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Konzert im TanzbrunnenSein Körper ist zerstört, aber Iggy Pop gibt noch alles

5 min
Iggy Pop singt mit bloßem Oberkörper auf der Bühne des Tanzbrunnens.

Iggy Pop am 1. Juli 2025 im Kölner Tanzbrunnen

Mit den Stooges hat Iggy Pop den Punk erfunden. Mittlerweile ist der wilde Mann des Rock'n'Roll 78 Jahre alt. In Köln brachte er die Fans in Rage. 

Rempeln sich junge Menschen im Moshpit an, geschieht das stets mit großer Achtsamkeit. Fällt ein Handy zu Boden oder geht eine Kontaktlinse verloren, bildet sich sofort ein schützender Kreis um die Suchenden. Wer seine körperliche Wucht gegen schmaler Gebaute einsetzt, wird von der tanzenden Menge ausgeschlossen. Ältere Mosher dagegen sind oft einfach Schweine, brutale Schweine mit ausgefahrenen Ellenbogen.

Gerade darin liegt freilich der Spaß, wenn man sich als Ü40-Fan ins rücksichtslose Getümmel begibt – „Gimme danger, little stranger“, wie es im Stooges-Song heißt –, wenn man überhaupt mal wieder seinen Körper spürt, sich in fremdem Schweiß und Bier badend blaue Flecken holt und am Ende seine Lesebrille in mehreren Teilen wiederfindet. Die kann man nachkaufen, die Jugend und das Glück ihrer Todesferne nicht. No Future, das ist eine Wette auf die Schönheit des Augenblicks.

„Komm mit auf meinen Todestrip“, fordert James Osterberg auf der Bühne des Tanzbrunnens. Er ist ein Wrack, humpelt mit verkrümmtem Rückgrat — ein Bein ist fast vier Zentimeter länger als das andere — von links nach rechts, wirft sich zu Boden, steckt das Mikro in die enge Hose, übergießt sich mit Wasser, präsentiert seinen von 60 Jahren Extrem-Performance geschundenen Körper, den berühmtesten Torso der Musikgeschichte (die schwarze Weste hatte er sich schon in den ersten Sekunden des Konzerts ausgezogen). Aber er ist immer noch Iggy Pop, der allererste Stagediver. Einer, der sich für sein Publikum in Glasscherben gewälzt, mit Messern geritzt und Zähne ausgeschlagen hat, der die Rockmusik entkleidete, bis von ihr nur noch eine Doppelhelix aus Sex- und Todestrieb übrig blieb.

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Iggy Pop hat seinen Körper 60 Jahre lang mit Extrem-Perfomances geschunden

Und er ist der Mann, der den Punkrock erfunden hat. Als solcher beherrscht er die Menge wie eh und je, peitscht sie bis zur Raserei. Was seltsam klingt, wenn der Sänger 78 Jahre alt ist und die Konzertbesucher größtenteils im entsprechend fortgeschrittenen Alter. Aber so ist es: Gestandene Männer, die verrückt genug sind, sich crowdsurfend auf Händen dem lärmenden Gott entgegentragen zu lassen, werden achtlos über die Absperrung geworfen. Glücklicherweise kommt das Tanzbrunnen-Gelände zurückhaltenderen Naturen entgegen, es erlaubt die freundliche Beobachtung aus sicherer Entfernung von dem Wahnsinn, der auf und vor der Bühne abgeht.

Es gibt noch einen anderen Iggy Pop, den kenntnisreichen Moderator auf BBC-Radio 6, den Hobbygelehrten, der Aufsätze über römische Geschichte veröffentlicht, den New-Wave-Avantgardisten von „Zombie Birdhouse“ (1982) oder den frankophilen Jazz-Crooner von „Préliminaires“ (2009). Aber den bekommt man an diesem Dienstagabend in Köln nicht zu hören, der Künstler konzentriert sich auf seinen Markenkern, ruppigen, mitreißend nihilistischen Proto-Punk. Er beginnt mit den bösartigsten Stücken aus seiner Stooges-Zeit: der versumpften Lüsternheit von „T.V. Eye“, der nietzscheanischen Beschwörung von „Raw Power“, urtümlicher, unkanalisierter Gewalt.

01.07.2025
Köln:
Konzert Iggy Pop im Tanzbrunnen.

Iggy Pop hat die Menge fest im Griff

Doch Pops siebenköpfige Band – darunter so prominente Namen wie Nick Zinner (Yeah Yeah Yeahs) an der Gitarre und Joan Wasser (Joan as Policewoman) am Keyboard – reproduziert nicht den rohen, randständigen Sound der Stooges, sie verfeinert ihn und führt ihn zurück zu seinen Wurzeln im frühen R’n’B und Rock’n’Roll. Es gibt sogar eine kleine Bläser-Gruppe – und so unterstreicht eine Mariachi-artige Solotrompete die kalte Verachtung von „Sick of You“. Das funktioniert erstaunlich gut, bereitet dem Star ein musikalisches Bett, auf dem er sich umso hemmungsloser austoben kann.

„The Passenger“ und „Lust for Life“, seine größten Solohits, verfeuert er gleich im ersten Drittel des Sets. Wenn Iggy bei ersterem die Band bis aufs sanft schaffelnde Schlagzeug ausbremst und in kehligen Sprechgesang wechselt – „Ich bin der Passagier/Ich bleibe unter Glas“ –, wie seine Stimme dann voluminöser und die Band lauter wird, wenn der Passagier die grellen Sterne, den hohlen, zerrissenen Himmel über der Stadt beschreibt – man denkt an Van Gogh und die Maler der Brücke –, wenn schließlich die Menge ins wortlos-ekstatische „la la la“ einstimmt, dann ist das ein dionysisches Ritual und „Lust for Life“ der daraufhin folgende galoppierende Wahnsinn.

Beide Songs hat Pop in seiner Berliner Zeit geschrieben, in „The Passenger“ glotzt der führerscheinlose Sänger vom Beifahrersitz durchs Autofenster, am Steuer sitzt sein Freund David Bowie, fährt rastlos durch die Weiten Amerikas, über die Grenzen Europas. Mit den Worten „Wenn ich wirklich traurig und einsam wäre, würdest Du mich aufsammeln?“, hatte Iggy Pop den Song im Tanzbrunnen angekündigt, jetzt erzählt er noch einmal kurz von den legendären Berliner Jahren. Arm sei er gewesen und hätte niemanden gefunden, der ihn lieben wollte, weshalb er dieses Gedicht namens „Some Weird Sin“ geschrieben hätte: Darin heißt es, dass ihm nicht nur die Fahrerlaubnis, sondern die Lizenz zum Leben fehle. Nur eine seltsame Sünde könne ihm aus dem Trott des Alltags retten.

Aber Iggys verquere Vergnügungen – „Funtime“ – und verzweifelte Selbstkasteiungslieder – „I Wanna Be Your Dog“ – wirken an diesem Abend seltsam aufbauend und reinigend. Es ist das späte Glück der frühen Hölle. Er sei ein „Real Wild Child“ singt Iggy Pop, vor knapp 40 Jahren war das mal beinahe ein Hit. Am Ende dieser anderthalbstündigen Show muss er das niemandem mehr beweisen. Er hat das Herz voller Napalm, ist der verlorene Sohn der Atombombe. Die Selbstbeschreibung aus „Search and Destroy“ trifft immer noch zu. Mit den letzten Worten, „Fun, fun, ohh!“ hinkt Iggy Pop zum Bühnenhintergrund, ein Vorhang öffnet sich, er fällt zwei Helfern in die Arme. Es war ein Fest der Vergänglichkeit, ein großes „Fuck you“ an den Tod. Publikum und Performer haben sich gegenseitig alles gegeben, sie waren wilde Hunde füreinander.