Kölner Opernintendant Hein Mulders„Die Zeit der Top-Gagen ist vorbei“

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Hein Mulders

Köln – Herr Mulders, sind Sie gut in Köln gelandet? Fangen wir mal mit dem Wohnungsproblem an... Hein Mulders: Ja, das war schon schwierig, und es ist ja auch alles sehr teuer – was ich allerdings von Amsterdam her kenne. Ich wollte auch unbedingt einen Balkon nach Süden raus. Aber ich habe Glück gehabt und ein Loft bekommen, ganz ruhig, fünf Minuten vom Offenbachplatz entfernt.

Köln und gerade die City gilt ja gemeinhin nicht als Gipfel urbaner Schönheit. Ach, wissen Sie: Ich habe auch mal Archäologie studiert, und deshalb sehe ich überall die „historische Tiefe“ dieser Stadt – auch da, wo alles weggebombt wurde. Und das ist schön, und ich genieße es.

Sie müssen ja hier mit einer Situation zurandekommen, der viele andere gerne aus dem Weg gegangen wären. Ich hatte den Vorteil, hier völlig unbelastet hinzukommen. Ich merke schon, dass Leute, die hier vor Ort schon lange mit dieser Interimssituation und der Ungewissheit der Wiedereröffnung des Opernhauses zu tun haben, müde und erschöpft sind. Aber für mich steht fest: In der Saison 2024/25 können wir wieder an den Offenbachplatz.

Ich fühle mich schon wohl in Köln

Sie haben also Ihre Entscheidung, nach Köln zu gehen, nicht bereut. Überhaupt nicht, ich fühle mich sehr wohl hier.

Sind die Bedingungen im Staatenhaus eher belastend oder eher inspirierend? Die Location ist inspirierend – eine permanente Festivalsituation. Man kann hier viel machen, aber ich sehe natürlich auch , was man alles nicht machen kann. Und ich habe größten Respekt vor Frau Meyer, die über Jahre hinweg auch für mich den Weg ins Staatenhaus gebahnt hat. Essen ist ja nicht so weit weg, dass ich das nicht hätte verfolgen können. Auch Regisseure, mit denen ich durchs Haus gehe – die Saison 23/24 steht ja schon mehr oder weniger –, finden es interessant. Aber ich mache keinen Hehl daraus, dass ich froh bin, wenn wir wieder ein richtiges Theater mit der entsprechenden technischen Ausstattung haben.

So eine Produktion wie „Die Soldaten“ könnten Sie aber in einem normalen Haus gar nicht machen. Das stimmt, aber ich habe schon bei der Stückeauswahl und den Regiekonzepten darauf geachtet, dass man Staatenhaus-Produktionen für die Wiederaufnahme am Offenbachplatz adaptieren kann. Im Fall der „Soldaten“ wäre das in der Tat nicht möglich. Aber sogar das Setting für „Les Troyens“ wird jetzt so gebaut, dass es auch am Offenbachplatz funktioniert.

Die Zusammenarbeit mit François-Xavier Roth ist sehr gut

Sie kämpfen derzeit ja an zwei Fronten, müssen Ihren Vertrag in Essen durchziehen und in Köln schon an Deck sein. Ja, das ist nicht einfach. Ich habe in Essen noch – in drei Sparten – wahnsinnig viel zu tun, die Kölner Ernennung kam ja sehr kurzfristig. Allerdings stand das Gerüst für die kommende Kölner Spielzeit schon – etwa mit „Troyens“ und „Holländer“, die François-Xavier Roth macht. Es gab aber noch keine Sänger, und es war klar: Ich brauche ein Team vor Ort, das mir hilft. Das habe ich dann auch bekommen, und so stemmen wir mit vereinten Kräften unsere Aufgaben.

Stichwort Roth: Sie wissen, dass in Roths GMD-Verlängerungsvertrag seine Kompetenzen an der Oper gestärkt wurden. Ein Problem für Sie? Überhaupt nicht. Es war klar, dass ich – was Regisseure, Sänger und Gastdirigenten anbelangt – als Intendant die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten bekomme, die einem Intendanten üblicherweise zustehen. Im übrigen tue ich nichts über Roths Kopf hinweg, wir regeln das einvernehmlich-kooperativ. Da geht es um Vertrauen und Kompetenz. Die besten Verträge nützen ja nichts, wenn die Chemie zwischen den Beteiligten nicht stimmt. Roth und ich kommen aber wunderbar miteinander zurecht

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„Große Oper für ein großes Publikum“ – so beschrieben Sie Ihre Programmlinie auf Ihrer ersten Saison-Pressekonferenz. Ist das etwas Neues? Ich dachte immer, dass das auch die Linie von Birgit Meyer war. Das will ich gar nicht bestreiten, was hier gemacht wurde, finde ich sehr spannend. Aber: Wir sind allesamt Erben der Corona-Situation, die auch zu einem Wegbrechen des Publikums geführt hat. Vor diesem Hintergrund ist meine Devise „Große Oper für ein großes Publikum“ zu verstehen. Dennoch, wenn Sie sich die Agenda der kommenden Saison ansehen: Da kommen nicht nur „Zauberflöte“ und „Bohème“ dran. Meine Linie ist eher: bei den eh schwundanfälligen Wiederaufnahmen populäre Titel und bei den Neuproduktionen ein Fächer von großen und interessanten und neuen Stücken – und vor allem: Uraufführungen.

Wo genau werden sie Schwerpunkte setzen? Stichwort Uraufführungen: Da schwebt mir für die kommenden Jahre eine ganze Serie vor. Ich will allerdings auch die Linie der historisch Köln-affinen Erstaufführungen fortsetzen. Die „Große Oper“ wird jetzt durch Verdi („Luisa Miller“) bedient, der in der Vergangenheit in Köln vielleicht ein bisschen zu kurz gekommen ist. Ein weiterer Schwerpunkt soll die Barockoper sein.

Robert Carsen soll wieder in Köln inszenieren

Sie gelten als ein Genie der Koproduktion... Na ja, das sollte man nicht überbewerten. Das machen doch alle großen Häuser heute so, nicht zuletzt aus Kostengründen. Es ist klar, dass ich einen internationalen Regiestar wie Christof Loy am ehesten auf dem Weg einer Übernahme oder langfristig bekomme, wenn ich vier bis fünf Jahre im Voraus planen kann.

Welche Regisseure haben sie für Köln auf Ihrem Zettel? Auf jeden Fall Robert Carsen, der hier einen legendären „Ring“ gemacht hat. Mit ihm verbindet mich eine lange Zusammenarbeit – etwa bei seinem Puccini- und Janacék-Zyklus. Gerne einladen würde ich auch Mariame Clément und Tatjana Gürbaca. Die kennt man hier ja auch.

Können Sie etwas mit der Gegenüberstellung von „klassischem“ und Regietheater anfangen? Ja, diese Unterscheidung hat einen Grund in der Sache. Entscheidend ist für mich die Qualität: Ich bin für Hardcore-Regietheater, wenn es überzeugt und nicht an den Haaren herbeigezogen ist. Und ich bin für „klassische“ Regisseure, wenn sie ihr Handwerk verstehen. Es kommt vor allem darauf an, dass Oper sinnlich auf die Bühne gebracht wird.

Manches kommt an deutschen Opernhäusern zu kurz, etwa die Grand Opéra – Auber und Meyerbeer. Sehen auch Sie da Nachholbedarf?

Ja, Sie treffen da bei mir einen Nerv. Wir haben in Essen mit großem Erfolg Meyerbeers „Le Prophète“ gemacht. Aber das ist alles außerordentlich aufwändig – und es kostet viel. Das will, so schade es ist, in diesen Zeiten bedacht werden.

Beim Etat kommt man schnell an seine Grenzen

Ist Ihr Kölner Etat zu klein? Na ja, man kommt schnell an seine Grenzen. Es hat aber auch keinen Sinn, deswegen auf die Pauke zu hauen – und das tue ich auch nicht. Oper ist nun mal eine teure Kunstform. Die Balance muss man halt hinkriegen: kreativ sein mit weniger Mitteln, als man eigentlich braucht. Und es wird nicht darauf ankommen, die Mittel gleichmäßig zu verteilen – dann wird alles irgendwie grau –, sondern hier und da kräftig zuzulangen und dafür an anderer Stelle einzusparen. Grundsätzlich gilt: Die Zeit der Toppgagen ist vorbei, das wissen auch die Sänger.

Ihr Vertrag läuft bis 2027, haben Sie bei Ihrer Planung die gesamt Periode im Auge? Ja, man muss zyklisch und perspektivisch denken, damit das Ganze ein Gesicht bekommt. Auch diesbezüglich ist übrigens die Kooperation mit Roth ausgezeichnet.

Die Rückkehr an den Offenbachplatz wird auch organisatorische Veränderungen zeitigen. Werden sie vom reinen Stagione-Betrieb zum Repertoiretheater zurückkehren? Zumindest zum Semi-Stagione-Betrieb. Viele Mitarbeiter wissen ja gar nicht mehr, wie ein Repertoirebetrieb funktioniert. Der Vorteil des Repertoire-Theaters: Die Vorstellungen können besser über die Saison verteilt werden. Man muss halt darauf achten, dass möglichst immer dieselbe Crew auf der Bühne steht. Dann bedeutet Repertoire-Betrieb auch keine Qualitätseinbuße.

Haben Sie selbst eigentlich eine Lieblingsoper? Oh Gott, was für eine Frage! Wenn ich jetzt sage: „Simon Boccanegra“, merke ich sofort, dass ich Mozart außen vor lasse. Wenn Sie mich fragen, welche Oper ich auf die berühmte einsame Insel mitnähme: wahrscheinlich eine Händel-Oper, vielleicht „Ariodante“.

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