Sido feiert das 25. Jahr seiner Karriere mit gleich zwei ausverkauften Konzerten im Kölner Tanzbrunnen. Unsere Kritik.
Sido im TanzbrunnenDer Rapper, der stets nach oben fällt

Sido rappt am 30. Juli im Kölner Tanzbrunnen.
Copyright: Uwe Weiser
„Ihr seid immer noch da“, wundert sich Sido am Ende seiner Show im Kölner Tanzbrunnen, „bei all den Dummheiten, die ich gemacht habe.“ 12.000 sind am Mittwochabend gekommen, am Donnerstag werden es noch mal so viele sein. Eventuell sind sie gerade wegen all der Dummheiten hier, die der 44-jährige Rapper in seiner erstaunlich langen Karriere angestellt hat, mit der aktuellen Tour feiert er 25 Jahre. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Darüber hat Sido in den vergangenen Stunden ausführlich palavert und sprechgesungen, er, der graubärtige Doyen des deutschen Gangsta-Rap, der zusammen mit Kool Savas und Bushido den hiesigen Hip-Hop von seinem Abiturienten-Malus befreit hat. Dabei ist Sido, wie er selbst betont, ja gar kein Berufsverbrecher und er hatte auch nie Ambitionen, ein solcher zu werden. Er ist nur ein Junge der Straße, ein „asozialer Proll, ein Prolet“. „Wir Straßenjungs kämpfen nur ums Überleben“, stellt er noch in der ersten Viertelstunde des Konzerts fest, „Wir ha'ms nich' anders gelernt, einfach nehmen, wenn sie es nicht geben.“
Sido gibt sich erst als maskierter Straßenjunge, dann als Villenbesitzer
Die Menschen sehen Paul Würdig gerne straucheln, staunen, wie er sich mit einem gut platzierten rechten Haken gegen einen Klatschkolumnisten ins Aus boxt, oder mit gänzlich unwürdigem Verschwörungs-Dünnpfiff um Kopf und Kragen quatscht. Weil er sich anschließend so spektakulär rappend berappelt. Der Mann aus dem Märkischen Viertel besitzt das seltene Talent, stets nach oben zu fallen – die wahnwitzige Unverschämtheit, man kann auch Chuzpe dazu sagen, die nur denjenigen zufällt, die nichts zu verlieren haben.
Alles zum Thema Tanzbrunnen
- Kölner Männerchor Grüngürtelrosen wollen Konzerterlös an Cologne Pride spenden
- Konzert im Tanzbrunnen Sein Körper ist zerstört, aber Iggy Pop gibt noch alles
- Hitzewelle in Köln Veranstalter geben kostenloses Trinkwasser bei Iggy-Pop-Konzert aus
- Witze über Trend Hobby-Horsing Nightwash feiert Open-Air-Show in Kölner Tanzbrunnen
- „Noch ein letztes Mal“ Linus und die Talentprobe kehren zurück an den Ort, wo alles begann
- Entscheidung gefallen „Jeck im Sunnesching“ verabschiedet sich vom Jugendpark – und startet 2026 neu
- Mit Ex-Deep Purple-Sänger Black Country Communion gastiert im Kölner Tanzbrunnen
Dazu trägt Sido noch einmal die verchromte Totenkopfmaske, mit der er zu Anfang der Nuller Jahre reüssierte, sich selbst und sein Label Aggro Berlin ins öffentliche Bewusstsein katapultierte. Der Vorhang, der nach einem kurzen Einführungsfilm in die Straßenkultur des sozialen Wohnungsbaus gefallen war, zeigt das Hochhaus am Senftenberger Ring, in dem Würdig aufgewachsen ist, die Hausnummer 66 prangt groß am rot gestrichenen Betonbalkon.

Die Menge feiert Sido im Tanzbrunnen. 12.000 sind gekommen, am nächsten Abend werden es noch mal so viel.
Copyright: Uwe Weiser
Dahinter hat sich der Rapper, der längst eine Villa im Speckgürtel bewohnt, sein feuchtkaltes Kellerstudio nachbauen lassen, wiederholt die beinahe rührende Aufzählung, mit der er sein angestammtes Territorium vor der Welt verteidigte: „Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block.“ In den Strophen dazwischen erzählt er eigentlich nur von Isolation, Armut, Drogensucht und Vernachlässigung. Umso entscheidender fällt dann aber die Absage an bürgerliche Zielvorstellungen aus: „Deine Villa, dein Boot, deine Frauen, deine Karriere, dein Geld, dein Leben, kein Bock.“
So gehört sich das für einen echten Helden der Arbeiterklasse. Nach einem kurzen Umbau, der Vorhang zeigt jetzt das Kreissägen-Logo von Aggro Berlin, zeigt sich Sido vor einer Lichterwand, auf der, von links nach rechts, sein Keyboarder/Gitarrist, sein DJ und Produzent DJ Desue und sein Schlagzeuger thronen. Bald stoßen noch zwei Background-Sänger dazu. Der Rapper trägt jetzt ein luftiges Ensemble aus grün-gemustertem Hemd und kurzer Hose, bereit für einen Schirmchen-Drink am heimischen Pool.
Mit Hip-Hop hat das nicht viel zu tun, aber alles mit harmloser Radiomusik
Jetzt trägt er, der gerade mit „Fuffies im Club“ um sich geworfen hat, andere Geschichten vor. Die Maske ist gefallen, die Musik hat nicht mehr viel mit Hip-Hop, alles mit harmloser Radiomusik zu tun. Die anfängliche Empörung über Drogenverherrlichung und Frauenfeindlichkeit hatte Sido mit knallhart kalkuliertem Schmusekurs in Mainstream-Prominenz umgemünzt, hatte unermüdlich Auftritte bei Stefan Raab, in Filmkomödien, in Casting- und Talkshows absolviert, hatte mit so gut wie jedem gefühligen Pop-Poeten kollaboriert, bis sein Bekanntheitsgrad an denjenigen von Heino schrammte. Wenn er sich dann – Jahre später – in „Masafaka“ über die Ahnungslosigkeit beschwert, mit der Redakteure und Moderatoren von RTL, ZDF, oder ProSieben der Hip-Hop-Kultur begegnen, wirkt das eher wie der verzweifelte Versuch, den Respekt der Straße wiederzuerlangen.
Das Gute-Laune-Marketing hat freilich persönlichen Mehrwert. In diesen Songs kann sich der harte Hund Sido schutzlos als vaterlos aufgewachsener Schulversager zeigen. Als einer aus dem Tal der Chancenlosigkeit, der für seine und auch für deine Zukunft kämpft. „Hey Mama, mach die Augen auf“, mahnt er, „treib mir meine Flausen aus/Ich will so gern erwachsen werden/Und nicht schon mit achtzehn sterben.“ Nach dem pathetischen „Leben vor dem Tod“ richtet Sido den Blick nach oben, wendet sich direkt an Gott: „Der Himmel kann noch ein bisschen warten, Großer!“
Zwischen den Liedern hält er kurze, atemlose Monologe, jede Zeile, jeder Halbwitz wird von DJ Desue mit Kanonendonner unterlegt, es ist die Hip-Hop-Version einer Büttenrede. „Ick mach einfach Icke-Sachen“, konstatiert Sido und die Menge erfreut sich an seiner berlinerischen Flapsigkeit. Gluckst, wenn er sie scherzhaft als „perverse Schweine“ beschimpft, weil sie sich lautstark den tabu verletzenden Mixtape-Song wünscht, mit dem er einst seine Karriere begründet hatte.
Das Stück, das die Freuden einer Sexpraktik in drastischen Worten beschreibt und dessen Titel hier undruckbar ist, kommt natürlich ganz zum Schluss und wird grölend gefeiert als die Kinderei, die es ist. Das gehört ebenso zur Seelenmassage wie die positiven Psychobotschaften, die Sido aus seinem Koks- und Alkoholabsturz mit anschließendem Entzug und Therapie während der Coronazeit gezogen hat. Er habe sich endlich selbst verziehen, sagt Sido, „ich liebe mich mittlerweile selber!“
Oder, wie er im kunstgeschichtlich angehauchten Song „Monet“ rappt: „Ich bin perfekt, wie ein Gemälde von Monet/Ich bin komplett, auch mit 'nem leeren Portemonnaie.“ So isses. Mama ist stolz. Und das Publikum? Kann die nächste Dummheit kaum erwarten, und den Reim, den sich Paul Würdig darauf machen wird.