70 Jahre BRDKölner Kurt Edelhagen – Seine erste Gage war ein trockenes Brötchen

Kurt Edelhagen (2. v.l.) mit Elvis Presley.
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- Der Krieg durchkreuzt die Karrierepläne des jungen Musikers – umso leidenschaftlicher stürzt sich Kurt Edelhagen später auf den Jazz und prägt damit nachhaltig den Musikstandort Köln.
- Er spielt mit Legenden wie Miles Davis, Chet Baker und Lionel Hampton. In Köln stellt Edelhagen ein Ensemble aus acht Ländern zusammen, nicht die Nationalität zählt, nur die Exzellenz.
- In Rath-Heumar hat man eine Straße nach ihm benannt.
Köln – Ein trockenes Brötchen, belegt mit einem einzelnen Salatblatt. So bescheiden fällt Kurt Ludwig Edelhagens erste Gage aus. Eigentlich hatte der junge Mann aus Herne von einer Karriere als Dirigent eines großen Sinfonieorchesters geträumt. Was heißt geträumt?
Er konnte auf eine vorbildliche musikalische Laufbahn zurückschauen: Geige ab dem vierten, Klavier ab dem siebten Lebensjahr, mit 17 an der Essener Folkwangschule immatrikuliert, um Klavier, Klarinette und Dirigat zu studieren. Das Studium schloss er mit Auszeichnung ab, in Wien wollte er die Dirigentenausbildung fortsetzen.
Doch man schrieb das Kriegsjahr 1941, Edelhagen wurde zur Wehrmacht eingezogen, und hatte Glück im Unglück: Als Klarinettist eines Musikkorps reiste er durchs besetzte Frankreich. Und intensivierte dort eine Leidenschaft, der er bereits als Student gefrönt hatte: für den amerikanischen Jazz.
Der war unterm Nazi-Regime nicht explizit verboten, aber doch verpönt – und ganz sicher kein erwünschter Studieninhalt. In Paris traf Kurt Edelhagen zum ersten Mal die Jazzmusiker in Fleisch und Blut, die er bisher nur durch das Abhören von „Feindsendern“ kannte.
Er spielte in Soldatenclubs
Als die Briten am 10. April 1945 Herne besetzen, steht Edelhagen deshalb schon bereit: Nur zwei Monate später tritt er mit seinem neugegründeten Quartett im britischen Soldatenclub „Battle Axe“ auf. Der Lohn: jenes bereits erwähnte Trockenbrötchen. Und unschätzbare Erfahrungen.
In den Soldatenclubs der Alliierten lernt der verhinderte Sinfoniker, Tanzmusik zu spielen. Seine kleine Combo erweitert er zur swingenden Bigband, im Trümmerdeutschland ein unerhörtes Projekt.
Bald darauf wechselt das Orchester in die amerikanische Besetzungszone, tritt allabendlich im Hauptquartier der US-Streitkräfte auf, im ehemaligen I.G. Farben-Haus in Frankfurt, angepriesen als „best band of the European Command“. Man sieht es dem untersetzten Mann mit der dicken Hornbrille nicht an, aber er kann jeden Saal in synkopierten Schwung versetzen.
Dann wird die Bundesrepublik gegründet und der ebenfalls neu ins Leben gerufene Bayerische Rundfunk stellt die Band als offizielles Jazz- und Unterhaltungsorchester des Senders Radio Nürnberg an. Trotz Bedenken. „Nach ihrer Musik kann man nicht tanzen“, wirft ihm ein Vorgesetzter beim BR vor.
Jazz gilt vielen Deutschen, so kurz nach der Barbarei der Hitler-Jahre, als „schräge Musik“, nicht mehrheitsfähig. Die geforderte leichte Unterhaltung betrachtet Edelhagen als lästige Pflichtaufgabe. Man müsse halt trennen, was einem Freude macht und was man zum Lebensunterhalt braucht. Auf einem Fragebogen schreibt er unter der Rubrik „Lieblingsschlager“: „keine“.

1957: Kurt Edelhagen (vorne rechts) mit seiner Band auf dem Dach des WDR.
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1952 wechselt er mit seinem Orchester zum Südwestfunk Baden-Baden. Hier produziert der deutsche Jazz-Papst Joachim-Ernst Behrendt sein wöchentliches Programm „Jazztime Baden-Baden“, Edelhagen ist Stammgast und begleitet Legenden: Chet Baker, Lionel Hampton und Lester Young und auch ein junges Trompetengenie namens Miles Davis. Sein klangliches Idol dieser Tage aber ist Stan Kenton.
Der Orchesterleiter aus Los Angeles nennt seine Musik „Progressive Jazz“ und legt seinen Ehrgeiz darin, mit immer größeren Formationen und immer komplexeren Akkordschichtungen die Bigband von der Dienstleistung im Tanzsaal zu emanzipieren und als Klangkörper für die Philharmonien zu etablieren. In Kentons Programm sieht Edelhagen die Möglichkeit, die klassische Ausbildung mit seinen musikalischen Vorlieben zu vereinen. Jazz sei eigentlich Neue Musik. Bei den Donaueschinger Musiktagen, dem Mekka der Neutöner, dirigiert Edelhagen 1954 Zwölftonmusik für Bigband-Besetzung.
Caterina Valente sang für seine Band
Diese Hochkulturerfolge entbinden ihn nicht von den Unterhaltungs-Verpflichtungen. Auf der Suche nach einer Sängerin für seine Band entdeckt er 1953 die deutsch-italienische Entertainerin Caterina Valente. Wie viel mehr Menschen werden das Orchester Kurt Edelhagen auf deren Single „Ganz Paris träumt von der Liebe“ als in Donaueschingen gehört haben?
Wenn auch unter dem abenteuerlichen Pseudonym „Orchester Mike Firestone“. Fernweh-Schlager bezahlen die Miete. Immerhin, ein erneuter Wechsel der Rundfunkanstalt – 1957 zieht es Edelhagen nach Köln, zum WDR – bedeutet das Ende der Tanzpflicht. Ab jetzt soll es nur noch Jazz geben.
Zuerst muss sich Edelhagen allerdings neue Musiker suchen, viele sehnen sich nach einer Festanstellung. Ein Platz in Edelhagens Formation ist dagegen eine unsichere Sache. In sieben Jahren, schreibt der „Spiegel“ zu jener Zeit in einem großen Porträt, habe der Orchesterleiter 151 Musiker verbraucht. Das ist der Preis, wenn man in der besten Bigband Europas spielen will: Jeder ist ersetzbar, es muss nur ein besserer Musiker frei werden.
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In Köln stellt Edelhagen ein Ensemble aus acht Ländern zusammen, nicht die Nationalität zählt, nur die Exzellenz. Und der Wille, die eigene Virtuosität dem Klangkörper unterzuordnen. Geprobt wird täglich sechs bis sieben Stunden. Edelhagen beginnt oft mit einem Wutausbruch, der jeden Musiker treffen kann. Dann spricht nur noch der Taktstock, es herrscht hochkonzentrierte Ruhe. „Präzise wie die Preußen“, unkt der „Spiegel“, Edelhagen fühlt sich missverstanden.
Präzision, das bedeute nur „Ausdrucksvermögen bis zum Letzten realisiert“. Im Grunde liege ihm selbst eher „das Rauschhafte, das Schöne, die maßlose Freude an der Musik“. Die will Edelhagen weitervermitteln, baut deshalb ab 1958 die Jazzklasse an der Kölner Musikhochschule auf, seine Solisten werden Gastdozenten.
Es ist das erste Mal in Europa, dass Jazz an einer akademischen Institution gelehrt wird. Ein positiver Impuls, der sich bis heute fortsetzt. Gleichzeitig tourt Edelhagen unermüdlich, trägt seinen Sound bis in die UdSSR, im Lenin-Sportpalast stürmt das Publikum die Bühne. Das Arbeitspensum fordert seinen Tribut: 1969 erkrankt der Musiker, kaum 50 Jahre alt, an einer Leberzirrhose.
Sein letzter Triumph wird das eineinhalbstündige Medley zum Einmarsch der Nationen, 1972 bei den Olympischen Spielen von München. In seinem Haus in Köln-Junkersdorf fließt der Champagner. Es ist, sagt Edelhagen, der erhabenste Tag seines Lebens. Doch noch im selben Jahr kündigt der WDR seinen Vertrag. Der Bedarf an Musik sei gesunken, heißt es lapidar. Zehn Jahre später erliegt Kurt Edelhagen seiner langjährigen Krebserkrankung. Er wird nur 61 Jahre alt. In Rath-Heumar hat man eine Straße nach ihm benannt.