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Kölner JazzszeneFür Johannes Ludwig war Corona auch ein Glücksfall

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Der Kölner Jazz-Saxofonist Johannes Ludwig

Köln – Es ist so eine Sache mit der Zeit. Da studiert Johannes Ludwig lange Jahre in Nürnberg (Saxofon) und Köln (Komposition und Arrangement), reist mit dem Bundesjazzorchester bis nach Südafrika und Indien, spielt in seiner nunmehr 15-jährigen Profikarriere zehn eigene Alben ein (ganz zu schweigen von etlichen CD-Beteiligungen als Sideman), gründet mit Gleichgesinnten das Subway Jazz Orchestra und mit Jens Böckamp sogar ein Plattenlabel – und wird dann mitten in dieser Kreativphase vom Lockdown ausgebremst.

Wie für viele begann auch für Ludwig eine Zeit, in der man seine Wünsche und Träume neu justiert. Dann geschah, was man erhoffen, nicht aber planen kann: Die verordnete Tatenlosigkeit setzte Kreativkräfte frei, aus dem Aus- und Innehalten entstanden neue Ideen, Konzepte, Entscheidungen. „Die Corona-Zeit hat mich auf die Frage zurückgeworfen, was ich mit meiner wertvollen Zeit wirklich anfangen möchte“, meint Ludwig. „Das hat mich dazu gebracht, dass ich nur noch Dinge tun möchte, die mir von tief innen heraus etwas bedeuten – und zwar mit Menschen, bei denen ich beim Musizieren und Arbeiten durchweg ein gutes Gefühl habe.“

Johannes Ludwig wurde von Corona ausgebremst - so schien es jedenfalls

Ludwig reduzierte die Zahl seiner Projekte und schuf die Formation Vagabond Souls. Für sie komponierte er Musik, die ihm selbst Spaß macht, spielte sie zwei Wochen später mit seinem Dream-Team an einem Abend im Salon des Jazz und zog danach in den Kammermusiksaal des Deutschlandfunks. Dort entstand innerhalb von nur drei Tagen im September 2021 die komplette CD. Man spürt den frischen Session-Charakter der Aufnahmen, vor allem aber glückte Johannes Ludwig, Heidi Bayer (Trompete, Flügelhorn), Gero Schipmann und Philipp Brämsig (beide Gitarre), Lisa Wulff (Bass) und Alexander Parzhuber (Schlagzeug) ein mitreißendes, ebenso komplexes wie leicht zugängliches Album, das unbedingt ins Gepäck für die einsame Insel gehört.

Das Resultat hat auch für Ludwig einen besonderen Stellenwert, nimmt die Musik doch keinerlei taktische Rücksicht auf etwaige Hörerwartungen. „Zudem ist die Band eine absolute Wohlfühl-Beste-Freund*innen-Truppe, das hat sich bei den Aufnahmen genauso angefühlt!“ Bereits äußerlich signalisiert das Album liebevolle Fürsorge: Das von Grafikkünstler Mathias Fleck gestaltete Booklet aus brauner Pappe wurde zweifarbig von Hand bedruckt, sodass jeder Schuber eine Art Unikat ist. Die Musik wiederum hält, was die Hülle verspricht. Die melodiebetonte Klarheit der Kompositionen paart sich mal mit rockiger Klangschärfe, mal mit balladesker Zartheit, während die charaktervollen Improvisationen gleichsam als organisch gewachsene Grundbausteine der Harmonik fungieren.

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Stilsicher operiert das Sextett auf Basis dreier „Paarbeziehungen“: Saxofon und Trompete sind im ständigen Austausch, amalgamieren schlafwandlerisch sicher zur gemeinsamen Melodie, bevor sie sich aufteilen, zirzensisch miteinander tanzen und sich aus der Ruhe zu energetischem Jubel aufschwingen. Nie reißt dabei der Kontakt zu den beiden Gitarristen ab, die den Klangraum mit sphärischen Stimmungen schmücken, die Fenster weit aufreißen und mit rockigen Soli wirbelnden Wind hereinlassen.

Auf der unbändigen Miniatur „Unexpected Exposure“ fetzt es gar beinharte Metal-Riffs, die sich wohl nicht ganz zufällig an den Höhepunkt des Albums anschließen: „Get Outta Here“ ist ein Meisterwerk an komplexer, orchestraler Verdichtung, virtuoses Spiel mit Spannung und Entspannung, Wiederholung und Variante, das mit einer betörend schönen Melodie beginnt und am Ende zu ihr zurückfindet. Maßgeblichen Anteil daran haben auch Bass und Schlagzeug, wobei die bewundernswerte Erzählkraft von Lisa Wulff in „Dream Wild“ offenkundig wird, während Alexander Parzhuber mit fulminanten Klanggewittern keinen Energieabfall zulässt.

Vagabond Souls ist eine Art Quersumme verschiedener Talente

Letztlich ist Vagabond Souls eine Art Quersumme aus Ludwigs anderen Band-Beteiligungen, etwa Heidi Bayers Band Virtual Leak und dem jüngsten Projekt The Human Element. Das Album ist ein weiteres Schmuckstück im Angebot des Kölner Labels FLOATmusic, das Ludwig und Jens Böckamp seit 2014 „mit einer gesunden Mischung aus Idealismus und Galgenhumor“ betreiben. Float heißt so viel wie schweben, und ohne solch kreativen Schwebezustand wäre der Gesamtkünstler Johannes Ludwig wohl nicht komplett. Und wenn alles seine Zeit hat, dann ist es jetzt die der „vagabundierenden Seelen“.

Johannes Ludwig: Vagabond Souls. FLOATmusic. Im Direktvertrieb, bestellbar über johannesludwig.com