Kölner Schauspieler in Lwiw„Putin nennt hier fast jeder Hitler“

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Schauspieler Rostyslav Bome

  • Rostyslav Bome kam mit 16 Jahren aus der Ukraine nach Köln.
  • Er spielte im Kölner Tatort und in der Serie Babylon Berlin mit.
  • 2013 sang er auf dem Maidan-Platz in Kiew ein Lied, das die Menschen als ukrainisches Revolutionslied feierten.
  • Bome meldet sich aus der Ukraine und gibt einen tiefen Einblick in die Seele seines bedrohten Landes.

Lemberg/Köln – Vor acht Jahren stand Rostyslav Bome auf dem Kiewer Maidan-Platz und rappte seine in Köln aufgenommene Hymne „Revolution Ukraine“, in der er korrupte Machthaber um den damaligen Machthaber Wiktor Janukowytsch anprangert, Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung fordert. „Die Ukraine ist noch nicht gestorben. Sie soll leben“, heißt es in dem Lied. „So wie die Mutter ihren Sohn liebt, liebt die Ukraine uns.“ Und: „Für Gerechtigkeit und Freiheit in unserem Haus werden wir einstehen.“

Hymne der Revolution

Ukrainische Medien nannten das Lied, das Bome unter dem Künstlernamen Artisto auch auf Youtube veröffentlichte, „die Hymne der Revolution“. Nachdem die Proteste eskaliert waren, schalteten sich Deutschland, Polen und Frankreich ein und vermittelten in einem Vertrag, der die ukrainischen Verfassung reformieren sollte. Der russlandtreue Diktator Janukowytsch flüchtete. „Ohne die Maidan-Proteste wäre die Ukraine eine Marionette Russlands geblieben“, sagt Bome. „Die Bewegung hat die Ukraine Richtung Westen geöffnet und den Menschen gezeigt, dass die Verhältnisse nicht so bleiben müssen, wie sie immer waren.“

Seit November 2021 ist der 37 Jahre alte Bome, der an der Theaterakademie Köln studiert hat und als russischer Zugentführer in der Serie „Babylon Berlin“ zu sehen war, in der Nähe von Lwiw (Lemberg). Vorher war Bome in Köln, er müsste eigentlich zurück, um seine Niederlassungserlaubnis zu verlängern, er müsste arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, verschwendet aber keinen Gedanken daran. Er will in seinem Heimatland bleiben und helfen – mit seinen Liedern und Geschichten.

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Lied wird auf TikTok interpretiert

Sein Revolutions- und Friedenslied ist aktueller denn je: Es wird in Polen und der Ukraine auf Demonstrationen gesungen, auf der Plattform TikTok als Playback interpretiert und verbreitet. In den Videos sind Menschen zu sehen, die lachen und weinen. „Es gibt ihnen Hoffnung und stärkt den Geist in diesen schweren Zeiten“, sagt er.

Bome ruft über Whatsapp an, seine Stimme bebt. Er hebt an zu einer Tirade gegen Putin und dessen Krieg, für Freiheit, Frieden, Widerstand, Gegenwärtigkeit und den Mut zum Leben. Und gibt damit einen Einblick in die ukrainische Seele.

„David spannt die Steinschleuder“

Keiner weiß, was morgen ist. Bald wird Putin zu uns nach Lwiw kommen, dann wahrscheinlich nach Europa, er ist ein Diktator, er will alles haben. Am Sonntag habe ich die Bombeneinschläge in der Ferne gehört, bin zum Fenster gegangen, habe das Leuchtfeuer am Horizont gesehen. 35 Menschen sollen bei dem Angriff auf einen Militärstützpunkt ganz in der Nähe gestorben sein.

Es kommen viele Flüchtende in Lwiw an, die wir mit Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung versorgen. 200 000 sollen es inzwischen sein. Wenn der Krieg in die Stadt kommt, werden wir kämpfen bis zum Ende, wir bereiten uns darauf vor. David spannt seine Steinschleuder und konzentriert sich.

Die Anderen schauen dem Mörder zu

Wir hoffen, dass der Himmel geschlossen wird, die Nato doch eine Flugverbotszone durchsetzt, aber unsere Gebete werden nicht gehört. Es ist gut, dass der Westen hilft, aber letztlich schauen die Anderen zu, wie der Mörder mordet und vergewaltigt, weil er sagt: Wenn ihr eingreift, töte ich euch alle. Guckt also zu, was ich tue, und seid still.

Warum die Menschen losgelöst von Angst sind

Die Menschen hier sind voller Stärke und Gegenwärtigkeit, entschlossen, solidarisch, innerlich wütend und ohnmächtig, aber ruhig und konzentriert, losgelöst von ihrer Angst. Jeder setzt ein, was er hat und kann. Bauern ihr Gemüse, Apotheker ihre Medizin, Informatiker ihr IT-Wissen, Schriftsteller, Musiker, Lehrer und Psychologen ihre Worte, jeder, der kann, sein Haus und sein Geld, alle halten zusammen, das ist wunderschön. Ukrainer sind die coolsten Motherfucker der Welt!

Bome sagt, er komme von der Straße, seine Sprache ist eine Mischung aus Gangsterstyle und Bildungsdeutsch, er kommt aus dem Rap und hat studiert, er redet so schnell wie er rappt, atemlos, „stopp mich“, sagt er, und redet weiter, beschimpft Putin, vergleicht ihn mit Hitler, Stalin und Sauron aus dem „Herrn der Ringe“.

Wir lachen über Putins Schergen, die uns vernichten wollen, legen uns vor seine Panzer, singen von der Freiheit und rufen den Soldaten entgegen, dass sie endlich nach Hause zu ihren Familien gehen sollen. Wir zeigen den Unmenschlichen, was es heißt, Mensch zu sein.

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Rostyslaw Bome singt die Freiheitshymne auf dem Maidan in Kiew.

Es ist ein Zustand höchster Anspannung und Verdichtung, ein Zustand totaler Überforderung, gegen den wir nichts tun können, als zusammenzuhalten und uns zu wehren mit unserer ganzen Menschlichkeit.

„Die Stärke ist aus der Geschichte zu erklären“

Die Stärke der Ukrainer, ihr Wille, die Freiheit gegen die übermächtigen Invasoren zu verteidigen, ist nur aus der Geschichte zu erklären. Wir haben die Zaren erlebt, die die Ukraine überfielen, im Zweiten Weltkrieg kamen die Nazis, haben das Land besetzt und unsere Mütter und Väter ermordet, Stalin hat das Land ausgehungert und Millionen Menschen seinem Größenwahn geopfert.

Als Zweitklässler habe ich in der Schule eine Kurzgeschichte gelesen, in der eine Mutter eines ihrer Kinder töten und kochen musste, damit die anderen überleben. Darüber wurde sie natürlich wahnsinnig. So wurde ein ganzes Volk traumatisiert.

Die Menschen sind unter Janukowytsch mutlos, verängstigt und depressiv geblieben. Niemand hat daran geglaubt, dass sich die Zustände ändern können - und dass sie selbst die Zustände verändern können. Mit dem Maidan und der Öffnung nach Europa, der Wiederbelebung der ukrainischen Literatur, des Films und der Musik, haben die Menschen neuen Mut gewonnen.

Lieber sterben als weiter Opfer zu sein

Eher als in die Opferrolle zurückzukehren wollen viele jetzt lieber sterben.

Ich nenne Putin, diese hässliche, verlorene Seele, sein früherer Spitzname war Made, nur noch Hitler, obwohl sein großes Vorbild Stalin ist. Ich weiß, dass solche Vergleiche nicht korrekt sind, aber hier nennt fast jeder Putin Hitler – er ist die Reinkarnation des Bösen. Er will die jüdisch geprägte Ukraine „entnazifizieren“! Der größte Faschist der Gegenwart will das Land von den Faschisten befreien, so ging die Geschichte der gleichgeschalteten russischen Medien schon 2014.

„Putin ist die Reinkarnation des Bösen“

Wir werden uns diesem größten aller Faschisten der Gegenwart nicht beugen, auch wenn er Hundertmal stärker wäre. 

Als er im November 2013 im deutschen Fernsehen Bilder von den Studenten in Kiew sah, die für die Öffnung der Ukraine Richtung EU demonstrierten, flog Bome aus Deutschland in die Ukraine. Die ukrainische Regierung hatte ein Abkommen für eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union nicht unterzeichnen wollen, Hunderttausende gingen allein in Kiew gegen die Machthaber auf die Straße. Im Februar 2014 eskalierte die Gewalt, mindestens 80 Menschen starben bei der Zerschlagung von Protesten.

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Bome im Gespräch mit einem Jugendlichen im Jugendgefängnis von Charkiw

Auf dem Maidan hatte Bome sein Lied gesungen, schon zuvor den damaligen Oppositionsführer und heutigen Bürgermeister von Kiew Vitali Klitschko auf einer Wahlkampftour unterstützt. Er trat im Fernsehen auf, gab Zeitungsinterviews, besuchte Kinderheime und Jugendgefängnisse, immer trug er ein Shirt mit der Aufschrift мир /Mir, was auf Ukrainisch und Russisch Frieden bedeutet. Bome sang, wurde gefeiert – und verfolgt. Zwischenzeitlich brauchte er Bodyguards, weil er als Frontmann des öffentlichen Protests im Fokus der Staatsmacht stand. Als er zurück nach Deutschland kam, spielte er in vielen Produktionen mit, Serien wie „Tatort“, „Der Staatsanwalt“ und „Babylon Berlin“, Kinofilmen, Dokumentationen, Kunstfilmen. Meistens verkörperte er russische Bösewichte.

Er spielt meist russischen Bösewichte

„Es ist lustig, dass ich immer Böse spielen soll, Iwan der Schreckliche war ich für eine Doku über das Zarenreich, das passt perfekt, Iwan der Schreckliche ist neben Stalin ein zweites großes Vorbild von Putin. Ich habe in dem Film „Kids Run“ mit Jannis Niewöhner gespielt und wird sind Freunde geworden. Jannis hat vor kurzem in „München – Im Angesicht des Krieges“ mitgespielt. Seine Figur steht in dem Film mit der Knarre in der Hand vor Hitler und soll ihn töten, aber er schafft es nicht, das Hirn leitet das Signal nicht an die Hand weiter.

Wie dieser böse Mensch sterben kann?

Ich musste vor Kurzem an diese Szene denken, weil das den ganzen Krieg beenden könnte bzw. vorher verhindert hätte. Jannis hat angerufen vor ein paar Tagen, es war gut, seine Stimme zu hören und wir haben uns darüber unterhalten. Wir haben uns gefragt, was sich die ganze Welt gerade fragt: Wie dieser böse Mensch sterben kann?

Angst vor Regenbogenfahnen 

Ein wichtiger Punkt ist Putins Angst vor der Bedrohung durch den „schwulen Westen“ und Regenbogenfahnen. Schon jetzt sind aus Corona-Leugnern in Deutschland Putin-Fans geworden, die hoffen, dass Putin sie von „Gender-Gaga und Schwulen befreit“. Putin hat den Westen immer verachtet. Er ist durch und durch Nationalist und glaubt, dass er mit Russland die Welt befreien muss. Viele wollten das nicht sehen.

Jetzt wird Putin versuchen, erst die Ukraine zu überfallen und anschließend Europa, dafür muss er auch zu Hause in Russland Krieg machen, Kritiker einsperren, alle zum Schweigen bringen, ins Gefängnis stecken. Jeder Tropfen Fake News hat den Stein ausgehöhlt, jetzt greift der Diktator zu Panzern und Raketen.

„Die Menschlichkeit ist unterlegen - und stärker“

Er hat allerdings nicht damit gerechnet, dass die kleinen, unterlegenen Ukrainer sich vor seiner Gewalt nicht schrecken lassen, dass diese Menschen an die Menschlichkeit glauben,  sich nicht beugen lassen, weil sie lieber sterben als ein Leben lang Opfer zu sein.

Genauso wie die vielen mutigen Menschen in Russland, die jetzt riskieren, 15 Jahre ins Gefängnis zu gehen, weil sie auf die Straße gehen und rufen: Stoppt den Krieg. Zusammen mit diesen Russen und allen, die gegen den Krieg aufstehen, werden wir Putin zur Strecke bringen, wir tun es schon jetzt, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jetzt gerade, mit jedem Gedanken und jeder Tag für den Frieden, das ist meine Vision.

Bome macht eine Pause und holt Luft. Er ist so in Rage, dass sich manches vermischt: Mal spricht er von Humanismus und Frieden, der über allem stehe, mal sagt er, er wolle lieber kämpfen und sterben, als Opfer eines Diktators zu sein. Mal denkt er an Kinder und Familie, mal sagt er, es gebe nur das Jetzt, an Zukunft sei nicht zu denken. In dem Wahnsinn der Gegenwart sei das kein Widerspruch.

Zeit für einen Exkurs. Mit 16 kam Rostyslav Bome mit seiner Mutter aus der Ukraine nach Deutschland, studierte nach der Schule zunächst Jura, bevor er abbrach und an der Theaterakademie Köln Schauspiel studierte. Erfolgreich wurde er relativ schnell. Über seine Rollen spricht er nicht gern, höchstens macht er sich ein bisschen lustig über die Klischeebesetzungen, Russe, Osteuropäer, Bösewicht, aber bitte nicht zu lange, es hält ab vom Jetzt.

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Bei den Dreharbeiten zu Babylon Berlin mit Tom Tykwer

„Froh, wenn ich morgens aufwache und lebe“

Ich erwarte nichts. Der Krieg ein großer Nebel. Bin dankbar, wenn ich morgens aufwache und lebe. Seit ein, zwei Jahren reift der Gedanke in mir, eine Familie zu gründen. Ich will Kinder haben, Lieder und Geschichten schreiben, Filme machen, viel Zeit mit meinem Vater verbringen, den ich viele Jahre nicht gesehen habe und mit dem ich jetzt zusammen bin. Ich will an eine Zukunft glauben und kann mich nur auf heute konzentrieren, die Gegenwart braucht alle Kraft und Konzentration.

Jeden Tag droht der Untergang, aber ich gucke dem Tod trotzdem entspannt ins Gesicht: Ich verschiebe nichts, ich denke nicht, dass das Leben vielleicht morgen kommt. Es ist jetzt, nur jetzt, nur in der Gegenwart kannst Du Dich lösen von der Angst, und das gelingt: Wir spüren uns im Angesicht des Todes und konzentrieren alle Kraft, auch die Europäer spüren sich endlich wieder und helfen. Putin bringt alle ins Wanken und verbindet alle gegen das Böse.

„Wir brauchen die geballte mentale Kraft“

Wir brauchen diese geballte mentale Kraft, ein Vertrauen ins Leben, das den Tod überwinden kann. Ich träume davon, dass die ganze Welt aufsteht und Putin aufhält. Ich träume davon, wie die Kultur der Freiheit mit einem trojanischen Pferd nach Moskau transportiert wird und die Menschen erreicht.

So lässt sich der Informationskrieg gewinnen

Das ist meine Vision: Mit einem Geistesblitz den Informationskrieg zu gewinnen, die Gedanken der durch Propaganda gebrainwashten Menschen zu erreichen. Im Moment rette ich in Lwiw ein paar Bücher. Ich habe Werke der Weltliteratur in ukrainischer Sprache gesammelt und verstecke sie vor den Russen. Die große Ideen ist aber, die Gedanken der Freiheit zu den Unterdrückten zu bringen. Nur Bildung befähigt Menschen zum Widerstand.

„Die Wände werden immer enger“

Der Widerstand in der Ukraine ist gigantisch. Trotzdem werden die Wände immer enger, sie kommen auf uns zu. Wir sitzen zusammen mit den Menschen, mit denen wir unser Leben teilen, die wir lieben, mit denen wir unsere Zukunft geplant haben, und werden eingekreist, was können wir tun? Wir können uns verteidigen, unsere Werte verteidigen und die Welt kann uns dabei helfen.

Eine Brücke in die Zukunft

Ich träume davon, wie ich mit Euch, meinem Freunden in Deutschland, draußen im Café sitze und Tee trinke, wie wir lachen und unseren Kindern beim Spielen zuschauen. Das schlägt eine Brücke in die Zukunft, in der der Krieg vorbei ist. Ich denke an meine Freunde beim Film und Theater und an alle, die für den Frieden auf die Straße gehen. Ich denke daran, wie wir die Armeen des Bösen aufhalten, weil wir eine Seele haben und er nicht.

Ich träume davon, wie dieser einsame Kriegsverbrecher zittert vor seinem eigenen Volk, das nicht mehr traurig, stumm und besoffen sein will, sondern aufsteht und sich gegen ihn stellt, weil das freie Wort sie erreicht.

Schrei nach Frieden, Danke an Deutschland

Ich schreie nach Frieden. Ich danke allen meinen Freunden aus Deutschland, die mir jeden Tag schreiben und mich und das ukrainische Volk unterstützen. Und danke, dass ihr unsere Frauen und Kinder aufnehmt.

Im Zuge der Maidan-Proteste gründete sich auf Initiative von Rostyslav Bome und dem Musik-Produzenten Axel Hilgenstöhler in Köln die Hilfsorganisation United World Organisation (UWO). Die Initiative unterstützte Waisenheime, Jugendgefängnisse und Internate in der Ukraine. Die Arbeit lebt jetzt wieder auf. Vor ein paar Tagen sind Engagierte des Vereins mit einem Hilfstransporter in die Ukraine gefahren, Informationen unter www.u-wo.org 

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