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Johnny Marr in KölnDer unproblematische Teil von The Smiths

4 min
Johnny Marr steht gitarrenspielend auf der Bühne der Kölner Live Music Hall.

Jeanshemd, Jeanshose: guter Mann. Johnny Marr in der Live Music Hall am 26. Oktober 2025.

Eine Pop-Legende, die nicht viel Aufhebens um sich macht: Johnny Marr spielt ein beglückendes Konzert in der Live Music Hall.

Ach, den Song finde er jetzt eh nicht so toll, kommentiert Johnny Marr, als die Band „Spirit Power and Soul“ nach einem Drittel abbrechen muss, weil der Sequencer des Keyboards streikt. Die Enttäuschung des Publikums hält sich ebenfalls in Grenzen. „Und ich dachte, wir sind hier in Deutschland, der Heimat der elektronischen Musik“, witzelt Marr, „ist irgendjemand anwesend, der für Can gearbeitet hat?“ Keine Rückmeldung. Na gut. „Dann“, sagt der schmale Mann in Jeanshemd und -hose, noch immer in Scherzlaune, „folgen jetzt die Worte, die ihr alle hören wollt: Wir spielen ein neues Stück.“

Das heißt „It's Time“ und reiht sich seinen mit hohen, plätschernden Gitarren-Arpeggios nahtlos in das Werk des Mancunians ein. Will sagen: Es könnte auch eine vergessene B-Seite von The Smiths sein. Die sind, machen wir uns nichts vor, der Hauptgrund, warum Marr immer noch die Live Music Hall ausverkaufen kann – an Halloween feiert er seinen 62. Geburtstag. Wer in den 1980er Jahren aufgewachsen ist und sich damals von der Welt unverstanden fühlte und mit einer Schüchternheit geschlagen war, die man – in den Worten Morrissey – schon „kriminell vulgär“ nennen konnte, für den waren The Smiths die wichtigste Band der Welt. Größer selbst als die Beatles, mit einem „Sound so frisch und kraftvoll“, um den einflussreichen Poptheoretiker Simon Reynolds zu zitieren, „dass er die Nation im Sturm eroberte.“

Und immer, wenn wir traurig waren, hörten wir die Smiths

Oder, wie Farin Urlaub von den Ärzten, mit nur ein ganz klein wenig Häme sang: „Und immer, wenn wir traurig war'n/Gingen wir zu dir nach Hause/Und da hörten wir die Smiths.“ Heute, im warmen Widerschein der Nostalgie, lösen Marrs halb perlende, halb energisch zupackende, stets überraschende Gitarrenriffs dagegen Glücksgefühle aus. Man weiß ja, dass die Welt nicht einstürzt, nur weil Mutti die Jeans zu heiß gewaschen hat.

Man weiß auch, was passieren kann, wenn man aus der Teen-Trotzphase nicht mehr herausfindet, der bereits erwähnte Morrissey macht das mustergültig vor: Der charismatische Sänger und militante Tierschützer unterstützt heute rechtsradikale, ultranationalistische Parteien. Noch ein Grund, warum es nie zu einer Smiths-Reunion kommen wird. So fällt es an Johnny Marr, verantwortlich für die vorwärtstreibende Musik zu Morrisseys rückwärtsgewandten Jeremiaden, den unproblematischen Teil der einstigen Lieblinge zu verwalteten.

Ich fühle mich so Lenny-Kravitz-mäßig heute.
Johnny Marr

Das gelingt dem irischstämmigen Working-Class-Hero schon deswegen, weil er nach Auflösung der Band anno 1987 wirklich nie stillstand, zusammen mit Bernard Sumner von Joy Division/New Order – der anderen großen Manchester-Legende – die kurzlebige Band Electronic gründete, sich für noch kürzere Zeiträume anderen Bands wie den Pretenders, Modest Mouse oder The Cribs anschloss, für Bryan Ferry, Blondie, Jane Birkin, die Talking Heads und die Pet Shop Boys oder Oasis in die Saiten griff, und auch diversen Hans-Zimmer-Soundtracks, allen voran „Inception“, seinen unüberhörbaren Stempel aufdrückte.

In Köln anverwandelt er sich zudem Iggy Pops „The Passenger“ – in der 80er-Jahre-Indie-Disco genauso unverzichtbar wie die jeweils neueste Smiths-Single – und, wenn auch nur im Scherz, „Fly Like an Eagle“ von der Steve Miller Band. „Ich fühle mich so Lenny-Kravitz-mäßig heute“, stellt Marr fest und übt sich in halbironischen Rockstar-Posen, für die er eigentlich zu nahbar ist. Und auch Marrs Solo-Werk muss sich nicht verstecken, die sehnsüchtig aufheulende Gitarre im Outro von „Hi Hello“, der Abba-artig eingängige Refrain im akustisch gespielten „Somewhere“, der dicht gewebte Klangteppich in „Getting Away“ – die gut anderthalb Stunden seines Kölner Sets sind mit so vielen bemerkenswerten Momenten versehen, dass die sieben eingestreuten Smiths-Klassiker eher wie die Kirschen auf der Torte wirken.

An denen man sich freilich überfressen mag: Angefangen mit „Panic“, über „How Soon Is Now“, dem Song, der das gesamte Indie-Rock-Genre geprägt hat, bis zum Mitsing-Favoriten „There Is a Light That Never Goes Out“, mit seiner unvergesslichen Liebestod-Fantasie vom rammenden Doppeldeckerbus.

Zuvor hatte er noch „Stop Me If You Think You've Heard This One Before“ auf die Setlist geschmuggelt, das bekommt Köln exklusiv, vielleicht als Wiedergutmachung für das abgebrochene „Spirit Power and Soul“. Doch, haben wir schon gehört, aber ist das ein Grund damit aufzuhören? Die Freude überwiegt die Wehmut an diesem besten aller Montagabende. Möge Johnny Marrs Licht niemals verlöschen!