Ist das Musik oder kann das weg?Von der Nasen-OP-Königin zur Chartsstürmerin

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Shirin David, besser bekannt durch Schönheits-Operationen, macht auch in Musik.

  • War früher alles besser? In den Musikcharts ganz bestimmt! Sicher? Na gut, vielleicht auch nicht.
  • Jede Woche hört sich unser Kolumnist Marcus Bäcker in seiner Glosse „Neu in den Charts”durch die Hitliste – und findet dabei Entsetzliches wie Schönes.
  • Besonders zittern müssen vor seiner strengen Feder die vielen Talentbefreiten unter den Stars und Sternchen. In dieser Woche unter anderem: Shirin David.

Die 80er Jahre waren unter ästhetischen Gesichtspunkten für mich ein sehr fragwürdiges Jahrzehnt. Stellte man mich vor die Wahl, entweder eine 80er-Jahre-Revival-Party zu besuchen oder mir ohne Narkose die zwei verbliebenen Weisheitszähne ziehen zu lassen, käme ich ins Grübeln.

Nun hätte man in den 80ern fraglos auch die Platten des aufregenden Labels SST hören, den Aufstieg von R.E.M. verfolgen, die schillernde australische Musikszene entdecken, in den Paisley Underground abtauchen oder zu den ersten Verehrern des West Coast Hip-Hop zählen können. Ich aber titschte ohne popkulturellen Mentor, gefangen in der uncoolsten Schulklasse der Welt, hilflos zwischen Iron Maiden, dem Gesamtwerk von Genesis, dem Gesamtwerk von Pink Floyd und dem Mist, der Mitschülerinnen entrückt lächeln ließ, hin und her und kaufte meine Klamotten in der Popper-Abteilung einer in der Provinz aufstrebenden Bekleidungskette. Fotos aus dieser Zeit gehören vernichtet. Dass ich damals noch keine Mixtapes aufnahm, hat sich als Glücksfall erwiesen.

Marcus Bäcker

Marcus Bäcker

Als es nun hieß, dass Whitney Houston 1990 eine Coverversion von „Higher Love“ aufgenommen habe, die noch sehr nach den 80ern klinge, war ich alarmiert. Erschienen war der Song damals nur in Japan, ich habe ihn nie gehört und hätte mich auch nie damit beschäftigt, wäre die Nummer nicht dem norwegischen Produzenten und DJ Kygo anvertraut worden, dessen Remix diese Woche immerhin auf Platz 30 landet.

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Hört man sich das Werk, mit dem man problemlos Beach Clubs, Großraumdiskotheken und Junggesellinnenabschiede beschallen kann, einmal in Ruhe an, stellt man fest: Klingt nicht mehr nach den 80ern, sondern nach den Beats, die heutzutage in den Büros der Hitproduzenten dieser Welt herumliegen. Früher war alles weder besser noch schlechter, in jedem Jahrzehnt hat man die Wahl, ob man sich komplikationslos dem Massengeschmack anschließt oder nicht doch dem Verdacht nachgehen möchte, dass das nicht alles gewesen sein kann. Ist man mit dem zufrieden, wonach die Mehrheit giert, landet man im Jahr 2019 relativ schnell bei Shirin David, von der es bei YouTube allerlei besinnliche Videos anzuschauen gibt. Hier einige ausgewählte Titel: „Meine aktuelle Haarfarbe“. „Meine Nasen OP + Horrornarkose.“ Operieren lässt sich Shirin David dem Vernehmen nach recht gerne, offenbar von einem Arzt, der sich auf die Herstellung zweibeiniger Klischees spezialisiert hat. Ihre aktuelle Single „On Off“ ist der erfolgreichste Neueinsteiger der Woche (Platz 3), und jetzt, meine Damen und Herren, kommen wir tatsächlich zu einem Phänomen, von dem sogar in den schmierigsten Abgründen der 80er niemand etwas ahnen konnte: Shisha-Playlisten.

Früher musste man es in New York schaffen, heute reicht es, sich in möglichst vielen Shisha-Bars Gehör zu verschaffen, dann klappt es mit den Charts. Sollten Sie zu schmerzhaften Selbstversuchen neigen, empfehle ich hier die Spotify-Playlist „Shisha Club“. Sie werden auf Ihre Kosten kommen.

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