„Ein totales Risiko“Die Kölner Bestseller-Autorin Melanie Raabe über ihr neues Buch

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Melanie Raabe

Köln – Wer ist Melanie Raabe? Eine Kölner Thriller-Autorin mit Bestsellerlisten-Abo. Schublade auf, Schublade zu. Aber so einfach ist es nicht. Denn Melanie Raabe liebt die Verwandlung. Und deswegen lässt sie sich nicht gerne festnageln, auch nicht auf ein Genre. Nach vier extrem erfolgreichen Thrillern steht auf ihrem neuen Buch „Die Kunst des Verschwindens“ deswegen auch einfach nur: „Roman“. „Ein totales Risiko“, sagt sie: „Viele hätten sich sicher gefreut, das fünfte Buch zu bekommen, das sehr ähnlich ist und aussieht wie die Vorgänger. Aber ich muss ja machen, was mich interessiert, was mir im Kopf herumspukt.“

Melanie Raabe hat ein Sachbuch über Kreativität geschrieben

Kreativität ist für die 41-Jährige extrem wichtig, sie hat sogar ein Sachbuch darüber geschrieben. Fließband-Bestseller zu produzieren kommt also für sie nicht infrage – obwohl ja auch das eine seltene Gabe ist. „Ich habe mir die Freiheit genommen, eine Form zu suchen, zu der es mich schon immer hingezogen hat: Dieser magische Realismus, der aber irgendwie gerade dadurch, dass er überhöht ist, mehr über unsere Zeit erzählen kann.“ Solche Bücher gebe es im deutschen Sprachraum viel zu selten – „im südamerikanischen und osteuropäischen Sprachraum liest man so etwas öfter.“ Und wenn es sonst niemand macht, macht sie es eben.

Während sie erzählt, denkt Melanie Raabe an die Zeit zurück, als sie anfing, das Buch zu konzipieren und zu schreiben: Mitten im Corona-Lockdown. „Alles war irgendwie plötzlich ganz absonderlich. Als hätte sich ein Riss in der Welt aufgetan, und irgendwas anderes wäre dadurch gekommen.“ Da sei es ihr irgendwie folgerichtig erschienen, in ihrem Roman eine verschobene Realität zu erschaffen: „Es gab keinen Masterplan dahinter, dieses Mal keinen Thriller zu schreiben. Das hat mich auch ein kleines bisschen überrascht, ehrlicherweise. Aber es war Corona, ich war sehr lange alleine zu Hause – und das war das Buch, das rauswollte.“

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Und so ist „Die Kunst des Verschwindens“ nur auf den ersten Blick eine konventionell erzählte Geschichte über zwei junge Frauen geworden, die sich in Berlin begegnen und sofort eine rätselhafte Verbindung spüren. Denn wie selbstverständlich blitzen immer wieder magische Momente auf. Viel zu subtil allerdings, um das Buch ins „Fantasy“-Regal einzusortieren.

Melanie Raabe hat sich frei geschrieben, hat vier Mal bewiesen, dass sie sehr erfolgreiche Bücher schreiben kann. Das schafft Raum für Kreativität – psychologisch und ganz sicher auch finanziell. Alles, was sie tut, tut sie sehr bewusst: Was mache ich mit meinem Leben? Wer will ich eigentlich sein? Diese Fragen stellt sie sich immer wieder: „Ich finde den Gedanken romantisch, dass man das ein Stück weit selbst entscheiden kann. Und ich finde auch den Gedanken romantisch, dass man vielleicht nicht so festgelegt ist, wie man denkt.“

Ihren Traum, Schriftstellerin zu werden, hat sie zielstrebig verfolgt. Ist morgens um vier aufgestanden, um an ihren Romanen zu schreiben. Ihr Geld verdiente sie in der Zeit als Journalistin. Und sie gab auch nicht auf, als die Verlage ihre Manuskripte anfangs immer wieder ablehnten. Sie wusste, wer sie sein wollte – und machte unbeirrt weiter.

Zum Buch

Melanie Raabes erster Roman bei einem großen Verlag erschien 2015, bis 2019 folgten drei weitere Bestseller. Ihre Romane werden in über 20 Ländern veröffentlicht. Mit der Künstlerin und Youtuberin Laura Kampf macht sie den wöchentlichen Podcast „Raabe & Kampf“. „Die Kunst des Verschwindens“, 400 Seiten, btb Verlag, 22 Euro.

„Ich habe mich schon immer hingezogen gefühlt zu Leuten, die sich selbst kreiert haben“, sagt sie. Wie Lady Gaga (über die sie auch ein Buch geschrieben hat), oder David Bowie. „Verwandlung ist ein Thema, das mich total fasziniert. Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum ich als Teenager angefangen habe, Theater zu spielen, obwohl ich überhaupt nicht gerne auf einer Bühne stehe. Weil ich es toll fand, in eine andere Haut schlüpfen zu können.“

Auch eine der beiden Hauptfiguren ihres neuen Romans ist Schauspielerin. Sie verwandelt sich nicht nur für ihre Rollen immer wieder neu. Sondern verschwindet schließlich sogar ganz von der Bildfläche. Magie? Verbrechen? Oder etwas ganz anderes? „Die Kunst des Verschwindens“ ist ein absoluter Pageturner. Verhandelt aber unter der hoch spannenden Oberfläche auch Themen wie Identität, Selbstermächtigung, Befreiung und das Leben im Zeitalter der sozialen Medien. Ein Zeitalter, in dem öffentliche Sichtbarkeit die Währung ist und Selbstinszenierung alles.

Berühmtheit, so Raabe, ist eine krasse Form der Unfreiheit

Ellen Kirsch – so heißt die Schauspielerin – ist auf dem Zenit dessen angelangt, wovon so viele träumen: Ein Star sein, Millionen Follower haben, Glamour, Applaus, Rampenlicht. Doch dieser Traum kann auch zum Albtraum werden: übergriffige Fans, Hasskommentare, Shitstorms, Stalker. „Eine ganz krasse, skurrile Form der Unfreiheit“, so sieht Melanie Raabe Prominenz. „Ich fand es interessant, wenn diese Hauptfigur etwas, was sich andere wünschen, loswerden will.“

Den Wunsch zu Verschwinden findet sie selbst total nachvollziehbar. Vielleicht, überlegt sie, habe das Thema ja auch etwas mit ihr zu tun: „Ich bin eine schwarze Frau und ich habe mir immer gewünscht, weniger aufzufallen.“ Jetzt ist sie sogar selber prominent, aber als Autorin, sagt sie, sei das zum Glück vergleichsweise harmlos.

Männer tauchen in dem Roman nur am Rande auf, was aber beim Lesen nicht weiter auffällt. Vielleicht liegt das daran, wie Melanie Raabe Frauenfiguren beschreibt. Denn das ist – bei aller Wandelbarkeit – so etwas wie ein Markenzeichen. „Nicht ganz klar gut oder ganz klar böse. Sondern genau die interessante, facettenreiche Form dazwischen. Das lese ich immer noch zu wenig und das macht mir totalen Spaß. Damit mache ich, glaube ich, noch ein Weilchen weiter.“

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