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Isabel Schayani über Iran-Proteste„Manche sagen, dass man auch Gewalt anwenden muss”

Lesezeit 8 Minuten
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Flammen und Rauch am Evin-Gefängnis in Teheran am 15. Oktober.

Köln – Die WDR-Journalistin und “Weltspiegel”-Moderation Isabel Schayani ist Expertin für die Themen Flucht und Migration. Zurzeit beschäftigt sich besonders intensiv mit den Protesten im Iran, dem Heimatland ihres Vaters. Sie spricht Persisch und ist, wie sie im ausführlichen Interview (das Sie hier auch als Podcast hören können) sagt, seit Beginn der Bewegung quasi bei Twitter eingezogen.

Seit mehreren Wochen gehen die Menschen dort auf die Straße, in den sozialen Netzwerken sehen wir trotz Zensur viele Videos, die zeigen, mit wie viel Mut sie gegen das Regime demonstrieren. Schayani schildert, wie sich die Proteste entwickeln und warum sich diese Bewegung von früheren unterscheidet. Von der deutschen Bundesregierung erwartet sie mehr Engagement. Außerdem berichtet sie, wie es den vielen Iranerinnen und Iranern geht, die in Deutschland leben.

Frau Schayani, Sie beschäftigen sich intensiv mit den Protesten in Iran. In der Vergangenheit gab es immer wieder Proteste, die dann niedergeschlagen wurden. Was ist dieses Mal anders?

Isabel Schayani: Proteste gab es in der Tat mehrfach: 2009, 2018, 2019 und jetzt. Die Reaktion des Regimes war immer die Gleiche: Mit aller Härte Proteste niederschlagen. Dieses Mal war es so, dass die Mutigsten, die am Anfang auf die Straße gegangen sind, Frauen waren. Sie haben ihr Kopftuch abgesetzt und in die Luft gehalten, obwohl sie wissen, dass sie damit ihre körperliche Unversehrtheit und auch ihre Freiheit riskieren.

Und das hat sich dann schnell ausgeweitet.

Es hat sich an den Unis fortgesetzt und an den Schulen. Jetzt sind es Schülerinnen, die sich im Klassenzimmer weigern, das Kopftuch zu tragen, die auf einmal regierungskritische Sprüche skandieren. Diese Schülerinnen und jungen Frauen gehen auf die Straße - natürlich auch mit vielen Männern an ihrer Seite. Sie haben anscheinend keine Angst vor der Polizeigewalt, obwohl sie wissen, wie gefährlich das ist. Sie wissen durch die Proteste in den Jahren zuvor, dass man durchhalten und dagegenhalten muss. Und manche sagen, dass man auch Gewalt anwenden muss.

Wir sehen hier viele Videos von Demonstrierenden. Aber kann man irgendwie beziffern, wie groß die Zahl derjenigen ist, die auf die Straße gehen?

Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus. Ich habe mit Menschen gesprochen, die gerade aus Iran gekommen sind. Einer hat sich das angeguckt, aber nicht mitdemonstriert. Er hat gesagt, es seien nicht so viele und die Regierung werde das niederschlagen wie bei den Malen zuvor. Eine Frau, die noch heiser war, als sie hier ankam, weil sie so auf der Straße gerufen hat, sagte hingegen, es machten fast alle mit. Die Frage nach der Quantität kann man von hier aus nicht beantworten. Was man sagen kann, ist, dass es viele Teile der Gesellschaft durchdringt - über Alltagsgrenzen hinweg, auch in den Gebieten der ethnischen Minderheiten und nun schon seit Wochen.

Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat vor wenigen Tagen im Deutschlandfunk gesagt, es sei der Beginn einer Revolution. Die Demonstranten hätten die gemeinsame Forderung, dass die Islamische Republik Iran aufhöre zu existieren.

Die Mädchen in der Schule und die Studenten auf der Straße rufen “Tod dem Diktator!” Das ist die Systemfrage. Sie hat sich dieses Mal im wahrsten Sinne des Wortes an dem Kopftuch als Symbol für die Islamische Republik entzündet. Dieses politische System hat offenbar eine wirkliche Legitimationskrise hat. Ich kann es nicht quantifizieren, aber es geht tief in die Gesellschaft. Deswegen scheint das große Wort, das Frau Ebadi gesprochen hat, schon angebracht.

Wer stützt denn dieses Regime noch?

Es gibt viele, die vom System leben und die Angst davor haben, dass es außer Kontrolle gerät und man einen Bürgerkrieg riskiert. Oder dass Menschen an die Macht kommen, die sie überhaupt nicht haben wollen. Da ist zum Beispiel immer die Angst vor den Mujahedin. Und dann gibt es auch etliche, die sich in dem Regime eingerichtet haben, die gut damit leben, die Sanktionen umgehen. Es gibt eine nennenswerte Zahl von Menschen, die diese Situation beibehalten worden. Aber vor allen Dingen die Jungen, die Zukunft des Landes, skandieren in einer Breite mit einem Mut und einer Resilienz gegen diese Herrscher, wie ich es noch nie gesehen habe.

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Ausländische Journalisten können nichts in Land, das Internet wird dort massiv gestört, zum Teil abgeschaltet. Ist es überhaupt möglich, umfassende, gesicherte Informationen zu erhalten?

Die Frage ist berechtigt. Es gibt keine unabhängigen, ausländischen Beobachter im Land. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Man lebt eigentlich nur von diesen vielen kleinen Krümelchen und Videos, die dann über Telegram, Insta und Twitter verteilt werden. Natürlich kann man da vielleicht Geräusche von Schüssen drunter legen. Aber ich glaube, es gibt wahrscheinlich wenige Bewegungen, die so authentisch von den Leuten nach draußen gegeben werden. Ob nun alles glaubwürdig ist? Keine Ahnung, aber der Kern bleibt. Die Videos, die zu uns durchdringen, zeigen, dass es in Wellen und landesweit immer wieder große Proteste mit einer unglaublichen Entschlossenheit und auch einer unheimlichen Wut gibt.

Man sieht im Internet zahlreiche Videos, die die Brutalität der Einsatzkräfte zeigen. Diese scheint eher zu- als abzunehmen. Ist eine weitere Eskalation unausweichlich?

Das Problem ist, dass der Führer der Islamischen Republik immer nur eine Maßnahme kennt: Mit aller Härte Proteste schon im Kleinsten niederschlagen. Da kommen sie aber im Moment nicht mehr hinterher. Ob es sich immer weiter zuspitzt? Ich weiß es nicht. Es gibt Schätzungen vom Wochenende von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen, die von rund 185 Toten, darunter 19 Minderjährige, sprechen. Wie viele tatsächlich im Gefängnis sind, weiß man nicht. Aber es ist sicherlich eine mindestens vierstellige Zahl. Der Bildungsminister hat gestern gesagt, die Schülerinnen seien teilweise festgenommen worden und Teile von ihnen seien die Psychiatrie eingewiesen worden. Wie es weitergeht, ist genau die Frage, die auch Iraner in Köln, in ganz Deutschland zum Teil seelisch in den Wahnsinn treibt. Wie viel Waffengewalt werden sie noch einsetzen?

Es gibt auch ein Video, das zeigt, dass sich Polizeikräfte mit den Demonstrierenden solidarisierten.

Ja, es gab ein Video von Sonntag oder Montag, wo man sehen konnte, dass Polizisten mitlaufen. Es ist natürlich die große Hoffnung, dass es wirklich so ist. Ob das oft passiert? Ich habe keine Ahnung. Die Frage, wie sich die Sicherheitskräfte verhalten, wird am Ende die Entscheidende sein. Lassen sie sich womöglich spalten und ein Teil läuft über? Wobei dann auch die Frage ist, wohin sie überlaufen. Es ist ja keine geeinte oder zentral organisierte Protestbewegung wie seinerzeit 1979 unter Chomeini, jetzt erhebt sich die Zivilgesellschaft. In Kurdistan und Balutschistan haben die Sicherheitskräfte mit aller Gewalt versucht, die Kontrolle zurückzugewinnen – mit vielen Toten. Sie schießen sogar aus der Luft auf ihre Bürger.

Wie nehmen Sie die iranische Community in Deutschland gerade wahr?

Ich kann nur kleine Puzzlestücke nennen. Wir waren vorletzte Woche in Düsseldorf in der Mitsubishi-Arena bei einem großen persischen Pop-Konzert von Dariush. Aber das war kein normales Konzert, das war eher eine Kundgebung. Viele Auslandsiraner sehnen herbei, dass sich etwas verändert, weil sie natürlich hoffen, dass sie wieder zurückgehen können. Der Blick der Diaspora ist immer ein besonderer, mit besonders viel Hoffnung und gleichzeitig schlechtem Gewissen, weil man weggegangen ist und die Menschen vor Ort es jetzt allein ausputzen müssen. Diese irre große Hoffnung, dass es diesmal klappt, verzerrt das Bild möglicherweise auch ein bisschen.

Was kann und muss Deutschland tun? Sie haben vergangene Woche in einem Interview gesagt, der Westen schaue eher dezent weg.

Ich bin ja quasi bei Twitter eingezogen und habe den Eindruck - und den habe ich nicht allein -, dass wir zwar wie die Weltmeister twittern und Nachrichten verbreiten, es aber gemessen an dem, was da passiert und welches Potential darin liegt, noch nicht entsprechend wahrgenommen wird. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass wir hier erschöpft sind, dass wir mit uns selber beschäftigt sind und genug Unruhe in unserem Leben haben.

Aber das darf doch nicht für die Bundesregierung gelten, oder?

Eine Bundesregierung muss das schon im Blick haben. Sie sollte sich für die Dimension und die Ausmaße interessieren. Es gab Kritik an der Außenministerin, weil sie ja gewagt hat, Feminismus und Außenpolitik zusammenzubringen. Mit diesem Wort der feministischen Außenpolitik erwächst natürlich große Hoffnungen, zumal bei einer Bewegung, in der Frauen ganz vorne sind. Es gab eine Forderung von ihr nach erneuten EU-Sanktionen. Der Bundeskanzler hat einmal bei der UN-Generalversammlung sinngemäß gesagt, das sei ja sehr mutig, was die da machen. Aber es gab keine weiteren politischen Konsequenzen. Man sollte sich sehr genau überlegen, welche Instrumente der EU und Deutschland zur Verfügung stehen, um zu zeigen, mit welcher Art von politischem System man zusammenarbeiten möchte. Aber ich weiß, es gibt Verantwortliche im Auswärtigen Amt, die sagen, man sollte den Ball flach halten. Sie sind froh, wenn dort alles stabil bleibt, weil niemand weiß, was passiert, wenn es nicht stabil ist.

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