Deutschlandpremiere in Köln„Moulin Rouge!“ ist ein Triumph

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Szene aus „Moulin Rouge!“  

Köln – Als Baz Luhrmanns Film „Moulin Rouge!“ im Sommer 2001 in die Kinos kam und die Belle époque mit MTV-Ästhetik und maximaler Pop-Affinität wiederaufleben ließ, verstand man die Botschaft sofort: Gerade hatte die westliche Welt ein zweites, nicht minder aufregendes und wirtschaftlich florierendes Jahrzehnt erlebt, ein neues Fin de Siècle. „Moulin Rouge!“ war das Musical vom Ende der Geschichte und die Welt war ein buntes Pastiche aus all den schönen Dingen, die der Kapitalismus angehäuft hatte.

Der Sommer 2001 endete, wie wir wissen, zehn Tage zu früh, am 11. September. Die Geschichte hatte die Welt wieder eingeholt. Luhrmanns überschäumende Vision war binnen Stunden zum Museumsstück geworden. Die Zeiten sind nicht besser geworden, doch nach der von Simon Reynolds propagierten 20-Jahres-Regel ist jetzt die Jahrtausendwende an der Reihe, nostalgisch wiederaufbereitet zu werden.

Die Bühnenadaption von „Moulin Rouge!“ lief ab 2019 am Broadway und gewann zehn Tonys, unter anderem als Bestes Musical.  Nun feierte die deutsche Version Premiere in Köln, in einer Produktion, so verschwenderisch und glamourös, als wären die fetten Jahre lange nicht vorbei. 21 Millionen Euro hat die  Unternehmensgruppe Mehr-BB Entertainment investiert und bei Gott, man sieht es.

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„Moulin Rouge!“ in Köln: Der Elefant im Kölner Musical Dome

Betritt man den Saal des Musical Dome, klappt erstmal der Unterkiefer herunter. Roter Plüsch umkuschelt  das Publikum, 39 Kronleuchter setzen es ins schmeichelhafteste Licht, links drehen sich die Flügel der titelgebenden Windmühle auf einer Balustrade. Und dann müssen wir noch über den Elefanten im Raum sprechen.

Nein, da ist wirklich ein Elefant, blau und fünf Meter hoch, der da seinen Rüssel aus der Loge hängen lässt. Man wähnt sich sofort im legendären Varieté im Montmartre, das im selben Jahr eröffnete wie der Eiffelturm. Beziehungsweise in einer aufgepimpten Version des Etablissements, direkt aus einem mit reichlich Photoshop bearbeiteten Traum Toulouse-Lautrecs.

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Gavin Turnbull als Impresarion Harold Zidler  

Mit ebensolchen idealisierten Vorstellungen kommt der junge Amerikaner Christian (Riccardo Greco) in die Stadt der Liebe, und lernt sogleich zwei weitere brotlose Bohemiens kennen, Toulouse-Lautrec (Alvin Le-Bass spielt keinen Maler, sondern einen abgeklärten Regisseur, der nur zickig wird, wenn es um die hehre Kunst geht) und Santiago (Vini Gomes als sein argentinisch-feuriger Gegenpart). Das Trio beschließt ein Singspiel auf die Beine zu stellen und es Harold Zidler (ein jovialer, verschlagener und herzensguter Gavin Turnbull), dem Impresario des Moulin Rouge, zu verkaufen. Der Weg zu Zidler aber führt über Satine (Sophie Berner), dem funkelnden Diamanten des Theaters. Christian soll sie mit einem seiner selbst geschriebenen Songs charmieren.

„Moulin Rouge!“ im Musical Dome: Große Leidenschaft in Köln

Er ahnt nicht, dass das Moulin Rouge kurz vor der Pleite steht und Zidlers letzte Hoffnungen auf Satines Verführungskünsten ruhen; der Herzog von Monroth stinkt vor Geld; Gian Marco Schiaretti spielt ihn als Finsterling aus dem Melodram, innerlich zwirbelt er seinen Schnurrbart. Es kommt, wie es das Klischee verlangt: Satine verwechselt den grundguten Christian mit dem bösen Herzog, der Naive aus Ohio wundert sich nur kurz über ihren äußerst warmen Empfang –  schon haben beide statt des Geldes die Liebe gewählt.

Große Leidenschaften beruhen immer auf einem gegenseitigen Irrtum. Hinzu kommt die Schwindsucht, die sich Satine wohl bei der Mimì aus „La Bohème“ eingefangen hat. Das muss so sein, werden die eher schemenhaft gezeichneten Charaktere hier doch vor allem von ihren Corsagen zusammengehalten und haben sich all ihre großen Gefühle nur aus den Aberdutzenden von Popsongs geborgt, die hier angespielt und miteinander vermengt werden. 

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Sophie Berner spielt die Satine  

Die Spanne reicht von Marilyn Monroe bis Lady Gaga, von Elton John bis Reinhard Mey, von Offenbach bis Outkast. Es ist der süße Klebstoff, der uns miteinander verbindet, möglicherweise buchstabieren diese Lieder das Alphabet der Liebe und man kann gemeinsam gewachsene Gefühle nicht besser ausdrücken, als durch die Single-Charts der vergangenen Jahrzehnte.

Formal gesehen handelt es sich bei „Moulin Rouge!“ um ein klassisches Jukebox-Musical, also eine Show, bei der eine Auswahl populärer Songs die Originalmusik ersetzt. Broadway-Kenner rümpfen an dieser Stelle gerne mal die Nase und fachsimpeln über Stephen Sondheim. Mit seinen 75 Songs aus 160 Jahren Musikgeschichte sprengt „Moulin Rouge!“ jedoch die Jukebox. Das Zuviel an Musik beginnt, seine eigene Geschichte zu erzählen, die von der Imitation als höchster Kunst. 

„Moulin Rouge!“ in Köln: Von Madonna bis Beyoncé, von Offenbach bis Outkast

Man spricht Pop: Etwa wenn sich Satine mit einem Medley aus „Diamonds Are Forever“, „Diamonds Are a Girl's Best Friend“, „Material Girl“ und Beyoncés „Single Ladies (Put a Ring on It)“ dem Publikum vorstellt, oder wenn Christian  Gnarls Barkleys „Crazy“ und Adeles „Rolling in the Deep“ zur Verzweiflungshymne miteinander verschweißt. Das ist so klug wie hemmungslos populistisch. Viele der englischen Liedtexte wurden eingedeutscht, auf dem Papier mag das befremden, auf der Bühne fügen sich die vielen disparaten Stücke umso organischer zu einer mitreißenden Handlung.

Der Regisseur Alex Timbers und die Choreografin Sonya Tayeh setzen sie mit großer Klarheit und größtmöglichen Schwung um und können sich in Köln auf ein Ensemble verlassen, das jede Sekunde mit Endorphinen auffüllt, stellvertretend sei hier Annakathrin Naderers Nini genannt, was für eine Bühnenpräsenz! Und selbstredend auch noch einmal die beiden stimmgewaltigen  Hauptdarsteller Sophie Berner und Riccardo Greco, sie harmonieren wunderbar miteinander, aber sie spielen auch das Ungleichgewicht dieser Beziehung: Christian erlebt seine erste große Liebe, für Satine ist es die letzte Gelegenheit, sich finanziell abzusichern. 

Das Buch des Hollywood-Profis John Logan („Gladiator“, „Skyfall“) verbessert etliche Stellen, die im Film ein wenig holpern. Christian, um ein Beispiel zu nennen,  droht am Ende selbst Hand an sich zu legen, wo ihn bei Luhrmann noch Schergen des Herzogs nach dem Leben trachteten. Sein Übermaß an Liebe wird auf diese Weise problematisiert,  die Figur gewinnt auf den letzten Metern noch an Tiefe und Christians Rettung – klar, durch einen Popsong – wirkt dramatisch nun sehr viel befriedigender.

„Moulin Rouge!“ vergeht wie im Champagnerrausch, ist von höchst möglicher Professionalität und könnte dabei nicht besser aussehen. Man möchte es vor Freude dem Ensemble gleichtun, die Beine hochwerfen und Rüschenschlüpfer zeigen. Ein Triumph der schönen Oberfläche, aber am Ende dieser Kunst des Zitats stehen echte Tränen. Wer nah an der Bühne sitzt, sieht sie Sophie Berners Wangen herunterlaufen.

Tickets für „Moulin Rouge!“ werden ausschließlich über die offizielle Webseite verkauft und sind ab 49,90 Euro erhältlich.

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