und Lyon zusammen. Auf seinen Programmen stehen oft Werke von Gershwin, Ellington und Bernstein. Von 2014 bis 2020 war er Chefdirigent des WDR-Funkhausorchesters. Auch als Komponist ist er hervorgetreten. Marshall lebt mit seiner Familie in Malta. (MaS)

Was werden sie vermissen, wenn Sie an Köln denken – Karneval und Kölsch?

Beides definitiv nicht. Was Bier anbelangt, so bevorzuge ich Pils, und der Karneval? Nun ja, wenn Sie mal, wie ich, den karibischen Karneval erlebt haben – da kommt so schnell nichts gegen an. Nein, an Köln fasziniert mich die Vielseitigkeit und Vielfalt der Menschen und Kulturen hier. Und der Dom, der die Skyline dominiert und immer noch wie vor Zeiten dasteht – auch nach den Verheerungen des Krieges. Und Köln hat – wichtig für mich – einen beträchtlichen Reichtum an Orgeln. Meine Lieblingskirche in dieser Hinsicht ist übrigens die Minoritenkirche. Tolle Atmosphäre, tolle Akustik – ich bin stundenlang dort gewesen.

Was denken Sie über die – ausgegebenem Anlass – stattfindenden Anti-Rassismus-Proteste überall auf der Welt?

Ich will nicht über die im engeren Sinn politischen Aspekte sprechen. Gewalt gegen Leute gleich welcher Hautfarbe geht gar nicht, und es ist klar, dass rassistisch motivierte Polizeigewalt vor allem in den USA ein großes Thema ist. Und dieser verrückte Präsident, dem jede Qualifikation für vernünftiges Regieren abgeht, ist in dieser Situation wahrlich keine Hilfe. Ich kann nur hoffen, dass er im November nicht wiedergewählt wird. Ich persönlich habe mit Rassismus eigentlich keine Erfahrungen gemacht, in Köln auch nicht. In meinem Elternhaus war das kein Thema, ich erinnere mich, dass mein Vater mir einmal, als ich eine neue Schule in Manchester besuchte, eine diesbezügliche Frage stellte. Ich bin auf sehr guten Schulen gewesen, wo es Rassismus nicht gab, jedenfalls bekam ich ihn nicht mit. Ich hatte schon eine sehr privilegierte Erziehung.

Wo kommt Ihre Familie ursprünglich her?

Meine Eltern kommen aus Barbados in der Karibik, sie sind 1947 nach England emigriert. Die Frage der Hautfarbe, dass wir etwas Besonderes seien, anders als andere Menschen – das hat für sie nie eine Rolle gespielt. Meine Weltsicht hat das sehr geprägt, ich nehme Menschen nicht über ihre Hautfarbe wahr. Und Rassismus passt auch nicht zum Geist von Musik. Sie wissen ja: „Alle Menschen werden Brüder.“ Aber klar – Rassismus begegnet einem, auch wenn er in der eigenen Welt keinen Platz hat. Ich sage immer: Wenn Leute mit „coloured people“ ein Problem haben, dann ist das ihr Problem.

Das Gespräch führte Markus Schwering

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