Kölner Autorin Lisa RoyEin schonungsloser Debütroman

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Die Autorin Lisa Roy trägt ein schwarzes Oberteil.

Lisa Roy

Die Kölner Autorin Lisa Roy hat ihren ersten Roman gleich bei Rowohlt veröffentlicht. „Keine gute Geschichte“ erzählt die Geschichte von Arielle, die ihre Kindheit in einem Essener Arbeiterviertel mit Anfang 30 wieder einholt. Für die Arbeit an ihrem ersten Roman erhielt Lisa Roy 2021 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln.

Nein, es ist wirklich „Keine gute Geschichte“, die Lisa Roy in ihrem ersten Roman erzählt. Viele kaputte Familien, viele kaputte Menschen. So wie Arielle Freytag, die Hauptfigur des Romans. Dabei wirkt nach außen alles so perfekt: Sie sieht super aus, hat coole Freundinnen und einen hippen Job in den sozialen Medien.

Mit Anfang 30 hat Arielle „es geschafft“: den Aufstieg aus dem Essener Arbeiterviertel ihrer Kindheit. Doch hinter ihrer Hochglanz-Fassade ist sie ein ziemliches Wrack: Erst vor einigen Wochen ist sie aus der Psychiatrie entlassen worden. Und statt die Antidepressiva zu nehmen, trinkt sie lieber Wodka.

Seit mehr als zehn Jahren war sie nicht mehr in Essen-Katernberg. Warum auch? Ihren Vater kennt sie nicht, und ihre Mutter verschwand mit 24 Jahren – da war Arielle sechs. Bleibt also nur noch ihre Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist. Eine lieblose, schrullige Frau, die töpfert, in ihrer düsteren Wohnung Nacktkatzen hält und sich geheimnisvoll Varuna nennt – obwohl sie ganz unspektakulär Heidrun heißt.

„Es muss ja nicht alles in den gleichen vier Vierteln in Berlin spielen
Lisa Roy

Doch dann ruft eine junge Sozialarbeiterin bei Arielle an und bittet sie, zurückzukommen in das Viertel ihrer Kindheit: Arielles Großmutter gehe es nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht gut. Außerdem sei sie „ein bisschen verstört“: In der Nachbarschaft sind gerade zwei Mädchen entführt worden.

Also macht sich Arielle auf den Weg nach Essen: „Mit jeder Haltestelle, die die Straßenbahn Richtung Norden fuhr, schrumpfte der Anteil an Leuten, die sowohl Deutsch sprachen als auch nüchtern waren.“ Und mit jeder Haltestelle nähert sie sich dem Geheimnis ihrer verschwundenen Mutter und dem der verschwundenen Mädchen.

Mit „Keine gute Geschichte“ setzt Lisa Roy das Ruhrgebiet wieder auf die Landkarte der deutschen Gegenwartsliteratur. „Es muss ja nicht alles in den gleichen vier Vierteln in Berlin spielen“, sagt sie. Das Bild, dass sie von Essen-Katernberg zeichnet, ist alles andere als rosig. Trotzdem: Es ist für die Autorin auch ein Akt des Lokalpatriotismus, dass ihr früheres Heimatviertel in ihrem Roman auftaucht. Denn wie ihre Figur Arielle ist auch Lisa Roy in den 1990ern dort aufgewachsen.

Das war es dann allerdings auch schon an Gemeinsamkeiten. „Arielles Geschichte ist nicht meine Geschichte!“, betont sie. Genauso wenig sei ihr Roman dokumentarisch. „Beim Schreiben versuche ich mich frei zu machen von so was wie einem Authentizitäts-Anspruch.“ Die Gefahr des literarischen Katastrophentourismus war ihr bewusst: „Mir ging es nicht um eine Milieu-Studie, sondern mir ging es um Arielle. Die Figuren treiben die Geschichte voran. Und nicht irgendein didaktischer Anspruch nach dem Motto: Ich zeige jetzt mal den Bildungsbürgern die Ungerechtigkeit der Welt auf.“

Das stört sie im Nachhinein auch an ihrem Arbeitstitel „Brennpunkt“. Unter diesem Titel reichte sie 2021 erste Kapitel ihres Romans beim Kölner „Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium für Literatur“ der Stadt Köln ein – und gewann. „Brennpunkt ist so ein Blick-von-oben-Wort aus Zeitungen“, sagt sie „und gerade diesen Blick hat der Roman ja nicht.“

Das Stipendium half ihr finanziell, ihren Roman fertig zu schreiben. Die Auszeichnung machte aber auch Literatur-Agenturen auf sie aufmerksam, die sich vorher nicht für sie interessiert hatten, erzählt sie. „Der Literaturbetrieb kann auf junge Autor*innen sehr exklusiv und abgeschottet wirken – und ist es wahrscheinlich auch“, sagt sie.

Mir ging es nicht um eine Milieu-Studie. Die Figuren treiben die Geschichte voran.
Lisa Roy

Nicht nur deswegen ist sie froh, dass sie sich nach ihrem ersten Studienabschluss noch mal an der Kölner Kunsthochschule für Medien für den Masterstudiengang „Literarisches Schreiben“ eingeschrieben hat. Denn neben der konkreten Textarbeit hat sie dort auch viel darüber gelernt, wie Verlage und Agenturen funktionieren. Und sie hat dort Freunde gefunden: „Das Autor*innenleben kann sehr einsam sein. Und Leute zu kennen, die auch alle da sitzen und einen Text tippen, auf den niemand wartet – das hat mir total geholfen.“

Über fünf Jahre hat sie an ihrem Text gearbeitet – fünf Jahre, die sie gedanklich immer wieder in einem ziemlich trostlosen Essener Arbeiterviertel verbracht hat. Warum hat sie ausgerechnet einen derart düsteren Stoff gewählt? „Vieles, was daran als deprimierend empfunden wird, ist für mich eben einfach so, wie es an dem Ort war, an dem ich groß geworden bin. Ich empfinde das gar nicht als so furchtbar traurig.“

Vielleicht erzählt sie das Schwere deshalb mit so viel trockenem Humor und Leichtigkeit. Und neben allem Deprimierenden gibt es auch Hoffnung und Freundschaft in Arielles Leben – und Liebe. „Ich wollte keine Geschichte mit Happy End schreiben – aber mir war es trotzdem wichtig, Arielle glücklicher zurückzulassen als wir sie am Anfang kennenlernen.“

Lisa Roy wurde 1990 in Leipzig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie studierte in Dortmund und Köln, wo sie heute mit ihrer Familie lebt. Für die Arbeit an ihrem ersten Roman erhielt sie 2021 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln.

Keine gute Geschichte, Rowohlt, 240 Seiten, 22 Euro, E-Book 14,99 Euro.

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