„Hart aber fair“Mit diesem Konzept befürwortet Karl Lauterbach Lockerungen

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Zeigt Verständnis für ökonomische Sorgen: Karl Lauterbach

Köln – Die Waage schwankt, von links nach rechts. Auf der einen Seite die Forderung nach dem größtmöglichen Infektionsschutz, auf der anderen Seite die Warnung vor langfristigen Folgen des derzeitigen Lockdowns – vor allem psychisch und ökonomisch. „Viel Druck im Kessel“, so titelte „Hart aber fair“ am Montagabend. Moderator Frank Plasberg wollte wissen: Wie lange ist ein Lockdown noch zu halten?

„Hart aber fair“: Die Diskussionsrunde

Die Fronten scheinen bereits geklärt, als Plasberg seine Gästinnen und Gäste vorstellt. SPD-Politiker und Epidemiologe Karl Lauterbach sowie die zugeschaltete Chef- und Lungenfachärztin Dr. Jördis Frommhold nehmen die medizinische, vorsichtige Haltung ein, mit dem Augenmerk auf ein niedriges Infektionsgeschehen. Die klassische ökonomische Perspektive – lockern, wo es irgendwie geht – vertreten Sternekoch und Restaurant-Besitzer Nelson Müller sowie Michael Busch, Geschäftsführer der Buchhandelskette Thalia. Bliebe noch die Seite, die die psychischen Folgen des Lockdowns anmahnt. Hierfür wurde Lamya Kaddor, Publizistin und Lehrerin an einem Gymnasium in Duisburg, eingeladen. 

Gleich das erste Zitat hat es in sich. Es kommt aber nicht aus der Runde, sondern aus einer Videobotschaft von Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen. „Die Leute haben die Schnauze voll“, sagt er. „Zu 100 Prozent spricht er mir aus der Seele“, sagt Michael Busch. Er befürchtet das Aussterben der Innenstädte. „Wir sind jetzt in dem zweiten Lockdown in eine Situation gekommen, in der ich befürchte, dass Hunderttausende Arbeitsplätze verloren gehen.“ Immerhin: Er erlebe nun zunehmend eine Bereitschaft der Vermietenden, auf die Geschäfte, auf den Handel zuzugehen, um „die Last“ zu verteilen.

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Die Runde bei „Hart aber fair“

Doch nicht nur den Handel, auch die Psyche der Menschen fordert der Lockdown heraus. Lamya Kaddor beobachtet, dass ihre Schülerinnen und Schüler zunehmend deprimiert seien. Und ihr Sohn fühle sich „so, als sei er seit 15 Monaten in Quarantäne. Das tut sehr weh.“

Und auch in der Gastronomie wird die Lage zunehmend angespannter. Nelson Müller schmerzt es, bei schönem Wetter draußen leere Tische und Stühle zu sehen. To-Go-Essen sei auch nur eine Mischung aus Minimaleinnahmen und Beschäftigungstherapie. „Natürlich bin ich als TV-Koch auch privilegiert“, weiß Müller. Doch es geht ihm um das große Ganze der Gastronomie. Hygienekonzepte seien groß und breit ausgearbeitet worden, doch nun dürften einige Branchen wie Friseure wieder öffnen, Restaurants aber nicht. Ein Öffnen um jeden Preis wolle er nicht – dafür aber differenziertere Lösungen.

Corona-Lockdown: Der „Schnauze-voll-Faktor“

Karl Lauterbach und Jördis Frommhold kommen in den ersten Minuten der Sendung gar nicht zu Wort. Plasberg lässt die anderen drei der Runde zunächst etwas Alltagsballast loswerden. Der „Schnauze-voll-Faktor“, wie Plasberg es nennt. Erst nach einer knappen Viertelstunde nimmt er Frommhold mit in die Diskussion, befragt sie zu den zuvor geäußerten Öffnungswünschen. Die Konfrontation, die er sich wohl wünscht, bekommt er aber nicht. Frommhold äußert Verständnis für die zuvor geäußerten Sorgen. Das Duell Wirtschaft gegen Wissenschaft hat sich im März 2021 abgekühlt.

Doch natürlich muss Frommhold als Medizinerin auch warnen. Sie leitet ein Rehaangebot für genesene Corona-Patienten – weiß also ganz genau, wie schwer sich viele Menschen nach einer Infektion mit Covid-19 tun. Und über Monate mit den Folgen kämpfen. „Wenn ich sonst mitten im Leben stehe und auf einmal vergesse ich Dinge, dann sollte man schon ärztliche Hilfe aufsuchen.“ 

Bei den vergangenen Beschlüssen von Bund und Ländern war die magische Lockerungsgrenze noch bei einer Inzidenz von 35 festgezurrt worden – man war noch davon ausgegangen, dass die Kurve der Neuinfektionen weiter sinken würde. Das tat sie nicht. Nun verschwimmt diese Grenze, Bundesländer wollen auch andere Faktoren zu Rate ziehen, die Impfquote oder die Sterberate. Michael Busch findet das gut, er fordert, man müsse „lernen, mit Corona zu leben.“

Karl Lauterbach: So könnten Öffnungen funktionieren

Eine halbe Stunde ist die Sendung alt, als sich auch Karl Lauterbach äußern darf. Für die, die die mahnende und wichtige Stimme nach den vergangenen Monaten nicht mehr hören können, sicherlich erfreulich. Doch der aus der Sicht der einen immer Meckernde, aus der Sicht der anderen vernünftig kalkulierende Politiker wählt keine Worte der Mahnung. Sondern Worte des Kompromisses. Der Schlüssel seien regelmäßige Antigen-Tests in Schulen, Betrieben und Testzentren. An den Tagen der Tests dürften negativ Getestete dann beispielsweise in Geschäfte gehen. Nelson Müller kann sich das gut vorstellen, auch Michael Busch findet es wichtig, nun eine Teststruktur aufzubauen. Lauterbach, ein Gastronom und der Geschäftsführer einer großen Kette sind sich bei einem Corona-Konzept weitgehend einig – das wirkt in diesen Zeiten fast wie ein Wunder.

„Schule dank Tests“ – in Österreich funktioniert das bereits, wie ein Einspieler zeigt. So wünscht sich Karl Lauterbach das auch in Deutschland. Allerdings gibt es einen Haken: Bei Menschen mit asymptomatischen Verläufen garantiert der Test nur eine Trefferquote von 60 Prozent. Zu wenig. Aber: „In dem Moment, wo ich das in Gruppen mache, also in Klassen oder Betrieben, verpasse ich zwar einen, schnappe aber den anderen.“ Wenn sich jeder einzeln testet, könne dieses Konzept nicht aufgehen. Bei Tests in Gruppen aber könnte es funktionieren.

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Dafür bräuchte es jedoch auch eine große Menge guter Tests. Die sei aktuell noch begrenzt, so Lauterbach. „Die dürfen jetzt nicht alle benutzt werden, um am Wochenende Party zu machen.“ Und da ist es dann doch wieder, das Gegenüber von Wissenschaft und Wirtschaft. „Wir dürfen doch nicht immer in Extremen denken“, mahnt Lamya Kaddor und kritisiert Lauterbachs Party-Aussage. „Ich wollte ja nur illustrieren“, verteidigt er sich. Doch die Extreme haben sich nun in die Diskussion geschlichen. Michael Busch redet vom „Wegsperren von Tests“. Frank Plasberg aber gelingt es, die Diskussion mit Fragen zu einer möglichen Teststrategie zurück in die Sachlichkeit zu holen. Wann diese Testungen starten und es dann Öffnungen geben könnte, will er wissen. „Mitte, Ende März. Das ist meine persönliche Schätzung“, sagt Lauterbach.

Impfungen laufen zu langsam

Das klingt erstmal gut, doch der Blick nach Großbritannien trübt die Stimmung dann wieder. Dort ist und war der Lockdown härter. Doch mit den Impfungen geht es dort deutlich schneller voran als in Deutschland. Das beschäftigt auch die Zuschauenden der Sendung. Viele Gedanken drehen sich um die Impfung, das Tempo müsse angezogen werden. Und um die Ausgestaltung des Lockdowns. Warum dürfen die einen etwas, was die anderen nicht dürfen? Details, die sich in Konzepten, Maßnahmen und Vorgaben nicht finden. Die aber auch die Diskussion um den richtigen Umgang mit der Pandemie nicht gerade in Siebenmeilenstiefeln weiterbringt.

Mit diesen Siebenmeilenstiefeln könnte es vorangehen, wenn die Impfungen schneller vorangehen. Doch aktuell kriechen die Nadeln nur von einem Oberarm zum nächsten. Unter anderem, weil Zulassungen nicht kommen; AstraZeneca ist für über 65-Jährige nicht zugelassen, obwohl dieser Impfstoff laut neueren Studien auch in dieser Gruppe gut wirkt. Die Wörter „dumm gelaufen“ fallen in der Folge nicht nur einmal. Plasberg fragt harsch nach bei Lauterbach, warum die Ständige Impfkommission so viel Zeit brauche. „Was macht die Politik? Was machen Sie als Politiker? Gibt es irgendeinen, der der Impfkommission Beine machen kann?“ Lauterbach sagt, es bringe nichts, jetzt nach hinten zu gucken. Mit der Antwort lässt Plasberg es dann gut sein.

Ein Problem sind nicht nur fehlende Zulassungen, sondern auch unzählige Impfdosen, die ungenutzt herumstehen. „Ich würde den gerne nehmen“, sagt Asthmatikerin Lamya Kaddor. Damit ist sie sicherlich nicht die einzige.

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