Kölner TanzpremiereSasha Waltz feiert das Leben nach der Pandemie

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Tänzer in Sasha Waltz' neuer Choreografie

Tänzer in Sasha Waltz' neuer Choreografie

Köln – So geht Leben! Das ist das postpandemische Menschlein: frei, fluffig, zart und bunt. Sanftes Korallrot glimmt auf, sobald die ersten Töne von Terry Rileys Komposition „In C“ zu pochen beginnen. Die Farbe vertieft sich, glüht schließlich tiefrot wie dickes Blut, und es ist in der Tat ein großer Körper, der hier mit Lebenssaft durchpulst wird: nicht nur ein Tänzerkollektiv, sondern mit ihm die Zuschauer, der ganze Theaterraum. Ein besseres Stück als „In C“ hätte man wohl nicht aussuchen können, um nach der Totenstarre der Pandemie die Wiedereroberung der Bühnen zu feiern.

Schon im März hatte Sasha Waltz eine Streaming-Version ihrer Choreografie gezeigt. Jetzt folgte die Bühnen-Uraufführung im Kölner Staatenhaus. Zwölf Tänzer in sommerlich leichten Hosen und Shirts, jeder monochrom in einer anderen Farbe. Sonnengelb, perlrosa, apfelgrün. Farbtöne, die Positives, Schönes assoziieren. Dazu ein 13. Akteur: Die Bühnenrückseite, die im fantastischen Lichtdesign von Olaf Danilsen ständig ihre Färbung ändert und manchmal fast stärker auf die Musik zu reagieren scheint als der Tanz. Drängeln sich sitar-hafte Klänge nach vorn, strahlt die Wand in Osho-Orange und verbreitet Bhagwan-Heiterkeit wie eine ironische Hommage an Hippiebewegung und Indienbegeisterung des Kaliforniers Terry Riley.

Sasha Waltz greift auf Terry Rileys Urstück der Minimal Music zurück

Mit seiner 1964 entstandenen Komposition „In C“ erfand Riley die Minimal Music. 53 musikalische Phrasen, die jeweils so lange gespielt und wiederholt werden können, wie die Interpreten möchten. Rileys Werk beeinflusste Generationen von Bands und Komponisten – und Choreografen. Nachdem zunächst Trisha Brown und Lucinda Childs die hypnotische Kraft der Minimal Music entdeckt hatten, folgten ihnen zahllose nach. Jetzt also Waltz mit einer Choreografie zum Ur-Stück des Musikstils.

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Waltz hat eine Aufnahme des New Yorker Kollektivs „Bang on a Can“ ausgewählt, die für ihre Einspielung Instrumente aus aller Welt elektronisch verstärken. Eine grandiose Interpretation, wie eine globale Reise, aber gefiltert durch die Klangästhetik eines Nordamerikaners. Dazu Bewegungen als kluge Synthese von größtmöglicher Einfachheit und Raffinesse. Es ist, als hätte jeder Tänzer sein Set von Wohlfühlbewegungen in die Choreografie eingebracht, und man muss schon eine sehr gute Choreografin sein, um das unspektakuläre Hopsen, Pendeln, Wippen, Schlenkern in jedem Augenblick spannend aussehen zu lassen.

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Rastlos cruisen die zwölf Tänzer durch den Raum, finden sich zu kleinen, synchron tanzenden Gruppen zusammen. Sie inszenieren Geometrie und ihr Gegenteil. Sie spüren den Bewegungspatterns nach als ginge es um die intensive Körper-Wahrnehmung beim täglichen Exercise an der Stange.

Als Zuschauer kann man gar nicht anders: Die Augen wandern immerzu mit, hin und her durch den Raum, und selbst wenn man sich vornimmt, beim ausgewählten Lieblingstänzer zu verweilen, manipuliert Waltz den Blick so geschickt, dass immer ein anderer Tänzer, eine andere Tänzerin in den Fokus gerät – was vielleicht das Genialste an diesem Abend ist. Denn obwohl er so heutig, so post-Pandemie-passgenau wirkt, huldigt er auch hippiesk verzückt dem Gedankenraum der Komposition, den Idealen von Gleichheit, Geschwisterlichkeit und ja, rauschhaftem Glück. Und vielleicht, scheint Sasha Waltz mit „In C“ zu fragen, glimmt gerade wieder ein bisschen von der utopischen Power dieser Ära auf? So geht Leben! Und schön-simpler Tanz.

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