Kölner AusstellungHinter den Spiegeln der Pop Art: Museum Ludwig ordnet Sammlung neu

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Hinter einer Plexiglasscheibe sieht man Stühle, die zu schweben scheinen.

Die elf Meter breite Installation „Soundings“ von Robert Rauschenberg ist jetzt wieder im Kölner Museum Ludwig zu sehen.

Das Kölner Museum Ludwig ordnet seine Sammlung junger Kunst neu. Die Hauptattraktion ist allerdings eine monumentale Pop-Art-Installation aus dem Jahr 1968. 

Auf Wände zu starren, an denen Bilder hängen, war lange der große Lockruf von Museen. Im Zeitalter der Populärkultur wirkt das freilich nicht nur hoffnungslos antiquiert, man könnte es leicht als snobistisch missverstehen. Und so werben ehrwürdige Kunsttempel heute mit der eigenen Entweihung als flackernder Disco, Jahrmarktskino oder Vergnügungspark.

Auch das Kölner Museum Ludwig mag sich dieser unaufhaltsamen Entwicklung nicht entziehen – als stolzes Heim der Pop Art wäre es allerdings auch absurd, dergleichen zu versuchen. Im Namen der Populärkultur war das Ludwig schon alles, was die US-Kunstwelt der 1960er Jahre hergab: Straße und Tanzfläche, Plakatwand und Einkaufsparadies, Bühne und Kinosaal.

Eine späte Erinnerung an diese Pioniertage hat die Ludwig-Kuratorin Barbara Engelbach jetzt für die neue Präsentation der eigenen Sammlung zeitgenössischer Kunst hervorgekramt. 1968 entwarf Robert Rauschenberg gemeinsam mit Mitgliedern der Eat-Gruppe (Experiments in Arts and Technology) eine elf Meter breite und 2,44 Meter hohe Spiegelwand, die jeweils für Sekunden zum lichtdurchlässigen Schaufenster wird, sobald jemand laut genug das eigene Spiegelbild anbrüllt. Möglich machen es baumelnde Mikrofone, die das Publikum belauschen und bei ausreichendem Lärmpegel etliche Leuchten hinter der Plexiglasscheibe aufblitzen lassen.

Wer Rauschenbergs „Soundings“ applaudiert, wird mit einem kurzen Blick ins Verborgene belohnt

Am ersten Ausstellungstag hat das bereits sehr gut funktioniert. Wer sinnlos herumschreit oder Rauschenbergs „Soundings“ applaudiert, wird mit einem kurzen Blick ins Verborgene belohnt. Hinter den Spiegeln liegt zwar kein Wunderland, aber immerhin ein Plexiglas-Siebdruck fliegender Stühle. Außerdem liegt die wahre Kunst in diesem Fall darin, die Besucher aus der Reserve zu locken und, wie es im Kuratorendeutsch heißt, zu aktivieren. Für diesen schönen Effekt mag man auch gerne hinnehmen, dass sich die zeitgenössische Kunst bis ins Jahr 1968 zurück ausdehnt.

Alle zwei Jahre sortiert das Museum Ludwig seine junge (oder jung gebliebene) Kunst im Untergeschoss neu, holt Depotware zurück ans Licht und präsentiert Ankäufe der letzten Jahre. In diesem Herbst feiern dabei 18 Werke ihre Kölner Premiere, darunter einige Requisiten aus Anne Imhofs venezianischer „Faust“-Performance oder das wie frisch aus dem Erdreich gezogene Grabkreuz von Danh Vos Mutter. Andere Werke wurden so lange nicht mehr im Ludwig gezeigt, dass man sie auf die Vermisstenliste hätte setzen können: allen voran Rebecca Horns „Pfauenmaschine“.

Rote Jalousien hängen in einem Raum von der Decke. Suchscheinwerfer setzen Lichtpunkte an die Wände.

Haegue Yangs Installation „Mountains of Encounter“ besteht aus Jalousien und Suchscheinwerfern.

Für Ludwig-Direktor Yilmaz Dziewior sind die wechselnden Sammlungspräsentationen auch Wegmarken zum „grünen“ Museum – jedenfalls verglich er sie mit Sonderausstellungen, für die keine Werke auf Reisen gehen müssen. Allerdings ist es nicht ganz einfach, für sie thematische Klammern zu finden. „Vom Wert der Zeit“ heißt die aktuelle, die vielfältige Zeitgebundenheit aller Kunst beschwörende Präsentation – die Zusammenhänge bleiben bei derlei Passepartout-Begrifflichkeiten allerdings naturgemäß banal oder diffus.

„Alte Bekannte, neue Freunde“, auf diese alternative Formel brachte Dziewior die Präsentation, wobei etwa Haegue Yangs hängender Gefängnisgarten aus Aluminiumjalousien und Suchscheinwerfern auch schon zu den „alten Bekannten“ des Hauses zählt. Neu ist hingegen das psychedelische Schlangen-Triptychon der chinesischen Künstlerin Guan Xiao. Für ihre Installation ließ sie große Vinylbögen mit Schlangenmustern bedrucken, dazu kommen mehrere Stative, Steinköpfe, ein Totem aus Teleobjektiven und Überwachungskameras, die sich gegenseitig filmen. Für Engelbach ist dies eine Allegorie auf die Zeitstruktur des Internets (alles ist gleichzeitig verfügbar, die Schlange beißt sich selbst in den Schwanz), aber genauso gut könnte man darin auch ein (ästhetisch reizvolles) Beispiel für die Selbstbezüglichkeit moderner Kunstproduktionen sehen.

Auch die „alte Bekannte“ namens Malerei ist wieder gut vertreten – mit Arbeiten von Miriam Cahn, Frank Bowling, Lubaina Himid, Kerry James Marshall oder Andreas Siekmann. Von Füsun Osur ist ein „Vorspiel“ ihrer großen Herbstausstellung zu sehen, im dem sie wuchtige Hämmer mit rosa Tüll zusammenbindet, verweichlicht und zum drolligen Entenmarsch zwingt. Eine Entdeckung ist das dreiminütige Video der Kölner Künstlerin Pauline M’barek, das nichts als die Großaufnahme eines Auges zeigt. In der Pupille spiegelt sich, was das Auge anscheinend sieht, aber eben nicht sieht, weil es auf der Oberfläche bleibt statt durchs Auge auf den Sehnerv zu fallen. In diesem Spiegelkabinett starren die Wände zurück.


„Über den Wert der Zeit: Neupräsentation der Sammlung zeitgenössischer Kunst“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 31. August 2025

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