Interview mit Lindsey Stirling„Wir alle haben ständig diese Stimmen in den Köpfen“

Lindsey Stirling
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Lindsey Stirling, gerade ist Ihr neues Album „Artemis“ erschienen. In der griechischen Mythologie ist Artemis die Göttin der Jagd und des Mondes. Zu ihren Attributen zählen Pfeil und Bogen – ein wenig wie Ihre Geige und der Bogen. War Artemis das Vorbild für die Geschichte auf Ihrem Album?
Ja, genau! Mich fasziniert die Figur der Artemis und wofür sie steht: Sie ist so stark, so mächtig, und gleichzeitig so zart und fürsorglich. Sie ist zwar die Göttin der Jagd, doch sie ist auch die Göttin des Mondes und die Hüterin der Jungfräulichkeit und der Tugend. Sie hat so viele Seiten, für mich ist sie deshalb die weiblichste aller Göttinnen. Ich wollte einfach ein Album schreiben, dass all diese Motive widerspiegelt, und ich denke, das ist mir auch gelungen.
Warum hat die Figur der Artemis Sie so angesprochen?
Als ich anfing, an den neuen Songs zu schreiben, habe ich mich gefragt: „Was würde Lindsey schreiben, wenn ich die Lindsey wäre, die ihr allererstes Album geschrieben hat?“ Ich wollte mich zurückversetzen in diese Phase, an den Punkt, an dem ich angefangen habe, Musik zu machen. Damals kannte ich noch nicht alle Regeln, ich habe noch nicht verstanden, wie alles funktioniert, also konnte ich einfach kreativ sein. Also habe ich mich gefragt: „Was würde sie schreiben, wenn sie heute in meinen Schuhen stecken würde?“ Mit all den Ressourcen und all dem Wissen, das ich heute habe.
Wie haben Sie das geschafft, Ihre damalige „Unschuld“ und ihre heutige Erfahrung zu verbinden?
Es ging vor allem darum, ohne jegliche Grenzen zu schreiben. Einfach das zu schreiben, was ich fühlte, ohne es zu beurteilen. Als Musikerin muss man sich ständig damit auseinandersetzen, was einen Song zu einem guten Song macht, was man tun sollte, damit ein Song sich gut verkauft oder im Radio gespielt wird. Ich habe all diese Regeln ausgeblendet und einfach geschrieben.
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War das schwer?
Ja! Denn wir urteilen so streng über uns selbst, wir haben ständig all diese Stimmen in unseren Köpfen, die uns sagen, was wir tun müssen, um erfolgreich zu sein. Auf meinem letzten Album habe ich zum Beispiel gedacht, es könnte Spaß machen, Songs zu schreiben, die in eine poppigere Richtung gehen, und auf einmal waren da all diese Regeln, die ich beachten musste, wie man einen populären Song zu schreiben hat. Dieses Mal wollte ich nur für mich selbst schreiben. Die größte Herausforderung daran war es, meine Selbstkritik auszublenden. Wir Menschen sind so hart zu uns selbst, es war unglaublich schwierig, einfach meine Musik zu betrachten, ohne sie zu beurteilen, oder zu kritisieren, sondern einfach nur kreativ zu sein. Es macht mich nicht zu einer schlechten Musikerin, nur weil ich einen schlechten Song schreibe. Wir müssen aufhören, uns selbst zu verurteilen.
Also handelt Ihr neues Album auch von Selbstakzeptanz und Selbstliebe?
Ja, ich denke, die großen Themen auf dem Album sind Licht und Dunkelheit, denn das Licht wird am Ende immer gegen die Dunkelheit gewinnen. Als ich mein letztes Album schrieb, hatte ich das Gefühl, im Schatten gefangen zu sein. Ich dachte, das sei nun mal einfach mein neues Ich und ich müsste mich daran gewöhnen. Doch als ich anfing an dem neuen Album zu schreiben, wurde mir bewusst, dass das nicht stimmte. Das war nicht ich. Ich war im Schatten gefangen, doch jetzt bin ich zurück. „Artemis“ ist eine Botschaft an meine Fans, dass wir auch in dunklen Zeiten nicht zulassen dürfen, dass die Dunkelheit uns definiert. Wir müssen nur zurück zum Licht finden und erkennen, dass wir schön und stark sind.
Zur Person
Lindsey Stirling wurde 1986 in Kalifornien geboren. Die Violinistin und Komponistin mischt Elemente aus Klassik, Elektronik, Dubstep und Hip-Hop. Sie wurde bekannt durch ihren Youtube-Kanal, der aktuell zwölf Millionen Abonnenten hat. Ihr fünftes Album „Artemis“ ist diesen Monat erschienen. An diesem Freitag, 27. September, tritt sie im Kölner Palladium auf. (ksta)
Inwiefern spiegelt sich diese Thematik in Artemis’ Geschichte wider?
Wir sind jeden Tag unseres Lebens mit Licht und Dunkelheit konfrontiert. Sei es abends oder aber wenn wir uns selbst betrachten und erkennen, dass wir alle dunkle Seiten in uns tragen, mit denen wir lernen müssen, umzugehen. Ich glaube, dass viele Menschen sich auf einer symbolischen Ebene in der Thematik des Albums wiederfinden können: Manchmal wird der Mond vom Schatten verdeckt, doch das ändert nichts daran, dass du noch immer voll Licht und Stärke bist.
Am 27. September werden Sie im Rahmen Ihrer Europa-Tour im Kölner Palladium spielen. Wird die starke Symbolik der Platte auch Teil der Live Show sein?
Auf jeden Fall! Natürlich wird es noch immer alle Lieblingssongs meiner Fans im Programm geben, doch auch „Artemis“ wird ein sehr großer Teil der Show sein. Ich möchte, dass die Leute gut unterhalten werden, dass sie lachen werden, dass sie weinen werden, doch wenn sie gehen, hoffe ich, dass sie das Gefühl haben, stark und machtvoll zu sein.