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KinoFünf Noten für eine unheimliche Begegnung

Lesezeit 5 Minuten
  1. Matt Schraders Dokumentarfilm "Score - Eine Geschichte der Filmmusik" bietet viel Material, wenig Kritik und zu viel US-Perspektive

Musik, das ist Gefühl, in Klänge übersetzt. In der Philharmonie vermittelt sich das ebenso wie im Rockkonzert, beim Sangesabend mit kölschen Liedern oder auch im Kino - als Filmmusik. Wer zwischen den Jahren "Doktor Schiwago" sah, konnte erleben, wie Maurice Jarres Musik dem Film Klang und Charakter gibt, dabei einen hohen Wiedererkennungswert und mit "Lara's Theme" einen der Filmevergreens im Repertoire hat.

Filmmusik als Genre erschöpft jegliches Spektrum - vom Popsong zur Arie, vom Großorchester zum Einzelinstrument - und erfordert entsprechend Sinn für das Nötige und darüber hinaus für Variationsreichtum und Innovation im Blick auf Komposition und Arrangement; ein unverkennbarer eigener Stil gehört selbstredend zum guten Ton im Anforderungsprofil.

Dennoch ist der Score, die eigens für einen Film komponierte Musik, ein immer noch gering geschätztes Fach. Noch in der letzten gedruckten Ausgabe des Brockhaus Taschenlexikons von 2010 wird mit Maurice Jarre nur ein einziger Komponist für seine Arbeit als Filmkomponist gewürdigt. Zu sehr wird Film- immer noch als Gebrauchsmusik begriffen, und ganz falsch ist die Einschätzung ja auch nicht. Sie unterschlägt aber über hundert Jahre eines Genres, das außerordentliche Leistungen hervorgebracht hat - die auch ohne den Film bestehen können, für den sie komponiert wurden.

Insofern ist es löblich, dass sich nun mit Matt Schrader ein dreifach Emmy-prämierter Produzent dokumentarisch der Filmmusik widmet und dafür 37 Komponisten zum Gespräch vor die Kamera holt oder sie bei der Arbeit beobachtet. Ein Piano dem Wetter aussetzen und den Schall mittels eines Kabels transportieren - was nicht nur schneller geht, sondern auch verkehrte Echos hervorruft. Innovativ arbeitete Marco Beltrami für den Western "The Homesman", was mangels Zuschauern weitgehend ungehört verklang. "Rocky" dagegen haben viele Menschen gesehen, und sie wissen bei den Tönen der Fanfare sofort, was Sache ist. James Cameron konstatiert, dass Musik die Seele eines Films ist; Filmhistoriker Leonhard Maltin, dass Musik die Absichten des Bildes verstärken, aber auch ins Gegenteil verkehren kann.

Und dann ist die Rede von der Emotionlotion; Musik als Balsam der Gefühle. Man muss eben zu den ganz einfachen Erkenntnissen zurückkehren, um ein Thema so zu umreißen, dass sich überhaupt eine Vorstellung eröffnet. Ganz so schlimm bleibt es dann nicht. Und schon ein erster historischer Blick zurück lässt den Laien aufhorchen: Stummfilme waren nie stumm! Es gab Orchesterpartituren, die live eingespielt wurden, wie etwa die Musik von Gottfried Huppertz zu "Metropolis", zumindest aber gab es ein Piano, das mitklimperte - und sei es nur, um das Geräusch des Projektors zu übertönen.

Nun sind 90 Minuten ein knapp bemessenes Zeitfenster für 122 Jahre Film, und entsprechend atemlos geht es durch die Zeiten und Stile. Komponisten von heute urteilen über die Großtaten ihrer Vorfahren, und nicht immer ist es so toll, wenn Mangel an Wissen und Geschmack die Zügel schießen lassen darf. Ein Beispiel dafür liefert David Newman, wenn er "King Kong" von 1933 als kitschigen, dümmlichen Film bewertet, der nur durch Max Steiners Musik Gehalt bekomme.

Jeder blamiert sich auf seine Weise, aber Schrader wäre gut beraten gewesen, solchen Widersinn ebenso gewissenhaft zu editieren wie Hans Zimmers Koketterie damit, dass er keine Ahnung habe, wo die Musik beim Komponieren herkommt. Komposition ist auch Handwerk, und kaum jemand weiß das so genau zu nutzen wie Zimmer, der zudem eine kleine Armee gestandener Kräfte auf seiner Seite weiß, die dem Zimmer-Stil auch dann Verbreitung bescherte, sollte der Meister selbst einmal nicht abkömmlich sein. Da kritisches Fragen nicht Matt Schraders Sache ist, darf Superstar Zimmer sich als immer bescheidener Herrscher aller Klassen in Szene setzen.

Dann erinnert sich Schrader doch noch des Umstands, dass ein Dokumentarfilm auch belehren und erhellen können sollte, und fortan macht er seine Sache gar nicht schlecht - wenn sich etwa die feinfühlige Rachel Portman am Klavier über die Schulter blicken lässt, neben sich einen Monitor, auf dem eine Filmszene aus "Zeit für Legenden" zu sehen ist.

Es gilt, ein Gespräch musikalisch zu untermalen und dabei die dramaturgischen Nuancen auszuloten. Sanft schlägt Portman einige Akkorde an, die kaum wahrnehmbar in eine dunklere Note übergehen. Rein intuitiv hat die Komponistin den Stimmungswechsel in der Szene erspürt und in Klänge übersetzt.

Der Prozess des Komponierens kann auch ganz anders ablaufen; Filmkomponisten sind nicht nur der verlängerte Arm der Vorstellungswelten des Regisseurs. Sergio Leone betrachtete Ennio Morricone als gleichwertigen Künstler und ließ etwa für "Spiel mir das Lied vom Tod" erst die Musik erstellen, nach der er dann die Szenen komponierte.

Die 70er Jahre sind das Jahrzehnt von John Williams, behauptet David Newman, und zur Abwechslung liegt er damit nicht ganz daneben. Das Cello-Stakkato aus "Der weiße Hai" ist so genial einfach wie wirkungsvoll - wer den Film je sah, wird die Synthese von Bild und Musik nicht mehr vergessen. Auch die fünf Noten, die Williams für "Unheimliche Begegnung der dritten Art" als intergalaktischen Schlüssel einer friedlichen Begrüßung erschuf, sind so unverwechselbar wie die orchestralen Fanfaren zu "Krieg der Sterne", "Indiana Jones" und "Jurassic Park".

John Williams gibt zu, welche Mühe es jeweils kostet, mit wenigen Noten eine Grammatik zu erstellen, auf die sich der ganze Orchester-Score eines Films stützen wird. Das unverkennbar Eigene immer wieder neu zu schaffen, dazu sagte einst "Psycho"-Komponist Bernard Herrmann: "Es gibt nur eine Regel, und zwar: Es gibt keine Regeln." Matt Schrader hat sich nicht daran gehalten. Sein Konzept folgt den allzu ausgetretenen Pfaden von History Channel und National Geographic, lässt zu oft ordnende Hand und gedankliche Tiefe vermissen, punktet dafür aber umso eifriger als Fleißarbeit. Unverkennbar aber ist diese Dokumentation zu Amerika-lastig, und sie beißt thematisch viel mehr ab, als sie kauen kann. Eine Serie wäre ganz sicher die bessere Wahl gewesen. Aber wer finanziert das schon?

Der Film

"Score - Eine Geschichte der Filmmusik" ist ein anderthalbstündiger, 2017 in den USA produzierter Dokumentarfilm von Matt Schrader.

Er kommt an diesem Donnerstag in die deutschen Kinos.